Man giebt und findet groessere Liebe, wenn man geliebte und liebende Wesen an ihrem Wohnort, im Zirkel ihrer Thaten auf- sucht; an fremden Orten sind die Freunde fast Fremde. Ah darum möcht' ich Sie freilich lieber in Klein-Rambin sehen als in Berlin. Vielleicht geschieht es; aber niemand weis wenn; so weis ich auch5 nicht wenn -- sondern nur daß -- ich Sie in Berlin an mein Herz drücke.
Ich war wieder auf Chausseen. -- Nur ein Titular-Legations- rath bin ich. (Verzeihen Sie diese Sprünge; ich kan Ihren Brief nur eilig und kurz beantworten) -- Über die Liebe denk' ich wie10 Sie. Früher im zwanzigsten Jahr dacht' ich nicht wie Sie; ich glaubte, die Ehe zerquetsche mit harter Hand die weichen Blütenblätter der Liebe, indem sie sie pflükke; aber jezt glaub' ich, daß das wechselseitige Hingeben, das die Ehe fodert, das gemeinschaftliche Aufopfern für das Kinderglük, das Tragen von15 einerlei Leiden, das Streben nach einerlei Zwecken auch die heiligste Liebe, die vorher blühte, noch mehr heilige und die festeste verewige; selber die Freundschaft kan nicht so innig lieben wie die Ehe.
Victor hat allerdings Klotilde an den Brautaltar geführt, wie20 Sie aus dem 1. Theil der Blumenstücke sehen können.
Da Sie so liebend die kleinen Nebelsterne in meinen Werken observieren: so bitt' ich Sie, auch einmal die Sternschnuppen[253] darin mir anzuzeigen. Niemand vertraegt und benüzt Tadel leichter wie ich. --25
Die Oekonomie ist die Arzenei einer verwundeten Seele. Ihr Geschlecht ist -- zumal in den hohen Ständen -- oft blos darum so krank und trübe, weil es nicht genug zu thun hat. Arbeiten und oekonomische Ziele, die man erreicht, stillen das Sehnen nach den hoehern, die man auf der Erde nicht erreicht.30
Alle Portraits, die man von mir gegeben -- vom Hesperus an bis zum neuen Kupferstich, der in Breslau herauskam -- sind verlaeumderisch unwahr. Ich wurde nie nur zur Haelfte getroffen, und immer ist aus meinen Bildnissen meine Menschenliebe und Redlichkeit weggelassen. -- Theuerste! haben Sie keine Silhouette35 von Sich, damit mein Auge sich doch an etwas über die geliebte Abwesende tröste und erfreue! -- Lebe wohl und ruhig, Gute,
Man giebt und findet groessere Liebe, wenn man geliebte und liebende Wesen an ihrem Wohnort, im Zirkel ihrer Thaten auf- sucht; an fremden Orten sind die Freunde fast Fremde. Ah darum möcht’ ich Sie freilich lieber in Klein-Rambin sehen als in Berlin. Vielleicht geschieht es; aber niemand weis wenn; so weis ich auch5 nicht wenn — sondern nur daß — ich Sie in Berlin an mein Herz drücke.
Ich war wieder auf Chausséen. — Nur ein Titular-Legations- rath bin ich. (Verzeihen Sie diese Sprünge; ich kan Ihren Brief nur eilig und kurz beantworten) — Über die Liebe denk’ ich wie10 Sie. Früher im zwanzigsten Jahr dacht’ ich nicht wie Sie; ich glaubte, die Ehe zerquetsche mit harter Hand die weichen Blütenblätter der Liebe, indem sie sie pflükke; aber jezt glaub’ ich, daß das wechselseitige Hingeben, das die Ehe fodert, das gemeinschaftliche Aufopfern für das Kinderglük, das Tragen von15 einerlei Leiden, das Streben nach einerlei Zwecken auch die heiligste Liebe, die vorher blühte, noch mehr heilige und die festeste verewige; selber die Freundschaft kan nicht so innig lieben wie die Ehe.
Victor hat allerdings Klotilde an den Brautaltar geführt, wie20 Sie aus dem 1. Theil der Blumenstücke sehen können.
Da Sie so liebend die kleinen Nebelsterne in meinen Werken observieren: so bitt’ ich Sie, auch einmal die Sternschnuppen[253] darin mir anzuzeigen. Niemand vertraegt und benüzt Tadel leichter wie ich. —25
Die Oekonomie ist die Arzenei einer verwundeten Seele. Ihr Geschlecht ist — zumal in den hohen Ständen — oft blos darum so krank und trübe, weil es nicht genug zu thun hat. Arbeiten und oekonomische Ziele, die man erreicht, stillen das Sehnen nach den hoehern, die man auf der Erde nicht erreicht.30
Alle Portraits, die man von mir gegeben — vom Hesperus an bis zum neuen Kupferstich, der in Breslau herauskam — sind verlaeumderisch unwahr. Ich wurde nie nur zur Haelfte getroffen, und immer ist aus meinen Bildnissen meine Menschenliebe und Redlichkeit weggelassen. — Theuerste! haben Sie keine Silhouette35 von Sich, damit mein Auge sich doch an etwas über die geliebte Abwesende tröste und erfreue! — Lebe wohl und ruhig, Gute,
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möcht’ ich Sie freilich lieber in Klein-Rambin sehen als in Berlin.
Vielleicht geschieht es; aber niemand weis wenn; so weis ich auch 5
nicht wenn — sondern nur daß — ich Sie in Berlin an mein Herz
drücke.
Ich war wieder auf Chausséen. — Nur ein Titular-Legations-
rath bin ich. (Verzeihen Sie diese Sprünge; ich kan Ihren Brief
nur eilig und kurz beantworten) — Über die Liebe denk’ ich wie 10
Sie. Früher im zwanzigsten Jahr dacht’ ich nicht wie Sie; ich
glaubte, die Ehe zerquetsche mit harter Hand die weichen
Blütenblätter der Liebe, indem sie sie pflükke; aber jezt glaub’
ich, daß das wechselseitige Hingeben, das die Ehe fodert, das
gemeinschaftliche Aufopfern für das Kinderglük, das Tragen von 15
einerlei Leiden, das Streben nach einerlei Zwecken auch die
heiligste Liebe, die vorher blühte, noch mehr heilige und die
festeste verewige; selber die Freundschaft kan nicht so innig
lieben wie die Ehe.
Victor hat allerdings Klotilde an den Brautaltar geführt, wie 20
Sie aus dem 1. Theil der Blumenstücke sehen können.
Da Sie so liebend die kleinen Nebelsterne in meinen Werken
observieren: so bitt’ ich Sie, auch einmal die Sternschnuppen
darin mir anzuzeigen. Niemand vertraegt und benüzt Tadel
leichter wie ich. — 25
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Die Oekonomie ist die Arzenei einer verwundeten Seele. Ihr
Geschlecht ist — zumal in den hohen Ständen — oft blos darum
so krank und trübe, weil es nicht genug zu thun hat. Arbeiten
und oekonomische Ziele, die man erreicht, stillen das Sehnen
nach den hoehern, die man auf der Erde nicht erreicht. 30
Alle Portraits, die man von mir gegeben — vom Hesperus an
bis zum neuen Kupferstich, der in Breslau herauskam — sind
verlaeumderisch unwahr. Ich wurde nie nur zur Haelfte getroffen,
und immer ist aus meinen Bildnissen meine Menschenliebe und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/246>, abgerufen am 22.11.2024.
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