Mit Schiller strit ich oft bei der Wolzogen bis Nachts um 12 Uhr. Ich sehe dem Retif de la Bretonne gleich (nach einem Briefe Humbolds), sagt' er der Kalb und die Erziehung sei unser Unter- schied. --
Meine Seele ist trübe über das Leben, über das Jahrhundert und5 über mein leeres Herz -- mein Auge ist trocken und mein Herz steif, ausser zu Hause an meinem Klavier und Tisch. Die Menschen haben mir nie viel gegeben; ich habe sie geliebt und liebe sie ewig, aber wie gesagt, sie gaben und geben mir nicht viel.
Mit der Herzogin und Ihm bin ich ganz ausser Verhältnis.10
In Gotha fand ich so bunte weiche Bänder des Beisammen- [197]seins -- und soviel Auszeichnung bei dem Herzog, dem Erbprinzen und dem Hofe -- und was mehr ist, soviel holde Gestalten, daß ich nur die Blüten erwarte, um auf 4 Wochen dahin zu ziehen.
Wenn ich heirathe, bekomm' ich einen glattern Globus als der15 jezige mit seinen stechenden Bergspizen ist.
-- Du sagst stets, du hast nichts zu schreiben: warum und womit würdest köntest du mir auf jeden Brief eine Antwort geben? -- Bei Gott, hätt ich eben nichts zu schreiben, so schrieb ich leichter.
Ich werde dicker und ansehnlicher; die Migraine komt gar nicht20 mehr; Leben sizt mir um die Nase.
Mit Wieland bleib ich der alte Freund.
Beiläufig! vernimst du die Gerüchte, daß ich dessen Tochter -- Herders Tochter -- Amoene -- die Schroeder -- des Konsistorialrath- Weber's Tochter eheliche oder aus Weimar ziehe: so sage: "der Kauz25 "hat mir noch nichts davon vermeldet; und darum zweifl' ich ganz."
d. 11 A.
Schicke mir die Briefe bald wieder. -- Wie wil ich auf Klein Brief Oktav dir mein jeziges Herz aufspannen! Und eben diese Unmög- lichkeit nebst meiner Zeit Momentanität legt mir die Hand auf den30 Mund.
Lebe wohl mein Oerthel! Ich sehne mich nach deiner Hand und nach deiner Geschichte und nach deinem Herz! Gieb mir alles; -- und deiner Frau den wärmsten Grus und Kus eines Menschen, der nicht nur sie selber, sondern ihre schöne Liebe gegen dich so liebt. Leb wohl Starkopf!35
Richter
Mit Schiller ſtrit ich oft bei der Wolzogen bis Nachts um 12 Uhr. Ich ſehe dem Retif de la Bretonne gleich (nach einem Briefe Humbolds), ſagt’ er der Kalb und die Erziehung ſei unſer Unter- ſchied. —
Meine Seele iſt trübe über das Leben, über das Jahrhundert und5 über mein leeres Herz — mein Auge iſt trocken und mein Herz ſteif, auſſer zu Hauſe an meinem Klavier und Tiſch. Die Menſchen haben mir nie viel gegeben; ich habe ſie geliebt und liebe ſie ewig, aber wie geſagt, ſie gaben und geben mir nicht viel.
Mit der Herzogin und Ihm bin ich ganz auſſer Verhältnis.10
In Gotha fand ich ſo bunte weiche Bänder des Beiſammen- [197]ſeins — und ſoviel Auszeichnung bei dem Herzog, dem Erbprinzen und dem Hofe — und was mehr iſt, ſoviel holde Geſtalten, daß ich nur die Blüten erwarte, um auf 4 Wochen dahin zu ziehen.
Wenn ich heirathe, bekomm’ ich einen glattern Globus als der15 jezige mit ſeinen ſtechenden Bergſpizen iſt.
— Du ſagſt ſtets, du haſt nichts zu ſchreiben: warum und womit würdeſt 〈könteſt〉 du mir auf jeden Brief eine Antwort geben? — Bei Gott, hätt ich eben nichts zu ſchreiben, ſo ſchrieb ich leichter.
