Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

Bild:
<< vorherige Seite

Brief nach Coburg, weil ich dahin schon Anfangs Maies ziehe, um
ein Paradies im geographischen Sin zu haben; und schreibe mir in
deinem nächsten Briefe deine Gedanken über den 4ten Titan, der in der
Oster Messe gewis erscheint.

Hinten in meinem litterarischen Imbreviatur oder Sudelprotokol5
hab' ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die
zufälligen Novitäten samle, um sie, wenn ich anfange, sogleich vor
mir zum Versenden zu haben. Ohne das vergisset man im Feuer das
Beste, wenigstens das Älteste. Zu beiden gehört, daß im September
meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß also der Vater10
viel närrischer ist als der Eheman. Und so gros die Entzückung war
(wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott sieht und
anbetet, verdient keinen sondern den Satan): so trit doch noch die
götliche Aussicht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue grössere
Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des15
knospen-vollen Neulings und die Lust und Liebe ist unermeslich und
unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich!
[236]köntest du einmal in meiner Stube und bei meiner Caroline sein und
bei meiner Emma Idoine: ich wolte gern die besten metaphysischen
Freuden missen! -- Sonderbar, daß ich troz meiner südlichen Ab-20
errazion doch noch immer der festen innigsten Hofnung lebe, daß wir
uns hienieden sehen. Gern reis' ich dir entgegen, wenn du entgegen
reisest.


Ich wil dir doch die alten Explosionen schicken. Du schweigst gar zu25
hart. Die Winter fürcht' ich immer deinetwegen; ich selber blühe in
jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begiesse, das deiner
Rinde und deinem Marke eben so wohl thäte, wenn du fränkisches so
weit haben köntest. --

30

Ich wil das Blat schliessen, so wenig Früchte es auch bedekt oder
herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4te Titan wird
dich schon zur Antwort zwingen.

Lies doch Novalis v. Hardenberg Schriften; ich kante ihn per-
sönlich als einen reinen, sanften, religiösen und doch feuerreichen35
Karakter. Er starb einer Geliebten nach. Sein poetisches Christenthum
war auch sein theoretisches. Die ganze Familie hat einen Anflug von

Brief nach Coburg, weil ich dahin ſchon Anfangs Maies ziehe, um
ein Paradies im geographiſchen Sin zu haben; und ſchreibe mir in
deinem nächſten Briefe deine Gedanken über den 4ten Titan, der in der
Oſter Meſſe gewis erſcheint.

Hinten in meinem litterariſchen Imbreviatur oder Sudelprotokol5
hab’ ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die
zufälligen Novitäten ſamle, um ſie, wenn ich anfange, ſogleich vor
mir zum Verſenden zu haben. Ohne das vergiſſet man im Feuer das
Beſte, wenigſtens das Älteſte. Zu beiden gehört, daß im September
meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß alſo der Vater10
viel närriſcher iſt als der Eheman. Und ſo gros die Entzückung war
(wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott ſieht und
anbetet, verdient keinen ſondern den Satan): ſo trit doch noch die
götliche Ausſicht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue gröſſere
Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des15
knoſpen-vollen Neulings und die Luſt und Liebe iſt unermeslich und
unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich!
[236]könteſt du einmal in meiner Stube und bei meiner Caroline ſein und
bei meiner Emma Idoine: ich wolte gern die beſten metaphyſiſchen
Freuden miſſen! — Sonderbar, daß ich troz meiner ſüdlichen Ab-20
errazion doch noch immer der feſten innigſten Hofnung lebe, daß wir
uns hienieden ſehen. Gern reiſ’ ich dir entgegen, wenn du entgegen
reiſeſt.


Ich wil dir doch die alten Exploſionen ſchicken. Du ſchweigſt gar zu25
hart. Die Winter fürcht’ ich immer deinetwegen; ich ſelber blühe in
jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begieſſe, das deiner
Rinde und deinem Marke eben ſo wohl thäte, wenn du fränkiſches ſo
weit haben könteſt. —

30

Ich wil das Blat ſchlieſſen, ſo wenig Früchte es auch bedekt oder
herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4te Titan wird
dich ſchon zur Antwort zwingen.

