3 Grazien hab ich fast hinter einander gesehen. Die Frau von Lede- bur, die ich bei der Gräfin Münster gesehen und mit der ich zur Ber- lepsch zog und vorher in einer schönen Junta nach Raschwiz, wo wieder etwas noch schöneres mit sanften linden Engels-Augenliedern war, eine Kriegsräthin Quandt aus Berlin, die mir Grüsse von la5 Fontaine brachte. Und aus demselben Berlin kam auch die Freundin Goethe's, Marianne Meier, mit der ich wieder durch das Rosenthal zur B[erlepsch] zog und die eine hohe Stufe der weiblichen Bildung ohne Prätension und doch mit Kraft und Ruhe ziert. Überhaupt erstaun' ich über die langen Flügel ausgebildeter Weiberseelen -- nur10 daß unsere doch immer die Aeste bleiben, wovon und worauf sie fliegen -- und über ihre Unähnlichkeit, anstat daß uns die Kultur zu Einem glatten Brei zusammenquirlet. -- Die Meier, bei der ich as, so lange sie da war, kent denn doch viel Prinzen, welches den Teufel gesehen hat. -- Die Skribenten ahmen mich jezt sehr nach, wodurch sie15 mich stärker und feiner kritisieren als irgend eine Zeitung: La Fontaine's Julien hat es mein Schlegel öffentlich vorgeworfen; "eine Reise durch Sonne Mond und Sterne" bei Hennings (wahrscheinlich von Spangenberg) thut es offenbar, es feh[l]t ihm nicht an Wiz und Phantasie, nur fehlt oft der Menschenverstand. -- Ein anderer hat20 sich auf die Namen Matilde, Immanuel etc. eingeschränkt. -- Klingers Buch hat leider Weissens Frau noch. -- Die Konzilienakten bringe mit durch, weil ich die Wiederfoderung fürchte. -- Schulz, der Verf. des Moriz, hat kein Gedächtnis, keine Besinnung, gar kein Leben mehr, er ist bis aufs Mark ausgehöhlt. -- "mit kaiserlichen25 Freiheiten" leiden die russischen Zensoren nicht, wegen der Revolu- zionsfreiheit; so werden da auch französische Bücher mit Logarithmen verbrant. --
Jezt lies den Brief von Samuel und erst dan diesen hinaus.
[79]-- Dieser gefält mir wegen der Kälte des Herzens am wenigsten.30 Ich fasse nichts: sol ich ihn denn für so dum halten, daß er glaubt, seine Existenz in Erlang sei mir unbekant? -- Gerade den bessern Rok schikte er mir, welches bei seiner Eitelkeit den Kauf eines neuen be- weiset. -- Ach wie wenig wird mir überhaupt meine Bruderliebe zurükgegeben! -- Und ich sehne mich so nach fremder!35
Der Titan umstrikt mich so, daß ich mit Mühe etwas Neues lese. -- Lebe wohl und grüsse die Deinen.
R.
3 Grazien hab ich faſt hinter einander geſehen. Die Frau von Lede- bur, die ich bei der Gräfin Münſter geſehen und mit der ich zur Ber- lepsch zog und vorher in einer ſchönen Junta nach Raſchwiz, wo wieder etwas noch ſchöneres mit ſanften linden Engels-Augenliedern war, eine Kriegsräthin Quandt aus Berlin, die mir Grüſſe von la5 Fontaine brachte. Und aus demſelben Berlin kam auch die Freundin Goethe’s, Marianne Meier, mit der ich wieder durch das Roſenthal zur B[erlepsch] zog und die eine hohe Stufe der weiblichen Bildung ohne Prätenſion und doch mit Kraft und Ruhe ziert. Überhaupt erſtaun’ ich über die langen Flügel ausgebildeter Weiberſeelen — nur10 daß unſere doch immer die Aeſte bleiben, wovon und worauf ſie fliegen — und über ihre Unähnlichkeit, anſtat daß uns die Kultur zu Einem glatten Brei zuſammenquirlet. — Die Meier, bei der ich as, ſo lange ſie da war, kent denn doch viel Prinzen, welches den Teufel geſehen hat. — Die Skribenten ahmen mich jezt ſehr nach, wodurch ſie15 mich ſtärker und feiner kritiſieren als irgend eine Zeitung: La Fontaine’s Julien hat es mein Schlegel öffentlich vorgeworfen; „eine Reiſe durch Sonne Mond und Sterne“ bei Hennings (wahrſcheinlich von Spangenberg) thut es offenbar, es feh[l]t ihm nicht an Wiz und Phantaſie, nur fehlt oft der Menſchenverſtand. — Ein anderer hat20 ſich auf die Namen Matilde, Immanuel ꝛc. eingeſchränkt. — Klingers Buch hat leider Weiſſens Frau noch. — Die Konzilienakten bringe mit durch, weil ich die Wiederfoderung fürchte. — Schulz, der Verf. des Moriz, hat kein Gedächtnis, keine Beſinnung, gar kein Leben mehr, er iſt bis aufs Mark ausgehöhlt. — „mit kaiſerlichen25 Freiheiten“ leiden die ruſſiſchen Zenſoren nicht, wegen der Revolu- zionsfreiheit; ſo werden da auch franzöſiſche Bücher mit Logarithmen verbrant. —
Jezt lies den Brief von Samuel und erſt dan dieſen hinaus.
