Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Essen durchgingen wir ein Tempethal (das Birkenauer genannt),
worin uns am Sonntage die zurückkehrenden Kirchweihleute in
langen Reihen begegneten. Auf den Bergen wächst -- sage es zu
Emanuel -- die seltene, nur auf den Alpen zu findende kryptogamische
Blume Osmunda lunaria. --5


Die beiden Mädchen brauchen ihre schön geschriebenen Briefe
(jedes in anderem Sinne schön) nicht zu siegeln, des Portos wegen,
und Max braucht gar keine zu schreiben, des Schmierens wegen. --
Emma schreibe ja recht ab, da mein Buch bei meiner Ankunft fort10
muß. Ich bekomme sehr viel in Baireut zu thun, da ich hier vor
Menschen und Freuden gar nicht recht ins Schreiben kommen kann,
blos ins Lesen. -- Du bist gar zu sparsam, meine gute Seele; und
hast bei mir überhaupt keine Vorrechnung nöthig. -- Den Kauf der
Schnupftücher für die Magd überlass ich dir recht gern. -- Kaufe15
ja kein Getraide; es muß über alle Maßen fallen. -- Die Imhof
kam mir noch nicht vor. -- Die Menschen hier bessern mich, oder
wecken vielmehr mein Bestes; Scherze, wie ich im verdorbnen
B[aireut] wol gegen Weiber gewagt, wären schon für Männer
auffallend. Und wie hoch steht und stellt vollends Sophie Paulus!20
Sie und du wären innigste Freundinnen. Sie lebt nur bei der Mutter,
nie für außerhalb*), ob sie gleich Klavier so spielt wie in B[aireut]
Eck.
Sie trinkt Kaffee, Thee, Wein, Milch -- nicht, nur Wasser;
Kochen, Klavierspielen, der Mutter-Vorlesen sind ihre 3 Tagräume.
Ich höre vom kleinen tollen Bruder, daß sie mir Geschenkchen für25
unsere Töchter mitgeben will. --

Die Kalb erdrückt mich mit Aufträgen. -- Schreibe recht bald
und viel (nur von fremden Briefen gib blos Auszug) und kümmere
dich nicht um mein zweifelhaftes Bleiben; alles kommt mir richtig
nach. -- Auch diese ganze Woche ist wieder mit Einladungen besetzt.30
-- Morgen geht dieser Brief ab; und doch fang ich morgen einen
neuen an dich in freien Absätzen an. Geh es dir nur recht wol,
geliebte Karoline. Wir wollen schöne Jahrzeiten durch uns erleben,
wiewol ja auch die vorigen es gewesen!

*) Die Paulischen fand ich fast in keinen Zirkeln, nicht einmal bei der35
Wasserfahrt.

dem Eſſen durchgingen wir ein Tempethal (das Birkenauer genannt),
worin uns am Sonntage die zurückkehrenden Kirchweihleute in
langen Reihen begegneten. Auf den Bergen wächſt — ſage es zu
Emanuel — die ſeltene, nur auf den Alpen zu findende kryptogamiſche
Blume Osmunda lunaria.5


Die beiden Mädchen brauchen ihre ſchön geſchriebenen Briefe
(jedes in anderem Sinne ſchön) nicht zu ſiegeln, des Portos wegen,
und Max braucht gar keine zu ſchreiben, des Schmierens wegen. —
Emma ſchreibe ja recht ab, da mein Buch bei meiner Ankunft fort10
muß. Ich bekomme ſehr viel in Baireut zu thun, da ich hier vor
Menſchen und Freuden gar nicht recht ins Schreiben kommen kann,
blos ins Leſen. — Du biſt gar zu ſparſam, meine gute Seele; und
haſt bei mir überhaupt keine Vorrechnung nöthig. — Den Kauf der
Schnupftücher für die Magd überlaſſ ich dir recht gern. — Kaufe15
ja kein Getraide; es muß über alle Maßen fallen. — Die Imhof
kam mir noch nicht vor. — Die Menſchen hier beſſern mich, oder
wecken vielmehr mein Beſtes; Scherze, wie ich im verdorbnen
B[aireut] wol gegen Weiber gewagt, wären ſchon für Männer
auffallend. Und wie hoch ſteht und ſtellt vollends Sophie Paulus!20
Sie und du wären innigſte Freundinnen. Sie lebt nur bei der Mutter,
nie für außerhalb*), ob ſie gleich Klavier ſo ſpielt wie in B[aireut]
Eck.
Sie trinkt Kaffee, Thee, Wein, Milch — nicht, nur Waſſer;
Kochen, Klavierſpielen, der Mutter-Vorleſen ſind ihre 3 Tagräume.
Ich höre vom kleinen tollen Bruder, daß ſie mir Geſchenkchen für25
unſere Töchter mitgeben will. —

