Allegorie und sagte, er wäre dir näher als du meintest. Das sag ich indes einem Weibe nach; denn diese Wesen haben eine eigne Art, die Philosophie in den Philosophen und die schärfsten Säze in weiche Umrisse und Gefühle zu verwandeln und am Ende haben sie alle Ein System -- nämlich ihr Herz. Es könte eine zu gleicher Zeit die Kritik5 und die Metakritik annehmen und sagen: ich sehe wahrhaftig den Unterschied nicht! -- Herder schrieb jezt die 2te Auflage von "Gott" und strich den kleinsten Seitenblik gegen dich weg*) -- so viele Schmer- zen ihm auch dein Spinoza gab -- und theilte mir sie (wie die Meta- kritik, worüber ich aber damals ein unbedingtes Schweigen zusagen10 müssen) im Mspt. mit, um stat deiner Seele zu fühlen und zu rügen, mein Heinrich!
den 4. Jun.
Vergieb diese Pause dem Frühling, den ich immer verreise und ver- [218]träume. Ich war in Hildburghausen bei 3 liebenden fürstlichen15 Schwestern, denen nichts fehlte als die 4te, die Königin von Preussen. -- Indes entschuldige das Verschieben meiner Antworten mit dem Unterlassen der deinigen; denn in jedem Briefe, Lieber, versprichst du mir, im nächsten eigentlich erst recht zu antworten, allein im nächsten hast du mir immer wieder eine Antwort auf viel neuere Briefe zu20 versprechen. Ach bei dem epistolarischen Leben wird niemand fet; da ja kaum das gegenwärtige anschauliche zureicht, weil in jeder Gegen- wart so viel Epistolarisches ist. Eine Silhouette ist mir lieber als ein Brief; und deine hinter dem Spinoza, bei der mein Herz vor einigen Jahren wie begeistert und ahnend und seelig auffuhr, ist für mich ein25 1/2 Band epistolar[um] viri clariss[imi]. --
Deinen Fichtischen Brief hast du mir höchst wahrscheinlich nur geliehen; aber doch, so oft ich ihn auch gelesen, behalt' ich ihn bis auf dein näheres Licht und dan fliegt er zurük. -- Ich habe von Fichte nichts gelesen als den Abris seines Systems in Niethhammers [!] Journal,30 seine Moral und das was ich aus Schelling und Schlegel errieth; aber es brauchts auch nicht, sondern es komt auf das Fassen des Prin- zips, seines Archäus und fluidum nerveum an, dan lässet sich sogar vom niedern Kopfe alles andere, was sein höherer nachspint, konsequent und schwizend bei- und nachschaffen. Aber Heinrich, warum stössest du35
*) Er bleibt aber bei seiner Ansicht des Spinoza.
Allegorie und ſagte, er wäre dir näher als du meinteſt. Das ſag ich indes einem Weibe nach; denn dieſe Weſen haben eine eigne Art, die Philoſophie in den Philoſophen und die ſchärfſten Säze in weiche Umriſſe und Gefühle zu verwandeln und am Ende haben ſie alle Ein Syſtem — nämlich ihr Herz. Es könte eine zu gleicher Zeit die Kritik5 und die Metakritik annehmen und ſagen: ich ſehe wahrhaftig den Unterſchied nicht! — Herder ſchrieb jezt die 2te Auflage von „Gott“ und ſtrich den kleinſten Seitenblik gegen dich weg*) — ſo viele Schmer- zen ihm auch dein Spinoza gab — und theilte mir ſie (wie die Meta- kritik, worüber ich aber damals ein unbedingtes Schweigen zuſagen10 müſſen) im Mſpt. mit, um ſtat deiner Seele zu fühlen und zu rügen, mein Heinrich!
den 4. Jun.
