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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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*273. In Emilie von Berlepschs Stammbuch.

Hohen Menschen zieht der Schmerz nach, wie Gewitter den Ge-
birgen; aber gleich diesen bricht er sich an ihnen. -- Heilig sei jedem
das Herz, das die überirdischen Schmerzen trafen, wie es den Alten
die Stätte wurde, auf die der Bliz des Himmels gefallen war; in ihm5
ruht die zweite Welt fester, im dunkeln Strome spiegelt sich der
Himmel lebendiger.

Im Norden schimmern die schönsten Sternbilder -- und
wenn ich dahin sehe und wenn ich die Aurora der Mitternacht
im Norden anschaue: so werde ich sagen, es gehe dir wohl, edle10
Seele, und Sterne und Abendroth leuchten dir. Nie, nie werd'
ich dein vergessen und die heiligen Stunden unter deinen Augen.

Dein ewiger, ewiger Freund.
274. An Jacobi.15

Geliebter Heinrich! (Lasse dich mit diesem Zaubernamen zitieren,
den du von dem besten und sternischten König, Heinrich IV von Frank-[217]
reich, geerbt; und wegen dieser Magie wurd' auch der an meiner Brust
anwohnende Leibgeber so getauft) -- Gott sei Dank, daß endlich20
alles ins Reine und keiner von uns mehr im Lauern ist, daß der andere
einen durchkreuzenden Brief ablasse. --

Zuerst deiner an Fichte! Herder hat ihn mit Wollust mehr als einmal
gelesen und alles gelobt, ausser das Lob -- das übertriebne durch deine
Winter-Wundheit --, das du ihm Fichten, sogar auf deine Kosten25
giebst. Fichte hat unendlichen Scharfsin und nichts weiter; wie kanst
du ihn mit dir nur vergleichen? Der Tiefsin, den du in deinem Spi-
noza so tief davon abtrenst, sezt innerlich gegebne Gegenstände voraus,
die uns eine andere Welt vol äusserer zeigen und die ich nie recht bei
Fichten fand. Sein Karakter ist mänlich und edel, aber auffahrend und30
egoistisch und blind-stolz (weil er nichts lieset und nichts kent), diese
3 Fehler lagen in seiner Bitte und Gegenbitte der Dimission. (Der
Artikel in der Hamburger Zeitung ist durchaus wahr) Deinen Brief
hat er entzükt, eh ich ihn hatte, der Fr. v. Kalb, meiner Freundin,
vorgelesen, d. h. den lobenden Theil und die trefliche Strumpf-35

*273. In Emilie von Berlepſchs Stammbuch.

Hohen Menſchen zieht der Schmerz nach, wie Gewitter den Ge-
birgen; aber gleich dieſen bricht er ſich an ihnen. — Heilig ſei jedem
das Herz, das die überirdiſchen Schmerzen trafen, wie es den Alten
die Stätte wurde, auf die der Bliz des Himmels gefallen war; in ihm5
ruht die zweite Welt feſter, im dunkeln Strome ſpiegelt ſich der
Himmel lebendiger.

Im Norden ſchimmern die ſchönſten Sternbilder — und
wenn ich dahin ſehe und wenn ich die Aurora der Mitternacht
im Norden anſchaue: ſo werde ich ſagen, es gehe dir wohl, edle10
Seele, und Sterne und Abendroth leuchten dir. Nie, nie werd’
ich dein vergeſſen und die heiligen Stunden unter deinen Augen.

