Mit Vergnügen benütze ich die Veranlaßung, den Aufsatz für das Morgenblatt an Sie zu schicken. Leider verspätete nicht nur seine Länge, sondern auch die Erfüllung einer andern Bitte Herrn5 Cotta's für den deutschen Beobachter, die Einsendung für die ersten Tage der Morgen Blätter; wie wol eben der Länge wegen, nichts an der ersten frühesten Stelle liegt. Theilen Sie nur die Kapitel so ab, daß der Leser nicht auf meine Kosten abbricht. Die rothe Dinte der Kapitelüberschriften geht nur das Auge des Setzers,10 nicht die Farbe des Druckers an.
Streicht die Zensur irgend eine Stelle weg, ohne welche eine ästhetische Lücke entsteht: so bitte ich mir das Mspt wieder aus, um es mit der Zensor-Dinte, abgesondert drucken zu lassen, wie ich bei Mars und Phöbus thun müßen. Und dann will ichs doch einmal15 dem freiern -- leider noch nicht freien -- Deutschland sagen, wie man in Stuttgart zensiert.
Sie sind schon Jahre lang der reichste Marzial der Deutschen, welchem sogar die schärfsten Eisspitzen leicht durch einen warmen Hauch zu elegischen Thautropfen werden, was bei dem römischen20 nicht der Fall war. Diese Vereinigung von Seele und Geist erquickt am längsten. Was neulich ein Jenaer Rezensent vom Ermüden durch Fortlesen von Epigrammen feindselig hergeholt, gilt eben so gut vom Fortlesen der Messiade. Kein Mensch verträgt denselben Genuß in Einem fort, Tagelang, Wochenlang.25
Mir fiel aber dabei ein, ob Sie nicht durch Real-Registrieren Ihrer Epigrammen-Ausgänge blos aus diesen krystallisierten Spitzen -- wenigstens zum Scherze -- recht blendende Erzählungen bauen könnten. Die Gewalt des Witzes erfährt man erst, wenn er im historischen Zusammenhange blitzt.30
Etwas Ernstes Ihrem Taschenbuche zu geben versprech' ich nicht; leichter eine bloße Satire. Kleine Aufsätze kosten mir so viele Mühe und Zeit, die meinen größern Werken entzogen werden.
Leben Sie froh, im Genuße Ihres Geistes und -- wenn mög- lich -- der Außenwelt.
Ihr35 Jean Paul Fr. Richter
N. S. Verzeihen Sie der Eile die Gestalt des Briefs.
965. An Friedrich Haug in Stuttgart.
Baireuth d. 30. Dec. 1814
Mit Vergnügen benütze ich die Veranlaßung, den Aufſatz für das Morgenblatt an Sie zu ſchicken. Leider verſpätete nicht nur ſeine Länge, ſondern auch die Erfüllung einer andern Bitte Herrn5 Cotta’s für den deutſchen Beobachter, die Einſendung für die erſten Tage der Morgen Blätter; wie wol eben der Länge wegen, nichts an der erſten früheſten Stelle liegt. Theilen Sie nur die Kapitel ſo ab, daß der Leſer nicht auf meine Koſten abbricht. Die rothe Dinte der Kapitelüberſchriften geht nur das Auge des Setzers,10 nicht die Farbe des Druckers an.
Streicht die Zenſur irgend eine Stelle weg, ohne welche eine äſthetiſche Lücke entſteht: ſo bitte ich mir das Mſpt wieder aus, um es mit der Zenſor-Dinte, abgeſondert drucken zu laſſen, wie ich bei Mars und Phöbus thun müßen. Und dann will ichs doch einmal15 dem freiern — leider noch nicht freien — Deutſchland ſagen, wie man in Stuttgart zenſiert.