Vergieb dieſe Pauſe dem Frühling, den ich immer verreiſe und ver- [218]träume. Ich war in Hildburghausen bei 3 liebenden fürſtlichen15 Schweſtern, denen nichts fehlte als die 4te, die Königin von Preuſſen. — Indes entſchuldige das Verſchieben meiner Antworten mit dem Unterlaſſen der deinigen; denn in jedem Briefe, Lieber, verſprichſt du mir, im nächſten eigentlich erſt recht zu antworten, allein im nächſten haſt du mir immer wieder eine Antwort auf viel neuere Briefe zu20 verſprechen. Ach bei dem epiſtolariſchen Leben wird niemand fet; da ja kaum das gegenwärtige anſchauliche zureicht, weil in jeder Gegen- wart ſo viel Epiſtolariſches iſt. Eine Silhouette iſt mir lieber als ein Brief; und deine hinter dem Spinoza, bei der mein Herz vor einigen Jahren wie begeiſtert und ahnend und ſeelig auffuhr, iſt für mich ein25 ½ Band epistolar[um] viri clariss[imi]. —
Deinen Fichtiſchen Brief haſt du mir höchſt wahrſcheinlich nur geliehen; aber doch, ſo oft ich ihn auch geleſen, behalt’ ich ihn bis auf dein näheres Licht und dan fliegt er zurük. — Ich habe von Fichte nichts geleſen als den Abris ſeines Syſtems in Niethhammers [!] Journal,30 ſeine Moral und das was ich aus Schelling und Schlegel errieth; aber es brauchts auch nicht, ſondern es komt auf das Faſſen des Prin- zips, ſeines Archäus und fluidum nerveum an, dan läſſet ſich ſogar vom niedern Kopfe alles andere, was ſein höherer nachſpint, konſequent und ſchwizend bei- und nachſchaffen. Aber Heinrich, warum ſtöſſeſt du35
*) Er bleibt aber bei ſeiner Anſicht des Spinoza.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0213"n="198"/>
Allegorie und ſagte, er wäre dir näher als du meinteſt. Das ſag ich<lb/>
indes einem Weibe nach; denn dieſe Weſen haben eine eigne Art, die<lb/>
Philoſophie in den Philoſophen und die ſchärfſten Säze in weiche<lb/>
Umriſſe und Gefühle zu verwandeln und am Ende haben ſie alle Ein<lb/>
Syſtem — nämlich ihr Herz. Es könte eine zu gleicher Zeit die Kritik<lbn="5"/>
und die Metakritik annehmen und ſagen: ich ſehe wahrhaftig den<lb/>
Unterſchied nicht! —<hirendition="#aq">Herder</hi>ſchrieb jezt die 2<hirendition="#sup">te</hi> Auflage von <hirendition="#aq">„Gott“</hi><lb/>
und ſtrich den kleinſten Seitenblik gegen dich weg<noteplace="foot"n="*)">Er bleibt aber bei ſeiner Anſicht des Spinoza.</note>—ſo viele Schmer-<lb/>
zen ihm auch dein Spinoza gab — und theilte mir ſie (wie die Meta-<lb/>
kritik, worüber ich aber damals ein <hirendition="#g">unbedingtes</hi> Schweigen zuſagen<lbn="10"/>
müſſen) im Mſpt. mit, um ſtat deiner Seele zu fühlen und zu rügen,<lb/>
mein Heinrich!</p><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right">den 4. Jun.</hi></dateline><lb/><p>Vergieb dieſe Pauſe dem Frühling, den ich immer verreiſe und ver-<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd3_218">[218]</ref></note>träume. Ich war in <hirendition="#aq">Hildburghausen</hi> bei 3 liebenden fürſtlichen<lbn="15"/>
Schweſtern, denen nichts fehlte als die 4<hirendition="#sup">te</hi>, die Königin von Preuſſen.<lb/>— Indes entſchuldige das Verſchieben meiner Antworten mit dem<lb/>
Unterlaſſen der deinigen; denn in jedem Briefe, Lieber, verſprichſt du<lb/>
mir, im nächſten eigentlich erſt recht zu antworten, allein im nächſten<lb/>
haſt du mir immer wieder eine Antwort auf viel neuere Briefe zu<lbn="20"/>
verſprechen. Ach bei dem epiſtolariſchen Leben wird niemand fet; da<lb/>
ja kaum das gegenwärtige anſchauliche zureicht, weil in jeder Gegen-<lb/>