Die Kalb erdrückt mich mit Aufträgen. — Schreibe recht bald
und viel (nur von fremden Briefen gib blos Auszug) und kümmere
dich nicht um mein zweifelhaftes Bleiben; alles kommt mir richtig
nach. — Auch dieſe ganze Woche iſt wieder mit Einladungen beſetzt.30
— Morgen geht dieſer Brief ab; und doch fang ich morgen einen
neuen an dich in freien Abſätzen an. Geh es dir nur recht wol,
geliebte Karoline. Wir wollen ſchöne Jahrzeiten durch uns erleben,
wiewol ja auch die vorigen es geweſen!

*) Die Pauliſchen fand ich faſt in keinen Zirkeln, nicht einmal bei der35
Waſſerfahrt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0137" n="130"/>
dem E&#x017F;&#x017F;en durchgingen wir ein Tempethal (das Birkenauer genannt),<lb/>
worin uns am Sonntage die zurückkehrenden Kirchweihleute in<lb/>
langen Reihen begegneten. Auf den Bergen wäch&#x017F;t &#x2014; &#x017F;age es zu<lb/><hi rendition="#aq">Emanuel</hi> &#x2014; die &#x017F;eltene, nur auf den Alpen zu findende kryptogami&#x017F;che<lb/>
Blume <hi rendition="#aq">Osmunda lunaria.</hi> &#x2014;<lb n="5"/>
</p>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 30<hi rendition="#sup">ten</hi></hi> </dateline><lb/>
          <p>Die beiden Mädchen brauchen ihre <hi rendition="#g">&#x017F;chön</hi> ge&#x017F;chriebenen Briefe<lb/>
(jedes in anderem Sinne <hi rendition="#g">&#x017F;chön</hi>) nicht zu &#x017F;iegeln, des Portos wegen,<lb/>
und Max braucht gar keine zu &#x017F;chreiben, des Schmierens wegen. &#x2014;<lb/><hi rendition="#aq">Emma</hi> &#x017F;chreibe ja recht ab, da mein Buch bei meiner Ankunft fort<lb n="10"/>
muß. Ich bekomme &#x017F;ehr viel in <hi rendition="#aq">Baireut</hi> zu thun, da ich hier vor<lb/>
Men&#x017F;chen und Freuden gar nicht recht ins Schreiben kommen kann,<lb/>
blos ins Le&#x017F;en. &#x2014; Du bi&#x017F;t gar zu &#x017F;par&#x017F;am, meine gute Seele; und<lb/>
ha&#x017F;t bei mir überhaupt keine Vorrechnung nöthig. &#x2014; Den Kauf der<lb/>
Schnupftücher für die Magd überla&#x017F;&#x017F; ich dir recht gern. &#x2014; Kaufe<lb n="15"/>
ja kein Getraide; es muß über alle Maßen fallen. &#x2014; Die <hi rendition="#aq">Imhof</hi><lb/>
kam mir noch nicht vor. &#x2014; Die Men&#x017F;chen hier be&#x017F;&#x017F;ern mich, oder<lb/>
wecken vielmehr mein Be&#x017F;tes; Scherze, wie ich im verdorbnen<lb/><hi rendition="#aq">B[aireut]</hi> wol gegen Weiber gewagt, wären &#x017F;chon für Männer<lb/>
auffallend. Und wie hoch &#x017F;teht und &#x017F;tellt vollends Sophie <hi rendition="#aq">Paulus!</hi><lb n="20"/>
Sie und du wären innig&#x017F;te Freundinnen. Sie lebt nur bei der Mutter,<lb/>
nie für außerhalb<note place="foot" n="*)">Die Pauli&#x017F;chen fand ich fa&#x017F;t in keinen Zirkeln, nicht einmal bei der<lb n="35"/>
Wa&#x017F;&#x017F;erfahrt.</note>, ob &#x017F;ie gleich Klavier <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> &#x017F;pielt wie in <hi rendition="#aq">B[aireut]<lb/>
Eck.</hi> Sie trinkt Kaffee, Thee, Wein, Milch &#x2014; nicht, nur Wa&#x017F;&#x017F;er;<lb/>
Kochen, Klavier&#x017F;pielen, der Mutter-Vorle&#x017F;en &#x017F;ind ihre 3 Tagräume.<lb/>