Sie ſind ſchon Jahre lang der reichſte Marzial der Deutſchen, welchem ſogar die ſchärfſten Eisſpitzen leicht durch einen warmen Hauch zu elegiſchen Thautropfen werden, was bei dem römiſchen20 nicht der Fall war. Dieſe Vereinigung von Seele und Geiſt erquickt am längſten. Was neulich ein Jenaer Rezenſent vom Ermüden durch Fortleſen von Epigrammen feindſelig hergeholt, gilt eben ſo gut vom Fortleſen der Meſſiade. Kein Menſch verträgt denſelben Genuß in Einem fort, Tagelang, Wochenlang.25
Mir fiel aber dabei ein, ob Sie nicht durch Real-Regiſtrieren Ihrer Epigrammen-Ausgänge blos aus dieſen kryſtalliſierten Spitzen — wenigſtens zum Scherze — recht blendende Erzählungen bauen könnten. Die Gewalt des Witzes erfährt man erſt, wenn er im hiſtoriſchen Zuſammenhange blitzt.30
Etwas Ernſtes Ihrem Taſchenbuche zu geben verſprech’ ich nicht; leichter eine bloße Satire. Kleine Aufſätze koſten mir ſo viele Mühe und Zeit, die meinen größern Werken entzogen werden.
Leben Sie froh, im Genuße Ihres Geiſtes und — wenn mög- lich — der Außenwelt.
Ihr35 Jean Paul Fr. Richter
N. S. Verzeihen Sie der Eile die Geſtalt des Briefs.
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[414/0430]
965. An Friedrich Haug in Stuttgart.
Baireuth d. 30. Dec. 1814
Mit Vergnügen benütze ich die Veranlaßung, den Aufſatz für
das Morgenblatt an Sie zu ſchicken. Leider verſpätete nicht nur
ſeine Länge, ſondern auch die Erfüllung einer andern Bitte Herrn 5
Cotta’s für den deutſchen Beobachter, die Einſendung für die erſten
Tage der Morgen Blätter; wie wol eben der Länge wegen, nichts
an der erſten früheſten Stelle liegt. Theilen Sie nur die Kapitel
ſo ab, daß der Leſer nicht auf meine Koſten abbricht. Die rothe
Dinte der Kapitelüberſchriften geht nur das Auge des Setzers, 10
nicht die Farbe des Druckers an.
Streicht die Zenſur irgend eine Stelle weg, ohne welche eine
äſthetiſche Lücke entſteht: ſo bitte ich mir das Mſpt wieder aus,
um es mit der Zenſor-Dinte, abgeſondert drucken zu laſſen, wie ich
bei Mars und Phöbus thun müßen. Und dann will ichs doch einmal 15
dem freiern — leider noch nicht freien — Deutſchland ſagen, wie man
in Stuttgart zenſiert.
Sie ſind ſchon Jahre lang der reichſte Marzial der Deutſchen,
welchem ſogar die ſchärfſten Eisſpitzen leicht durch einen warmen
Hauch zu elegiſchen Thautropfen werden, was bei dem römiſchen 20
nicht der Fall war. Dieſe Vereinigung von Seele und Geiſt
erquickt am längſten. Was neulich ein Jenaer Rezenſent vom
Ermüden durch Fortleſen von Epigrammen feindſelig hergeholt, gilt
eben ſo gut vom Fortleſen der Meſſiade. Kein Menſch verträgt
denſelben Genuß in Einem fort, Tagelang, Wochenlang. 25
Mir fiel aber dabei ein, ob Sie nicht durch Real-Regiſtrieren
Ihrer Epigrammen-Ausgänge blos aus dieſen kryſtalliſierten
Spitzen — wenigſtens zum Scherze — recht blendende Erzählungen
bauen könnten. Die Gewalt des Witzes erfährt man erſt, wenn er
im hiſtoriſchen Zuſammenhange blitzt. 30
Etwas Ernſtes Ihrem Taſchenbuche zu geben verſprech’ ich nicht;
leichter eine bloße Satire. Kleine Aufſätze koſten mir ſo viele Mühe
und Zeit, die meinen größern Werken entzogen werden.
Leben Sie froh, im Genuße Ihres Geiſtes und — wenn mög-
lich — der Außenwelt.
Ihr 35
Jean Paul Fr. Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/430>, abgerufen am 06.07.2024.
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