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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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frommen Tochter zu Thibauts Akademie sich übend, und ihr Harfen-
spielen dazu. Gerade mir gegenüber liegt eine Bergstelle (in 8 Mi-
nuten erstiegen) wo ich gestern arbeitete und vor und unter mir hatte
die zierliche Stadt -- den Neckar bis nach Mannheim -- die Gebirge,
die an die Vogesen stoßen -- neben mir das auf und ab sich hügelnde5
Weingebirge --


Das einheimische Gefühl, in eine so gute Familie eingewebt zu
sein, macht ordentlich, daß ich das Hiersein erst von dem Tage des
Einzugs datiere. Gewänn' ich nur wenigstens 1 freien Abend! Aber10
bis den Sonntag -- nur den Sonnabend noch ausgenommen -- ist
jeder besetzt. In dieser Minute (9 Uhr Donnerstags) ist mir ordent-
lich, als müßte[st] du eben meine Briefe bekommen haben. Ich kann
diese deine Freude gar nicht erwarten. (Dienstags den 29ten: meine
Hoffnung ist heute durch deinen Brief realisiert worden.) --15


So wenig bringt man fertig. Unmöglich kann ich mit der Feder
meinen Besuchen nachlaufen. Ich hebe daher nur aus. Die er-
quickende Liebe aller gegen mich nimmt immer mehr zu und ich werde
traurig scheiden. Den herrlichen Thibaut mit seiner Kraft und Liebe20
verehr' ich ordentlich. Gestern gab er vor dem Eß-Thee durch seine
Singakademie Stücke aus 3 großen Werken von Händel, die durch
mein ganzes Leben wirken sollen. Sogar den Hund -- der überhaupt
nichts frißt als Schinken und Zunge -- haben seine Kinder so lieb,
daß der eine Knabe sich Haare zum Andenken von ihm geschnitten25
und daß ich ihn ihnen auf 1 Tag zum Lieben leihen soll.

Vorgestern machten an 12 Professoren eine Lustreise -- der größere
Theil zu Fuß -- nach Schwetzingen; und von dem geistreichen Tisch-
gespräche und vom Garten will ich dir einmal erzählen. -- Wären
die Lebenmittel und die Miethen wolfeiler: ich wüßte keinen bessern30
Ort für dich und mich als Heidelberg.


Zum ersten male hab ich einen Abend frei. Heute bekam ich
meines Emanuels Brief, wofür ich seiner Seele danke. Gott weiß,
ob ich nach Karlsruhe gehe, wiewol es sehr lockt. -- Nun weiß ich35

frommen Tochter zu Thibauts Akademie ſich übend, und ihr Harfen-
ſpielen dazu. Gerade mir gegenüber liegt eine Bergſtelle (in 8 Mi-
nuten erſtiegen) wo ich geſtern arbeitete und vor und unter mir hatte
die zierliche Stadt — den Neckar bis nach Mannheim — die Gebirge,
die an die Vogeſen ſtoßen — neben mir das auf und ab ſich hügelnde5
Weingebirge —


Das einheimiſche Gefühl, in eine ſo gute Familie eingewebt zu
ſein, macht ordentlich, daß ich das Hierſein erſt von dem Tage des
Einzugs datiere. Gewänn’ ich nur wenigſtens 1 freien Abend! Aber10
bis den Sonntag — nur den Sonnabend noch ausgenommen — iſt
jeder beſetzt. In dieſer Minute (9 Uhr Donnerſtags) iſt mir ordent-
lich, als müßte[ſt] du eben meine Briefe bekommen haben. Ich kann
dieſe deine Freude gar nicht erwarten. (Dienſtags den 29ten: meine
Hoffnung iſt heute durch deinen Brief realiſiert worden.) —15


So wenig bringt man fertig. Unmöglich kann ich mit der Feder
meinen Beſuchen nachlaufen. Ich hebe daher nur aus. Die er-
quickende Liebe aller gegen mich nimmt immer mehr zu und ich werde
traurig ſcheiden. Den herrlichen Thibaut mit ſeiner Kraft und Liebe20
verehr’ ich ordentlich. Geſtern gab er vor dem Eß-Thée durch ſeine
Singakademie Stücke aus 3 großen Werken von Händel, die durch
mein ganzes Leben wirken ſollen. Sogar den Hund — der überhaupt
nichts frißt als Schinken und Zunge — haben ſeine Kinder ſo lieb,
daß der eine Knabe ſich Haare zum Andenken von ihm geſchnitten25
und daß ich ihn ihnen auf 1 Tag zum Lieben leihen ſoll.