Ich werde dicker und anſehnlicher; die Migraine komt gar nicht20 mehr; Leben ſizt mir um die Naſe.
Mit Wieland bleib ich der alte Freund.
Beiläufig! vernimſt du die Gerüchte, daß ich deſſen Tochter — Herders Tochter — Amoene — die Schroeder — des Konſiſtorialrath- Weber’s Tochter eheliche oder aus Weimar ziehe: ſo ſage: „der Kauz25 „hat mir noch nichts davon vermeldet; und darum zweifl’ ich ganz.“
d. 11 A.
Schicke mir die Briefe bald wieder. — Wie wil ich auf Klein Brief Oktav dir mein jeziges Herz aufſpannen! Und eben dieſe Unmög- lichkeit nebſt meiner Zeit Momentanität legt mir die Hand auf den30 Mund.
Lebe wohl mein Oerthel! Ich ſehne mich nach deiner Hand und nach deiner Geſchichte und nach deinem Herz! Gieb mir alles; — und deiner Frau den wärmſten Grus und Kus eines Menſchen, der nicht nur ſie ſelber, ſondern ihre ſchöne Liebe gegen dich ſo liebt. Leb wohl Starkopf!35
Richter
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Mit Schiller ſtrit ich oft bei der Wolzogen bis Nachts um 12 Uhr.
Ich ſehe dem Retif de la Bretonne gleich (nach einem Briefe
Humbolds), ſagt’ er der Kalb und die Erziehung ſei unſer Unter-
ſchied. —
Meine Seele iſt trübe über das Leben, über das Jahrhundert und 5
über mein leeres Herz — mein Auge iſt trocken und mein Herz ſteif,
auſſer zu Hauſe an meinem Klavier und Tiſch. Die Menſchen haben
mir nie viel gegeben; ich habe ſie geliebt und liebe ſie ewig, aber wie
geſagt, ſie gaben und geben mir nicht viel.
Mit der Herzogin und Ihm bin ich ganz auſſer Verhältnis. 10
In Gotha fand ich ſo bunte weiche Bänder des Beiſammen-
ſeins — und ſoviel Auszeichnung bei dem Herzog, dem Erbprinzen
und dem Hofe — und was mehr iſt, ſoviel holde Geſtalten, daß ich nur
die Blüten erwarte, um auf 4 Wochen dahin zu ziehen.
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Wenn ich heirathe, bekomm’ ich einen glattern Globus als der 15
jezige mit ſeinen ſtechenden Bergſpizen iſt.
— Du ſagſt ſtets, du haſt nichts zu ſchreiben: warum und womit
würdeſt 〈könteſt〉 du mir auf jeden Brief eine Antwort geben? — Bei
Gott, hätt ich eben nichts zu ſchreiben, ſo ſchrieb ich leichter.
Ich werde dicker und anſehnlicher; die Migraine komt gar nicht 20
mehr; Leben ſizt mir um die Naſe.
Mit Wieland bleib ich der alte Freund.
Beiläufig! vernimſt du die Gerüchte, daß ich deſſen Tochter —
Herders Tochter — Amoene — die Schroeder — des Konſiſtorialrath-
Weber’s Tochter eheliche oder aus Weimar ziehe: ſo ſage: „der Kauz 25
„hat mir noch nichts davon vermeldet; und darum zweifl’ ich ganz.“
d. 11 A.
Schicke mir die Briefe bald wieder. — Wie wil ich auf Klein Brief
Oktav dir mein jeziges Herz aufſpannen! Und eben dieſe Unmög-
lichkeit nebſt meiner Zeit Momentanität legt mir die Hand auf den 30
Mund.
Lebe wohl mein Oerthel! Ich ſehne mich nach deiner Hand und nach
deiner Geſchichte und nach deinem Herz! Gieb mir alles; — und deiner
Frau den wärmſten Grus und Kus eines Menſchen, der nicht nur ſie
ſelber, ſondern ihre ſchöne Liebe gegen dich ſo liebt. Leb wohl Starkopf! 35
Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/192>, abgerufen am 26.06.2024.
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