[79]— Dieſer gefält mir wegen der Kälte des Herzens am wenigſten.30 Ich faſſe nichts: ſol ich ihn denn für ſo dum halten, daß er glaubt, ſeine Exiſtenz in Erlang ſei mir unbekant? — Gerade den beſſern Rok ſchikte er mir, welches bei ſeiner Eitelkeit den Kauf eines neuen be- weiſet. — Ach wie wenig wird mir überhaupt meine Bruderliebe zurükgegeben! — Und ich ſehne mich ſo nach fremder!35
Der Titan umſtrikt mich ſo, daß ich mit Mühe etwas Neues leſe. — Lebe wohl und grüſſe die Deinen.
R.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0080"n="72"/><p>3 Grazien hab ich faſt hinter einander geſehen. Die Frau von <hirendition="#aq">Lede-<lb/>
bur,</hi> die ich bei der Gräfin Münſter geſehen und mit der ich zur <hirendition="#aq">Ber-<lb/>
lepsch</hi> zog und vorher in einer ſchönen Junta nach Raſchwiz, wo<lb/>
wieder etwas noch ſchöneres mit ſanften linden Engels-Augenliedern<lb/>
war, eine Kriegsräthin Quandt aus Berlin, die mir Grüſſe von la<lbn="5"/>
Fontaine brachte. Und aus demſelben Berlin kam auch die Freundin<lb/><hirendition="#aq">Goethe’s,</hi> Marianne Meier, mit der ich wieder durch das Roſenthal<lb/>
zur <hirendition="#aq">B[erlepsch]</hi> zog und die eine hohe Stufe der weiblichen Bildung<lb/>
ohne Prätenſion und doch mit Kraft und Ruhe ziert. Überhaupt<lb/>
erſtaun’ ich über die langen Flügel ausgebildeter Weiberſeelen — nur<lbn="10"/>
daß unſere doch immer die Aeſte bleiben, wovon und worauf ſie<lb/>
fliegen — und über ihre Unähnlichkeit, anſtat daß uns die Kultur zu<lb/>
Einem glatten Brei zuſammenquirlet. — Die Meier, bei der ich as,<lb/>ſo lange ſie da war, kent denn doch viel Prinzen, welches den Teufel<lb/>
geſehen hat. — Die Skribenten ahmen mich jezt ſehr nach, wodurch ſie<lbn="15"/>
mich ſtärker und feiner kritiſieren als irgend eine Zeitung: La Fontaine’s<lb/>
Julien hat es mein Schlegel öffentlich vorgeworfen; „eine Reiſe durch<lb/>
Sonne Mond und Sterne“ bei <hirendition="#aq">Hennings</hi> (wahrſcheinlich von<lb/><hirendition="#aq">Spangenberg</hi>) thut es offenbar, es feh[l]t ihm nicht an Wiz und<lb/>
Phantaſie, nur fehlt oft der Menſchenverſtand. — Ein anderer hat<lbn="20"/>ſich auf die Namen Matilde, Immanuel ꝛc. eingeſchränkt. —<lb/>
Klingers Buch hat leider Weiſſens Frau noch. — Die Konzilienakten<lb/>
bringe mit durch, weil ich die Wiederfoderung fürchte. — Schulz, der<lb/>
Verf. des Moriz, hat kein Gedächtnis, keine Beſinnung, gar kein<lb/>
Leben mehr, er iſt bis aufs Mark ausgehöhlt. —„mit kaiſerlichen<lbn="25"/><hirendition="#g">Freiheiten</hi>“ leiden die ruſſiſchen Zenſoren nicht, wegen der Revolu-<lb/>
zionsfreiheit; ſo werden da auch franzöſiſche Bücher mit Logarithmen<lb/>
verbrant. —</p><lb/><p>Jezt lies den Brief von <hirendition="#aq">Samuel</hi> und erſt dan dieſen hinaus.</p><lb/><p><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd3_79">[79]</ref></note>— Dieſer gefält mir wegen der Kälte des Herzens am wenigſten.<lbn="30"/>
Ich faſſe nichts: ſol ich ihn denn für ſo dum halten, daß er glaubt, ſeine<lb/>