Vorgeſtern machten an 12 Profeſſoren eine Luſtreiſe — der größere
Theil zu Fuß — nach Schwetzingen; und von dem geiſtreichen Tiſch-
geſpräche und vom Garten will ich dir einmal erzählen. — Wären
die Lebenmittel und die Miethen wolfeiler: ich wüßte keinen beſſern30
Ort für dich und mich als Heidelberg.


Zum erſten male hab ich einen Abend frei. Heute bekam ich
meines Emanuels Brief, wofür ich ſeiner Seele danke. Gott weiß,
ob ich nach Karlsruhe gehe, wiewol es ſehr lockt. — Nun weiß ich35

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[128/0135] frommen Tochter zu Thibauts Akademie ſich übend, und ihr Harfen- ſpielen dazu. Gerade mir gegenüber liegt eine Bergſtelle (in 8 Mi- nuten erſtiegen) wo ich geſtern arbeitete und vor und unter mir hatte die zierliche Stadt — den Neckar bis nach Mannheim — die Gebirge, die an die Vogeſen ſtoßen — neben mir das auf und ab ſich hügelnde 5 Weingebirge — d. 24 J. Das einheimiſche Gefühl, in eine ſo gute Familie eingewebt zu ſein, macht ordentlich, daß ich das Hierſein erſt von dem Tage des Einzugs datiere. Gewänn’ ich nur wenigſtens 1 freien Abend! Aber 10 bis den Sonntag — nur den Sonnabend noch ausgenommen — iſt jeder beſetzt. In dieſer Minute (9 Uhr Donnerſtags) iſt mir ordent- lich, als müßte[ſt] du eben meine Briefe bekommen haben. Ich kann dieſe deine Freude gar nicht erwarten. (Dienſtags den 29ten: meine Hoffnung iſt heute durch deinen Brief realiſiert worden.) — 15 25ten So wenig bringt man fertig. Unmöglich kann ich mit der Feder meinen Beſuchen nachlaufen. Ich hebe daher nur aus. Die er- quickende Liebe aller gegen mich nimmt immer mehr zu und ich werde traurig ſcheiden. Den herrlichen Thibaut mit ſeiner Kraft und Liebe 20 verehr’ ich ordentlich. Geſtern gab er vor dem Eß-Thée durch ſeine Singakademie Stücke aus 3 großen Werken von Händel, die durch mein ganzes Leben wirken ſollen. Sogar den Hund — der überhaupt nichts frißt als Schinken und Zunge — haben ſeine Kinder ſo lieb, daß der eine Knabe ſich Haare zum Andenken von ihm geſchnitten 25 und daß ich ihn ihnen auf 1 Tag zum Lieben leihen ſoll. Vorgeſtern machten an 12 Profeſſoren eine Luſtreiſe — der größere Theil zu Fuß — nach Schwetzingen; und von dem geiſtreichen Tiſch- geſpräche und vom Garten will ich dir einmal erzählen. — Wären die Lebenmittel und die Miethen wolfeiler: ich wüßte keinen beſſern 30 Ort für dich und mich als Heidelberg. d. 26ten (Sonnabend) Zum erſten male hab ich einen Abend frei. Heute bekam ich meines Emanuels Brief, wofür ich ſeiner Seele danke. Gott weiß, ob ich nach Karlsruhe gehe, wiewol es ſehr lockt. — Nun weiß ich 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/135>, abgerufen am 02.05.2024.