Mein einziger Trost gestern war, da ich nichts mit meinen Armen an mich zu drücken hatte, als die dummen leeren Arme selber, der war, daß du gewiß irgend eine kleine Freude dir und den Kindern gemacht, um an dem Tage der kleinen Trennung dich an den Tag der ewigen Verbindung zu erinnern. Ich habe wehmüthig an dich5 gedacht; und ich hätt es gern gehabt, wenn hinter mir Berge ge- wesen wären, die immer so schön erinnern. Lebe wol, meine Ge- liebteste! Und alle meine Kinder küßt meine Seele. Hätt ich doch von den 6 oder 8 Augen ein einziges hier!
Emanuel sei gegrüßt vor der Hand.10
Richter
412. An Karoline Richter.
Frankfurt a. M. d. 30ten Mai (Sonnabends) 1818
Meine gute Karoline! Heute bekam ich schon deinen Mittwochs Brief. Du wirst meinen Bamberger und meinen Aschaffenburger15 auch haben. Gestern Mittags kam ich unter dem kältesten Wolken- wetter in der großen prächtigen Stadt an. Der ihm ähnliche Kutscher hat mich ordentlich auf einige Tage erkältet. Ich wohne im größten Gasthofe (zum weissen Schwan) drei Stockwerke oder 6 lange Treppen hoch, weil ich mit meinem Einspänner nicht Glanz20 genug warf; es ist ordentlich eine kleine Stadt, die Mittagtafel mit 40 Menschen besetzt; mir aber gar nicht gemüthlich. Das Mittagessen 1 fl., der Lehnbediente täglich 1 rtl., 1 Tag Wohnung 1 fl., die Maß Porterbier 24 kr. -- Heute wollt' ich zu einem Schneider ziehen, was aber bei ihm nicht ging. Jetzo, da einige25 meinen Namen wissen, sorgt alles für eine Wohnung, und ich werde wol eine nehmen müssen, die man mir umsonst gibt. Gestern war ich bei dem noch immer alten jugendlichen Wangenheim zu Thee und Essen und wurde in seinem Wagen nach Hause gebracht, weil er so weit abwohnt. Heute abends ists derselbe Fall. Nun wird30 mich das Gewühl drücken, wie anfangs die Einsamkeit. Ich wollte, ich säße bald wieder bequem neben den Vogeleiern. Eine große Stadt erschwert den Genuß oder Besuch der Menschen und Gegenden zu sehr. Unter Wegs hab ich am rechten Ohre eine ganze graue Locke bekommen und am linken grauet es auch. Nicht dem mich mehr als35
Mein einziger Troſt geſtern war, da ich nichts mit meinen Armen an mich zu drücken hatte, als die dummen leeren Arme ſelber, der war, daß du gewiß irgend eine kleine Freude dir und den Kindern gemacht, um an dem Tage der kleinen Trennung dich an den Tag der ewigen Verbindung zu erinnern. Ich habe wehmüthig an dich5 gedacht; und ich hätt es gern gehabt, wenn hinter mir Berge ge- weſen wären, die immer ſo ſchön erinnern. Lebe wol, meine Ge- liebteſte! Und alle meine Kinder küßt meine Seele. Hätt ich doch von den 6 oder 8 Augen ein einziges hier!
Emanuel ſei gegrüßt vor der Hand.10
Richter
412. An Karoline Richter.
Frankfurt a. M. d. 30ten Mai (Sonnabends) 1818
Meine gute Karoline! Heute bekam ich ſchon deinen Mittwochs Brief. Du wirſt meinen Bamberger und meinen Aſchaffenburger15 auch haben. Geſtern Mittags kam ich unter dem kälteſten Wolken- wetter in der großen prächtigen Stadt an. Der ihm ähnliche Kutſcher hat mich ordentlich auf einige Tage erkältet. Ich wohne im größten Gaſthofe (zum weiſſen Schwan) drei Stockwerke oder 6 lange Treppen hoch, weil ich mit meinem Einſpänner nicht Glanz20 genug warf; es iſt ordentlich eine kleine Stadt, die Mittagtafel mit 40 Menſchen beſetzt; mir aber gar nicht gemüthlich. Das Mittageſſen 1 fl., der Lehnbediente täglich 1 rtl., 1 Tag Wohnung 1 fl., die Maß Porterbier 24 kr. — Heute wollt’ ich zu einem Schneider ziehen, was aber bei ihm nicht ging. Jetzo, da einige25 meinen Namen wiſſen, ſorgt alles für eine Wohnung, und ich werde wol eine nehmen müſſen, die man mir umſonſt gibt. Geſtern war ich bei dem noch immer alten jugendlichen Wangenheim zu Thée und Eſſen und wurde in ſeinem Wagen nach Hauſe gebracht, weil er ſo weit abwohnt. Heute abends iſts derſelbe Fall. Nun wird30 mich das Gewühl drücken, wie anfangs die Einſamkeit. Ich wollte, ich ſäße bald wieder bequem neben den Vogeleiern. Eine große Stadt erſchwert den Genuß oder Beſuch der Menſchen und Gegenden zu ſehr. Unter Wegs hab ich am rechten Ohre eine ganze graue Locke bekommen und am linken grauet es auch. Nicht dem mich mehr als35
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0196"n="189"/><p>Mein einziger Troſt geſtern war, da ich nichts mit meinen Armen<lb/>
an mich zu drücken hatte, als die dummen leeren Arme ſelber,<lb/>
der war, daß du gewiß irgend eine kleine Freude dir und den Kindern<lb/>
gemacht, um an dem Tage der kleinen Trennung dich an den Tag<lb/>