Exiſtenz in Erlang ſei mir unbekant? — Gerade den beſſern Rok<lb/>ſchikte er mir, welches bei ſeiner Eitelkeit den Kauf eines neuen be-<lb/>
weiſet. — Ach wie wenig wird mir überhaupt meine Bruderliebe<lb/>
zurükgegeben! — Und ich ſehne mich ſo nach fremder!<lbn="35"/></p><p>Der Titan umſtrikt mich ſo, daß ich mit Mühe etwas Neues leſe. —<lb/>
Lebe wohl und grüſſe die Deinen.</p><closer><salute><hirendition="#sameLine"><hirendition="#right">R.</hi></hi></salute></closer></div><lb/></body></text></TEI>
[72/0080]
3 Grazien hab ich faſt hinter einander geſehen. Die Frau von Lede-
bur, die ich bei der Gräfin Münſter geſehen und mit der ich zur Ber-
lepsch zog und vorher in einer ſchönen Junta nach Raſchwiz, wo
wieder etwas noch ſchöneres mit ſanften linden Engels-Augenliedern
war, eine Kriegsräthin Quandt aus Berlin, die mir Grüſſe von la 5
Fontaine brachte. Und aus demſelben Berlin kam auch die Freundin
Goethe’s, Marianne Meier, mit der ich wieder durch das Roſenthal
zur B[erlepsch] zog und die eine hohe Stufe der weiblichen Bildung
ohne Prätenſion und doch mit Kraft und Ruhe ziert. Überhaupt
erſtaun’ ich über die langen Flügel ausgebildeter Weiberſeelen — nur 10
daß unſere doch immer die Aeſte bleiben, wovon und worauf ſie
fliegen — und über ihre Unähnlichkeit, anſtat daß uns die Kultur zu
Einem glatten Brei zuſammenquirlet. — Die Meier, bei der ich as,
ſo lange ſie da war, kent denn doch viel Prinzen, welches den Teufel
geſehen hat. — Die Skribenten ahmen mich jezt ſehr nach, wodurch ſie 15
mich ſtärker und feiner kritiſieren als irgend eine Zeitung: La Fontaine’s
Julien hat es mein Schlegel öffentlich vorgeworfen; „eine Reiſe durch
Sonne Mond und Sterne“ bei Hennings (wahrſcheinlich von
Spangenberg) thut es offenbar, es feh[l]t ihm nicht an Wiz und
Phantaſie, nur fehlt oft der Menſchenverſtand. — Ein anderer hat 20
ſich auf die Namen Matilde, Immanuel ꝛc. eingeſchränkt. —
Klingers Buch hat leider Weiſſens Frau noch. — Die Konzilienakten
bringe mit durch, weil ich die Wiederfoderung fürchte. — Schulz, der
Verf. des Moriz, hat kein Gedächtnis, keine Beſinnung, gar kein
Leben mehr, er iſt bis aufs Mark ausgehöhlt. — „mit kaiſerlichen 25
Freiheiten“ leiden die ruſſiſchen Zenſoren nicht, wegen der Revolu-
zionsfreiheit; ſo werden da auch franzöſiſche Bücher mit Logarithmen
verbrant. —
Jezt lies den Brief von Samuel und erſt dan dieſen hinaus.
— Dieſer gefält mir wegen der Kälte des Herzens am wenigſten. 30
Ich faſſe nichts: ſol ich ihn denn für ſo dum halten, daß er glaubt, ſeine
Exiſtenz in Erlang ſei mir unbekant? — Gerade den beſſern Rok
ſchikte er mir, welches bei ſeiner Eitelkeit den Kauf eines neuen be-
weiſet. — Ach wie wenig wird mir überhaupt meine Bruderliebe
zurükgegeben! — Und ich ſehne mich ſo nach fremder! 35
[79]Der Titan umſtrikt mich ſo, daß ich mit Mühe etwas Neues leſe. —
Lebe wohl und grüſſe die Deinen.
R.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/80>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.