Lies doch Novalis 〈v. Hardenberg〉 Schriften; ich kante ihn per-
ſönlich als einen reinen, ſanften, religiöſen und doch feuerreichen35
Karakter. Er ſtarb einer Geliebten nach. Sein poetiſches Chriſtenthum
war auch ſein theoretiſches. Die ganze Familie hat einen Anflug von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0219" n="212"/>
Brief nach <hi rendition="#aq">Coburg,</hi> weil ich dahin &#x017F;chon Anfangs Maies ziehe, um<lb/>
ein Paradies im geographi&#x017F;chen Sin zu haben; und &#x017F;chreibe mir in<lb/>
deinem näch&#x017F;ten Briefe deine Gedanken über den 4<hi rendition="#sup">ten</hi> <hi rendition="#aq">Titan,</hi> der in der<lb/>
O&#x017F;ter Me&#x017F;&#x017F;e gewis er&#x017F;cheint.</p><lb/>
        <p>Hinten in meinem litterari&#x017F;chen <hi rendition="#aq">Imbreviatur</hi> oder Sudelprotokol<lb n="5"/>
hab&#x2019; ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die<lb/>
zufälligen Novitäten &#x017F;amle, um &#x017F;ie, wenn ich anfange, &#x017F;ogleich vor<lb/>
mir zum Ver&#x017F;enden zu haben. Ohne das vergi&#x017F;&#x017F;et man im Feuer das<lb/>
Be&#x017F;te, wenig&#x017F;tens das Älte&#x017F;te. Zu beiden gehört, daß im <hi rendition="#aq">September</hi><lb/>
meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß al&#x017F;o der Vater<lb n="10"/>
viel närri&#x017F;cher i&#x017F;t als der Eheman. Und &#x017F;o gros die Entzückung war<lb/>
(wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott &#x017F;ieht und<lb/>
anbetet, verdient keinen &#x017F;ondern den Satan): &#x017F;o trit doch noch die<lb/>
götliche Aus&#x017F;icht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue grö&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des<lb n="15"/>
kno&#x017F;pen-vollen Neulings und die Lu&#x017F;t und Liebe i&#x017F;t unermeslich und<lb/>
unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich!<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd4_236">[236]</ref></note>könte&#x017F;t du einmal in meiner Stube und bei meiner <hi rendition="#aq">Caroline</hi> &#x017F;ein und<lb/>
bei meiner <hi rendition="#aq">Emma Idoine:</hi> ich wolte gern die be&#x017F;ten metaphy&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Freuden mi&#x017F;&#x017F;en! &#x2014; Sonderbar, daß ich troz meiner &#x017F;üdlichen Ab-<lb n="20"/>
errazion doch noch immer der fe&#x017F;ten innig&#x017F;ten Hofnung lebe, daß wir<lb/>
uns hienieden &#x017F;ehen. Gern rei&#x017F;&#x2019; ich dir entgegen, wenn du entgegen<lb/>
rei&#x017F;e&#x017F;t.</p><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 5. <hi rendition="#g">April.</hi></hi> </dateline><lb/>
          <p>Ich wil dir doch die alten Explo&#x017F;ionen &#x017F;chicken. Du &#x017F;chweig&#x017F;t gar zu<lb n="25"/>
hart. Die Winter fürcht&#x2019; ich immer deinetwegen; ich &#x017F;elber blühe in<lb/>
jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begie&#x017F;&#x017F;e, das deiner<lb/>
Rinde und deinem Marke eben &#x017F;o wohl thäte, wenn du fränki&#x017F;ches &#x017F;o<lb/>
weit haben könte&#x017F;t. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 9. Apr.</hi> </dateline>
          <lb n="30"/>
          <p>Ich wil das Blat &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wenig Früchte es auch bedekt oder<lb/>
herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4<hi rendition="#sup">te</hi> Titan wird<lb/>
dich &#x017F;chon zur Antwort zwingen.</p><lb/>
          <p>Lies doch Novalis &#x2329;<hi rendition="#aq">v. Hardenberg</hi>&#x232A; Schriften; ich kante ihn per-<lb/>
&#x017F;önlich als einen reinen, &#x017F;anften, religiö&#x017F;en und doch feuerreichen<lb n="35"/>
Karakter. Er &#x017F;tarb einer Geliebten nach. Sein poeti&#x017F;ches Chri&#x017F;tenthum<lb/>
war auch &#x017F;ein theoreti&#x017F;ches. Die ganze Familie hat einen Anflug von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0219] Brief nach Coburg, weil ich dahin ſchon Anfangs Maies ziehe, um ein Paradies im geographiſchen Sin zu haben; und ſchreibe mir in deinem nächſten Briefe deine Gedanken über den 4ten Titan, der in der Oſter Meſſe gewis erſcheint. Hinten in meinem litterariſchen Imbreviatur oder Sudelprotokol 5 hab’ ich für einige Freunde immer einige Pläze, wo ich für jeden die zufälligen Novitäten ſamle, um ſie, wenn ich anfange, ſogleich vor mir zum Verſenden zu haben. Ohne das vergiſſet man im Feuer das Beſte, wenigſtens das Älteſte. Zu beiden gehört, daß im September meine Frau mir ein götliches Mädgen gab und daß alſo der Vater 10 viel närriſcher iſt als der Eheman. Und ſo gros die Entzückung war (wer unter und gleich nach einer Entbindung keinen Gott ſieht und anbetet, verdient keinen ſondern den Satan): ſo trit doch noch die götliche Ausſicht und Erfahrung dazu, daß jeder Tag eine neue gröſſere Freude bringt; denn jeder liefert ein Paar neue Züge und Klänge des 15 knoſpen-vollen Neulings und die Luſt und Liebe iſt unermeslich und unergründlich. Nun aber vollends bei meiner Frau! Ach Heinrich! könteſt du einmal in meiner Stube und bei meiner Caroline ſein und bei meiner Emma Idoine: ich wolte gern die beſten metaphyſiſchen Freuden miſſen! — Sonderbar, daß ich troz meiner ſüdlichen Ab- 20 errazion doch noch immer der feſten innigſten Hofnung lebe, daß wir uns hienieden ſehen. Gern reiſ’ ich dir entgegen, wenn du entgegen reiſeſt. [236] d. 5. April. Ich wil dir doch die alten Exploſionen ſchicken. Du ſchweigſt gar zu 25 hart. Die Winter fürcht’ ich immer deinetwegen; ich ſelber blühe in jeder Jahrszeit, weil ich mich mit einem Bier begieſſe, das deiner Rinde und deinem Marke eben ſo wohl thäte, wenn du fränkiſches ſo weit haben könteſt. — d. 9. Apr. 30 Ich wil das Blat ſchlieſſen, ſo wenig Früchte es auch bedekt oder herträgt, damit ich nur von dir einige bekomme. Der 4te Titan wird dich ſchon zur Antwort zwingen. Lies doch Novalis 〈v. Hardenberg〉 Schriften; ich kante ihn per- ſönlich als einen reinen, ſanften, religiöſen und doch feuerreichen 35 Karakter. Er ſtarb einer Geliebten nach. Sein poetiſches Chriſtenthum war auch ſein theoretiſches. Die ganze Familie hat einen Anflug von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/219
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/219>, abgerufen am 08.05.2024.