mirs unmöglich, mehr zu Hause zu bleiben, sondern ich mus nach -- Halberstadt; und dan, liebster Dichter, bring' ich Ihnen die Ent- schuldigung, den Dank und die Antwort, welche ich Ihnen so lange schuldig bin. Aber ich mögte unsern lieben Alten vom Musenberge, Gleim, nicht verfehlen, den vielleicht die Huldigung von Ihnen weg-5 gezogen haben könte. In diesem Falle würd' ich erst nach seiner Rük- kehr kommen, und im schönern schon am Ende künftiger Woche. Ich bitte Sie daher -- wenn ein Unbekanter so viel bitten darf -- um eine kleine Belehrung darüber, die ich im Hause des Herrn Reichard in Giebichenstein bei Halle erwarten wil. Leben Sie wohl und vergeben10 Sie mir.
Jean Paul Fr. Richter
103. An Christian Otto.
L[eipzig] d. 2. July 98.
Lieber Otto! Nichts wird mir jezt schwerer als Schweigen, -- ob15 ich gleich in keine Posttasche etwas lege, die nicht nach Hof geht --, blos weil es andern leichter wird und weil mir durch die Flucht meines Samuels die lezte Ruine meines Vaterlandslebens umgebrochen ist, die noch vorragte. Du soltest die Leute um dich her -- Amönen aus- genommen, die zu leben weis, nämlich zu schreiben -- zu Briefen an-20 fachen an einen einsiedlerischen Insulaner, den die fremden Schiffe nicht über die Reste der frühern Jahre trösten. Ach man liebt nichts so sehr als was man lange liebte. Daher -- um so mehr, da das Geschik mir mit zwei neuen Wolken den Weg zu 2 alten Wünschen zeigt, kurz da ich wieder zwei- wenigstens einerlei vorhabe, und da wir alle der25 Veränderung jezt zufliegen, nicht zugehen -- steh' ich für nichts, wenn da die Berlepsch nach Eger reiset. Sie wil mich mit haben. Das thu' ich nicht; aber herwärts im Septemb. wäre viel möglich, wenn ich vorher 2 andere Reisen glüklich gemacht hätte. Ich meine nämlich, wenn Wernlein im September ein vernünftiger Mensch würde --30 woran wegen Kürze der Zeit zu zweifeln -- und in Hof einliefe: so[78] könten wir beide uns ja warlich in 1 Hafen treffen und alles wäre gut und in geraden Zahlen bestelt und nichts fehlte als Georg, der bleiben kan wo er ist. -- Ich hecke hier ruhig dieses Ei und stelle dem Geschik sein Anbrüten oder Wegwerfen anheim; mach' also nichts35 daraus.
mirs unmöglich, mehr zu Hauſe zu bleiben, ſondern ich mus nach — Halberſtadt; und dan, liebſter Dichter, bring’ ich Ihnen die Ent- ſchuldigung, den Dank und die Antwort, welche ich Ihnen ſo lange ſchuldig bin. Aber ich mögte unſern lieben Alten vom Muſenberge, Gleim, nicht verfehlen, den vielleicht die Huldigung von Ihnen weg-5 gezogen haben könte. In dieſem Falle würd’ ich erſt nach ſeiner Rük- kehr kommen, und im ſchönern ſchon am Ende künftiger Woche. Ich bitte Sie daher — wenn ein Unbekanter ſo viel bitten darf — um eine kleine Belehrung darüber, die ich im Hauſe des Herrn Reichard in Giebichenſtein bei Halle erwarten wil. Leben Sie wohl und vergeben10 Sie mir.
Jean Paul Fr. Richter
103. An Chriſtian Otto.
L[eipzig] d. 2. July 98.