Ich höre vom kleinen tollen Bruder, daß &#x017F;ie mir Ge&#x017F;chenkchen für<lb n="25"/>
un&#x017F;ere Töchter mitgeben will. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#aq">Kalb</hi> erdrückt mich mit Aufträgen. &#x2014; Schreibe recht bald<lb/>
und viel (nur von fremden Briefen gib blos Auszug) und kümmere<lb/>
dich nicht um mein zweifelhaftes Bleiben; alles kommt mir richtig<lb/>
nach. &#x2014; Auch die&#x017F;e ganze Woche i&#x017F;t wieder mit Einladungen be&#x017F;etzt.<lb n="30"/>
&#x2014; Morgen geht die&#x017F;er Brief ab; und doch fang ich morgen einen<lb/>
neuen an dich in freien Ab&#x017F;ätzen an. Geh es dir nur recht wol,<lb/>
geliebte Karoline. Wir wollen &#x017F;chöne Jahrzeiten durch uns erleben,<lb/>
wiewol ja auch die vorigen es gewe&#x017F;en!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0137] dem Eſſen durchgingen wir ein Tempethal (das Birkenauer genannt), worin uns am Sonntage die zurückkehrenden Kirchweihleute in langen Reihen begegneten. Auf den Bergen wächſt — ſage es zu Emanuel — die ſeltene, nur auf den Alpen zu findende kryptogamiſche Blume Osmunda lunaria. — 5 d. 30ten Die beiden Mädchen brauchen ihre ſchön geſchriebenen Briefe (jedes in anderem Sinne ſchön) nicht zu ſiegeln, des Portos wegen, und Max braucht gar keine zu ſchreiben, des Schmierens wegen. — Emma ſchreibe ja recht ab, da mein Buch bei meiner Ankunft fort 10 muß. Ich bekomme ſehr viel in Baireut zu thun, da ich hier vor Menſchen und Freuden gar nicht recht ins Schreiben kommen kann, blos ins Leſen. — Du biſt gar zu ſparſam, meine gute Seele; und haſt bei mir überhaupt keine Vorrechnung nöthig. — Den Kauf der Schnupftücher für die Magd überlaſſ ich dir recht gern. — Kaufe 15 ja kein Getraide; es muß über alle Maßen fallen. — Die Imhof kam mir noch nicht vor. — Die Menſchen hier beſſern mich, oder wecken vielmehr mein Beſtes; Scherze, wie ich im verdorbnen B[aireut] wol gegen Weiber gewagt, wären ſchon für Männer auffallend. Und wie hoch ſteht und ſtellt vollends Sophie Paulus! 20 Sie und du wären innigſte Freundinnen. Sie lebt nur bei der Mutter, nie für außerhalb *), ob ſie gleich Klavier ſo ſpielt wie in B[aireut] Eck. Sie trinkt Kaffee, Thee, Wein, Milch — nicht, nur Waſſer; Kochen, Klavierſpielen, der Mutter-Vorleſen ſind ihre 3 Tagräume. Ich höre vom kleinen tollen Bruder, daß ſie mir Geſchenkchen für 25 unſere Töchter mitgeben will. — Die Kalb erdrückt mich mit Aufträgen. — Schreibe recht bald und viel (nur von fremden Briefen gib blos Auszug) und kümmere dich nicht um mein zweifelhaftes Bleiben; alles kommt mir richtig nach. — Auch dieſe ganze Woche iſt wieder mit Einladungen beſetzt. 30 — Morgen geht dieſer Brief ab; und doch fang ich morgen einen neuen an dich in freien Abſätzen an. Geh es dir nur recht wol, geliebte Karoline. Wir wollen ſchöne Jahrzeiten durch uns erleben, wiewol ja auch die vorigen es geweſen! *) Die Pauliſchen fand ich faſt in keinen Zirkeln, nicht einmal bei der 35 Waſſerfahrt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/137
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/137>, abgerufen am 05.12.2024.