Dein ewiger, ewiger Freund.
274. An Jacobi.15

Geliebter Heinrich! (Laſſe dich mit dieſem Zaubernamen zitieren,
den du von dem beſten und ſterniſchten König, Heinrich IV von Frank-[217]
reich, geerbt; und wegen dieſer Magie wurd’ auch der an meiner Bruſt
anwohnende Leibgeber ſo getauft) — Gott ſei Dank, daß endlich20
alles ins Reine und keiner von uns mehr im Lauern iſt, daß der andere
einen durchkreuzenden Brief ablaſſe. —

Zuerſt deiner an Fichte! Herder hat ihn mit Wolluſt mehr als einmal
geleſen und alles gelobt, auſſer das Lob — das übertriebne durch deine
Winter-Wundheit —, das du ihm 〈Fichten〉, ſogar auf deine Koſten25
giebſt. Fichte hat unendlichen Scharfſin und nichts weiter; wie kanſt
du ihn mit dir nur vergleichen? Der Tiefſin, den du in deinem Spi-
noza ſo tief davon abtrenſt, ſezt innerlich gegebne Gegenſtände voraus,
die uns eine andere Welt vol äuſſerer zeigen und die ich nie recht bei
Fichten fand. Sein Karakter iſt mänlich und edel, aber auffahrend und30
egoiſtiſch und blind-ſtolz (weil er nichts lieſet und nichts kent), dieſe
3 Fehler lagen in ſeiner Bitte und Gegenbitte der Dimiſſion. (Der
Artikel in der Hamburger Zeitung iſt durchaus wahr) Deinen Brief
hat er entzükt, eh ich ihn hatte, der Fr. v. Kalb, meiner Freundin,
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[197/0212] *273. In Emilie von Berlepſchs Stammbuch. Hohen Menſchen zieht der Schmerz nach, wie Gewitter den Ge- birgen; aber gleich dieſen bricht er ſich an ihnen. — Heilig ſei jedem das Herz, das die überirdiſchen Schmerzen trafen, wie es den Alten die Stätte wurde, auf die der Bliz des Himmels gefallen war; in ihm 5 ruht die zweite Welt feſter, im dunkeln Strome ſpiegelt ſich der Himmel lebendiger. Im Norden ſchimmern die ſchönſten Sternbilder — und wenn ich dahin ſehe und wenn ich die Aurora der Mitternacht im Norden anſchaue: ſo werde ich ſagen, es gehe dir wohl, edle 10 Seele, und Sterne und Abendroth leuchten dir. Nie, nie werd’ ich dein vergeſſen und die heiligen Stunden unter deinen Augen. Dein ewiger, ewiger Freund. Weimar d. 3 Jun. 1799. 274. An Jacobi. 15 Weimar d. 15. Mai 99. Geliebter Heinrich! (Laſſe dich mit dieſem Zaubernamen zitieren, den du von dem beſten und ſterniſchten König, Heinrich IV von Frank- reich, geerbt; und wegen dieſer Magie wurd’ auch der an meiner Bruſt anwohnende Leibgeber ſo getauft) — Gott ſei Dank, daß endlich 20 alles ins Reine und keiner von uns mehr im Lauern iſt, daß der andere einen durchkreuzenden Brief ablaſſe. — [217] Zuerſt deiner an Fichte! Herder hat ihn mit Wolluſt mehr als einmal geleſen und alles gelobt, auſſer das Lob — das übertriebne durch deine Winter-Wundheit —, das du ihm 〈Fichten〉, ſogar auf deine Koſten 25 giebſt. Fichte hat unendlichen Scharfſin und nichts weiter; wie kanſt du ihn mit dir nur vergleichen? Der Tiefſin, den du in deinem Spi- noza ſo tief davon abtrenſt, ſezt innerlich gegebne Gegenſtände voraus, die uns eine andere Welt vol äuſſerer zeigen und die ich nie recht bei Fichten fand. Sein Karakter iſt mänlich und edel, aber auffahrend und 30 egoiſtiſch und blind-ſtolz (weil er nichts lieſet und nichts kent), dieſe 3 Fehler lagen in ſeiner Bitte und Gegenbitte der Dimiſſion. (Der Artikel in der Hamburger Zeitung iſt durchaus wahr) Deinen Brief hat er entzükt, eh ich ihn hatte, der Fr. v. Kalb, meiner Freundin, vorgeleſen, d. h. den lobenden Theil und die trefliche Strumpf- 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/212>, abgerufen am 28.04.2024.