Lieber Otto! Nichts wird mir jezt ſchwerer als Schweigen, — ob15 ich gleich in keine Poſttaſche etwas lege, die nicht nach Hof geht —, blos weil es andern leichter wird und weil mir durch die Flucht meines Samuels die lezte Ruine meines Vaterlandslebens umgebrochen iſt, die noch vorragte. Du ſolteſt die Leute um dich her — Amönen aus- genommen, die zu leben weis, nämlich zu ſchreiben — zu Briefen an-20 fachen an einen einſiedleriſchen Inſulaner, den die fremden Schiffe nicht über die Reſte der frühern Jahre tröſten. Ach man liebt nichts ſo ſehr als was man lange liebte. Daher — um ſo mehr, da das Geſchik mir mit zwei neuen Wolken den Weg zu 2 alten Wünſchen zeigt, kurz da ich wieder zwei- wenigſtens einerlei vorhabe, und da wir alle der25 Veränderung jezt zufliegen, nicht zugehen — ſteh’ ich für nichts, wenn 〈da〉 die Berlepsch nach Eger reiſet. Sie wil mich mit haben. Das thu’ ich nicht; aber herwärts 〈im Septemb.〉 wäre viel möglich, wenn ich vorher 2 andere Reiſen glüklich gemacht hätte. Ich meine nämlich, wenn Wernlein im September ein vernünftiger Menſch würde —30 woran wegen Kürze der Zeit zu zweifeln — und in Hof einliefe: ſo[78] könten wir beide uns ja warlich in 1 Hafen treffen und alles wäre gut und in geraden Zahlen beſtelt und nichts fehlte als Georg, der bleiben kan wo er iſt. — Ich hecke hier ruhig dieſes Ei und ſtelle dem Geſchik ſein Anbrüten oder Wegwerfen anheim; mach’ alſo nichts35 daraus.
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mirs unmöglich, mehr zu Hauſe zu bleiben, ſondern ich mus nach —
Halberſtadt; und dan, liebſter Dichter, bring’ ich Ihnen die Ent-
ſchuldigung, den Dank und die Antwort, welche ich Ihnen ſo lange
ſchuldig bin. Aber ich mögte unſern lieben Alten vom Muſenberge,
Gleim, nicht verfehlen, den vielleicht die Huldigung von Ihnen weg- 5
gezogen haben könte. In dieſem Falle würd’ ich erſt nach ſeiner Rük-
kehr kommen, und im ſchönern ſchon am Ende künftiger Woche. Ich
bitte Sie daher — wenn ein Unbekanter ſo viel bitten darf — um eine
kleine Belehrung darüber, die ich im Hauſe des Herrn Reichard in
Giebichenſtein bei Halle erwarten wil. Leben Sie wohl und vergeben 10
Sie mir.
Jean Paul Fr. Richter
103. An Chriſtian Otto.
L[eipzig] d. 2. July 98.
Lieber Otto! Nichts wird mir jezt ſchwerer als Schweigen, — ob 15
ich gleich in keine Poſttaſche etwas lege, die nicht nach Hof geht —,
blos weil es andern leichter wird und weil mir durch die Flucht meines
Samuels die lezte Ruine meines Vaterlandslebens umgebrochen iſt,
die noch vorragte. Du ſolteſt die Leute um dich her — Amönen aus-
genommen, die zu leben weis, nämlich zu ſchreiben — zu Briefen an- 20
fachen an einen einſiedleriſchen Inſulaner, den die fremden Schiffe
nicht über die Reſte der frühern Jahre tröſten. Ach man liebt nichts ſo
ſehr als was man lange liebte. Daher — um ſo mehr, da das Geſchik
mir mit zwei neuen Wolken den Weg zu 2 alten Wünſchen zeigt, kurz
da ich wieder zwei- wenigſtens einerlei vorhabe, und da wir alle der 25
Veränderung jezt zufliegen, nicht zugehen — ſteh’ ich für nichts, wenn
〈da〉 die Berlepsch nach Eger reiſet. Sie wil mich mit haben. Das
thu’ ich nicht; aber herwärts 〈im Septemb.〉 wäre viel möglich, wenn
ich vorher 2 andere Reiſen glüklich gemacht hätte. Ich meine nämlich,
wenn Wernlein im September ein vernünftiger Menſch würde — 30
woran wegen Kürze der Zeit zu zweifeln — und in Hof einliefe: ſo
könten wir beide uns ja warlich in 1 Hafen treffen und alles wäre gut
und in geraden Zahlen beſtelt und nichts fehlte als Georg, der
bleiben kan wo er iſt. — Ich hecke hier ruhig dieſes Ei und ſtelle dem
Geſchik ſein Anbrüten oder Wegwerfen anheim; mach’ alſo nichts 35
daraus.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/79>, abgerufen am 09.11.2024.
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