der ewigen Verbindung zu erinnern. Ich habe wehmüthig an dich<lbn="5"/>
gedacht; und ich hätt es gern gehabt, wenn hinter mir Berge ge-<lb/>
weſen wären, die immer ſo ſchön erinnern. Lebe wol, meine Ge-<lb/>
liebteſte! Und alle meine Kinder küßt meine Seele. Hätt ich doch<lb/>
von den 6 oder 8 Augen ein einziges hier!</p><lb/><p><hirendition="#aq">Emanuel</hi>ſei gegrüßt vor der Hand.<lbn="10"/></p><closer><salute><hirendition="#right">Richter</hi></salute></closer></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>412. An <hirendition="#g">Karoline Richter</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Frankfurt a. M.</hi> d. 30<hirendition="#sup">ten</hi> Mai (Sonnabends) 1818</hi></dateline><lb/><p>Meine gute Karoline! Heute bekam ich ſchon deinen Mittwochs<lb/>
Brief. Du wirſt meinen Bamberger und meinen Aſchaffenburger<lbn="15"/>
auch haben. Geſtern Mittags kam ich unter dem kälteſten Wolken-<lb/>
wetter in der großen prächtigen Stadt an. Der ihm ähnliche<lb/>
Kutſcher hat mich ordentlich auf einige Tage erkältet. Ich wohne<lb/>
im größten Gaſthofe (zum weiſſen Schwan) drei Stockwerke oder<lb/>
6 lange Treppen hoch, weil ich mit meinem Einſpänner nicht Glanz<lbn="20"/>
genug warf; es iſt ordentlich eine kleine Stadt, die Mittagtafel<lb/>
mit 40 Menſchen beſetzt; mir aber gar nicht gemüthlich. Das<lb/>
Mittageſſen 1 fl., der Lehnbediente täglich 1 rtl., 1 Tag Wohnung<lb/>
1 fl., die Maß Porterbier 24 kr. — Heute wollt’ ich zu einem<lb/>
Schneider ziehen, was aber bei ihm nicht ging. Jetzo, da einige<lbn="25"/>
meinen Namen wiſſen, ſorgt alles für eine Wohnung, und ich werde<lb/>
wol eine nehmen müſſen, die man mir umſonſt gibt. Geſtern war<lb/>
ich bei dem noch immer alten jugendlichen Wangenheim zu Th<hirendition="#aq">é</hi>e<lb/>
und Eſſen und wurde in ſeinem Wagen nach Hauſe gebracht, weil<lb/>
er ſo weit abwohnt. Heute abends iſts derſelbe Fall. Nun wird<lbn="30"/>
mich das Gewühl drücken, wie anfangs die Einſamkeit. Ich wollte,<lb/>
ich ſäße bald wieder bequem neben den Vogeleiern. Eine große Stadt<lb/>
erſchwert den Genuß oder Beſuch der Menſchen und Gegenden zu<lb/>ſehr. Unter Wegs hab ich am rechten Ohre eine ganze graue Locke<lb/>
bekommen und am linken grauet es auch. Nicht dem mich mehr als<lbn="35"/></p></div></body></text></TEI>
[189/0196]
Mein einziger Troſt geſtern war, da ich nichts mit meinen Armen
an mich zu drücken hatte, als die dummen leeren Arme ſelber,
der war, daß du gewiß irgend eine kleine Freude dir und den Kindern
gemacht, um an dem Tage der kleinen Trennung dich an den Tag
der ewigen Verbindung zu erinnern. Ich habe wehmüthig an dich 5
gedacht; und ich hätt es gern gehabt, wenn hinter mir Berge ge-
weſen wären, die immer ſo ſchön erinnern. Lebe wol, meine Ge-
liebteſte! Und alle meine Kinder küßt meine Seele. Hätt ich doch
von den 6 oder 8 Augen ein einziges hier!
Emanuel ſei gegrüßt vor der Hand. 10
Richter
412. An Karoline Richter.
Frankfurt a. M. d. 30ten Mai (Sonnabends) 1818
Meine gute Karoline! Heute bekam ich ſchon deinen Mittwochs
Brief. Du wirſt meinen Bamberger und meinen Aſchaffenburger 15
auch haben. Geſtern Mittags kam ich unter dem kälteſten Wolken-
wetter in der großen prächtigen Stadt an. Der ihm ähnliche
Kutſcher hat mich ordentlich auf einige Tage erkältet. Ich wohne
im größten Gaſthofe (zum weiſſen Schwan) drei Stockwerke oder
6 lange Treppen hoch, weil ich mit meinem Einſpänner nicht Glanz 20
genug warf; es iſt ordentlich eine kleine Stadt, die Mittagtafel
mit 40 Menſchen beſetzt; mir aber gar nicht gemüthlich. Das
Mittageſſen 1 fl., der Lehnbediente täglich 1 rtl., 1 Tag Wohnung
1 fl., die Maß Porterbier 24 kr. — Heute wollt’ ich zu einem
Schneider ziehen, was aber bei ihm nicht ging. Jetzo, da einige 25
meinen Namen wiſſen, ſorgt alles für eine Wohnung, und ich werde
wol eine nehmen müſſen, die man mir umſonſt gibt. Geſtern war
ich bei dem noch immer alten jugendlichen Wangenheim zu Thée
und Eſſen und wurde in ſeinem Wagen nach Hauſe gebracht, weil
er ſo weit abwohnt. Heute abends iſts derſelbe Fall. Nun wird 30
mich das Gewühl drücken, wie anfangs die Einſamkeit. Ich wollte,
ich ſäße bald wieder bequem neben den Vogeleiern. Eine große Stadt
erſchwert den Genuß oder Beſuch der Menſchen und Gegenden zu
ſehr. Unter Wegs hab ich am rechten Ohre eine ganze graue Locke
bekommen und am linken grauet es auch. Nicht dem mich mehr als 35
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/196>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.