Brief nach Coburg, weil ich dahin schon Anfangs Maies ziehe, um ein Paradies im geographischen Sin zu haben; und schreibe mir in deinem nächsten Briefe deine Gedanken über den 4tenTitan, der in der Oster Messe gewis erscheint.
Hinten in meinem litterarischen Imbreviatur oder Sudelprotokol5 hab' ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die zufälligen Novitäten samle, um sie, wenn ich anfange, sogleich vor mir zum Versenden zu haben. Ohne das vergisset man im Feuer das Beste, wenigstens das Älteste. Zu beiden gehört, daß im September meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß also der Vater10 viel närrischer ist als der Eheman. Und so gros die Entzückung war (wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott sieht und anbetet, verdient keinen sondern den Satan): so trit doch noch die götliche Aussicht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue grössere Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des15 knospen-vollen Neulings und die Lust und Liebe ist unermeslich und unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich! [236]köntest du einmal in meiner Stube und bei meiner Caroline sein und bei meiner Emma Idoine: ich wolte gern die besten metaphysischen Freuden missen! -- Sonderbar, daß ich troz meiner südlichen Ab-20 errazion doch noch immer der festen innigsten Hofnung lebe, daß wir uns hienieden sehen. Gern reis' ich dir entgegen, wenn du entgegen reisest.
d. 5. April.
Ich wil dir doch die alten Explosionen schicken. Du schweigst gar zu25 hart. Die Winter fürcht' ich immer deinetwegen; ich selber blühe in jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begiesse, das deiner Rinde und deinem Marke eben so wohl thäte, wenn du fränkisches so weit haben köntest. --
d. 9. Apr.30
Ich wil das Blat schliessen, so wenig Früchte es auch bedekt oder herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4te Titan wird dich schon zur Antwort zwingen.
Lies doch Novalis v. Hardenberg Schriften; ich kante ihn per- sönlich als einen reinen, sanften, religiösen und doch feuerreichen35 Karakter. Er starb einer Geliebten nach. Sein poetisches Christenthum war auch sein theoretisches. Die ganze Familie hat einen Anflug von
Brief nach Coburg, weil ich dahin ſchon Anfangs Maies ziehe, um ein Paradies im geographiſchen Sin zu haben; und ſchreibe mir in deinem nächſten Briefe deine Gedanken über den 4tenTitan, der in der Oſter Meſſe gewis erſcheint.
Hinten in meinem litterariſchen Imbreviatur oder Sudelprotokol5 hab’ ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die zufälligen Novitäten ſamle, um ſie, wenn ich anfange, ſogleich vor mir zum Verſenden zu haben. Ohne das vergiſſet man im Feuer das Beſte, wenigſtens das Älteſte. Zu beiden gehört, daß im September meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß alſo der Vater10 viel närriſcher iſt als der Eheman. Und ſo gros die Entzückung war (wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott ſieht und anbetet, verdient keinen ſondern den Satan): ſo trit doch noch die götliche Ausſicht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue gröſſere Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des15 knoſpen-vollen Neulings und die Luſt und Liebe iſt unermeslich und unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich! [236]könteſt du einmal in meiner Stube und bei meiner Caroline ſein und bei meiner Emma Idoine: ich wolte gern die beſten metaphyſiſchen Freuden miſſen! — Sonderbar, daß ich troz meiner ſüdlichen Ab-20 errazion doch noch immer der feſten innigſten Hofnung lebe, daß wir uns hienieden ſehen. Gern reiſ’ ich dir entgegen, wenn du entgegen reiſeſt.
d. 5. April.
Ich wil dir doch die alten Exploſionen ſchicken. Du ſchweigſt gar zu25 hart. Die Winter fürcht’ ich immer deinetwegen; ich ſelber blühe in jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begieſſe, das deiner Rinde und deinem Marke eben ſo wohl thäte, wenn du fränkiſches ſo weit haben könteſt. —
d. 9. Apr.30
Ich wil das Blat ſchlieſſen, ſo wenig Früchte es auch bedekt oder herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4te Titan wird dich ſchon zur Antwort zwingen.
Lies doch Novalis 〈v. Hardenberg〉 Schriften; ich kante ihn per- ſönlich als einen reinen, ſanften, religiöſen und doch feuerreichen35 Karakter. Er ſtarb einer Geliebten nach. Sein poetiſches Chriſtenthum war auch ſein theoretiſches. Die ganze Familie hat einen Anflug von
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Brief nach Coburg, weil ich dahin ſchon Anfangs Maies ziehe, um
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deinem nächſten Briefe deine Gedanken über den 4ten Titan, der in der
Oſter Meſſe gewis erſcheint.
Hinten in meinem litterariſchen Imbreviatur oder Sudelprotokol 5
hab’ ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die
zufälligen Novitäten ſamle, um ſie, wenn ich anfange, ſogleich vor
mir zum Verſenden zu haben. Ohne das vergiſſet man im Feuer das
Beſte, wenigſtens das Älteſte. Zu beiden gehört, daß im September
meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß alſo der Vater 10
viel närriſcher iſt als der Eheman. Und ſo gros die Entzückung war
(wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott ſieht und
anbetet, verdient keinen ſondern den Satan): ſo trit doch noch die
götliche Ausſicht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue gröſſere
Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des 15
knoſpen-vollen Neulings und die Luſt und Liebe iſt unermeslich und
unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich!
könteſt du einmal in meiner Stube und bei meiner Caroline ſein und
bei meiner Emma Idoine: ich wolte gern die beſten metaphyſiſchen
Freuden miſſen! — Sonderbar, daß ich troz meiner ſüdlichen Ab- 20
errazion doch noch immer der feſten innigſten Hofnung lebe, daß wir
uns hienieden ſehen. Gern reiſ’ ich dir entgegen, wenn du entgegen
reiſeſt.
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d. 5. April.
Ich wil dir doch die alten Exploſionen ſchicken. Du ſchweigſt gar zu 25
hart. Die Winter fürcht’ ich immer deinetwegen; ich ſelber blühe in
jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begieſſe, das deiner
Rinde und deinem Marke eben ſo wohl thäte, wenn du fränkiſches ſo
weit haben könteſt. —
d. 9. Apr. 30
Ich wil das Blat ſchlieſſen, ſo wenig Früchte es auch bedekt oder
herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4te Titan wird
dich ſchon zur Antwort zwingen.
Lies doch Novalis 〈v. Hardenberg〉 Schriften; ich kante ihn per-
ſönlich als einen reinen, ſanften, religiöſen und doch feuerreichen 35
Karakter. Er ſtarb einer Geliebten nach. Sein poetiſches Chriſtenthum
war auch ſein theoretiſches. Die ganze Familie hat einen Anflug von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/219>, abgerufen am 16.07.2024.
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