wart ſo viel Epiſtolariſches iſt. Eine Silhouette iſt mir lieber als ein<lb/>
Brief; und deine hinter dem Spinoza, bei der mein Herz vor einigen<lb/>
Jahren wie begeiſtert und ahnend und ſeelig auffuhr, iſt für mich ein<lbn="25"/>
½ Band <hirendition="#aq">epistolar[um] viri clariss[imi].</hi>—</p><lb/><p>Deinen Fichtiſchen Brief haſt du mir höchſt wahrſcheinlich nur<lb/>
geliehen; aber doch, ſo oft ich ihn auch geleſen, behalt’ ich ihn bis auf<lb/>
dein näheres Licht und dan fliegt er zurük. — Ich habe von Fichte nichts<lb/>
geleſen als den Abris ſeines Syſtems in Niethhammers [!] Journal,<lbn="30"/>ſeine Moral und das was ich aus Schelling und Schlegel errieth;<lb/>
aber es brauchts auch nicht, ſondern es komt auf das Faſſen des Prin-<lb/>
zips, ſeines Archäus und <hirendition="#aq">fluidum nerveum</hi> an, dan läſſet ſich ſogar<lb/>
vom niedern Kopfe alles andere, was ſein höherer nachſpint, konſequent<lb/>
und ſchwizend bei- und nachſchaffen. Aber Heinrich, warum ſtöſſeſt du<lbn="35"/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0213]
Allegorie und ſagte, er wäre dir näher als du meinteſt. Das ſag ich
indes einem Weibe nach; denn dieſe Weſen haben eine eigne Art, die
Philoſophie in den Philoſophen und die ſchärfſten Säze in weiche
Umriſſe und Gefühle zu verwandeln und am Ende haben ſie alle Ein
Syſtem — nämlich ihr Herz. Es könte eine zu gleicher Zeit die Kritik 5
und die Metakritik annehmen und ſagen: ich ſehe wahrhaftig den
Unterſchied nicht! — Herder ſchrieb jezt die 2te Auflage von „Gott“
und ſtrich den kleinſten Seitenblik gegen dich weg *) — ſo viele Schmer-
zen ihm auch dein Spinoza gab — und theilte mir ſie (wie die Meta-
kritik, worüber ich aber damals ein unbedingtes Schweigen zuſagen 10
müſſen) im Mſpt. mit, um ſtat deiner Seele zu fühlen und zu rügen,
mein Heinrich!
den 4. Jun.
Vergieb dieſe Pauſe dem Frühling, den ich immer verreiſe und ver-
träume. Ich war in Hildburghausen bei 3 liebenden fürſtlichen 15
Schweſtern, denen nichts fehlte als die 4te, die Königin von Preuſſen.
— Indes entſchuldige das Verſchieben meiner Antworten mit dem
Unterlaſſen der deinigen; denn in jedem Briefe, Lieber, verſprichſt du
mir, im nächſten eigentlich erſt recht zu antworten, allein im nächſten
haſt du mir immer wieder eine Antwort auf viel neuere Briefe zu 20
verſprechen. Ach bei dem epiſtolariſchen Leben wird niemand fet; da
ja kaum das gegenwärtige anſchauliche zureicht, weil in jeder Gegen-
wart ſo viel Epiſtolariſches iſt. Eine Silhouette iſt mir lieber als ein
Brief; und deine hinter dem Spinoza, bei der mein Herz vor einigen
Jahren wie begeiſtert und ahnend und ſeelig auffuhr, iſt für mich ein 25
½ Band epistolar[um] viri clariss[imi]. —
[218]
Deinen Fichtiſchen Brief haſt du mir höchſt wahrſcheinlich nur
geliehen; aber doch, ſo oft ich ihn auch geleſen, behalt’ ich ihn bis auf
dein näheres Licht und dan fliegt er zurük. — Ich habe von Fichte nichts
geleſen als den Abris ſeines Syſtems in Niethhammers [!] Journal, 30
ſeine Moral und das was ich aus Schelling und Schlegel errieth;
aber es brauchts auch nicht, ſondern es komt auf das Faſſen des Prin-
zips, ſeines Archäus und fluidum nerveum an, dan läſſet ſich ſogar
vom niedern Kopfe alles andere, was ſein höherer nachſpint, konſequent
und ſchwizend bei- und nachſchaffen. Aber Heinrich, warum ſtöſſeſt du 35
*) Er bleibt aber bei ſeiner Anſicht des Spinoza.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/213>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.