Seit 10 Jahren aber geh' ich in allen konzentrischen Ringen des Pindus leichter herum als im untersten kritischen.
Ach ars (et artes) longa (et longae) et vita brevis und die Kan- [147]tischen Perioden sind so lang und wie jede Weitschweifigkeit so dunkel. Kurz ich habe, meine Jugend ausgenommen, in allen Wissenschaften5 leichter herumgelesen als in der Philosophie, -- wenige Kantische und Ihre Werke ausgenommen. Und eben darum, unendlich theuerer Geist! -- fals Sie in diesem Winter nichts öffentlich geben -- eben darum ver- sagen Sie Ihrem treuesten und innigsten Schüler nicht alles! Noch keine Philosophie -- ausser der der Alten -- hat mich so tief angefasset10 und das Licht in den düstersten Schacht so reinigend gesenkt als Ihre, und keine studiert' ich wiederholter, da darin die breitesten Fenster blos durch die um sie aufgehäuften Schäze zuweilen zugedekt und ver- finstert werden. Jeder Mensch wird zu irgend einer Philosophie wie zu irgend einer Dichtungsart geboren. Und darum sollen Sie, wenn Sie15 zu Ostern nichts geben, mir zuweilen einige Bogen über was es sei vorstrecken. N. B. sub conditione disciplinae arcani.
d. 6 Dec.
Ich besuche Sie hier auf dem Papierschnee jeden Abend, wenn ich aus meinem Dämmerungs-Hesperien zurükkomme. Dieses besteht darin20 blos, daß ich im Finstern auf und ab laufe und singe und träume und denke und fast zu glüklich werde. Beim Himmel ich wars und bins über- haupt zu sehr, (auch in meinem Siebenkäsischen Streite mit Armuth, Verhältnissen und Publikum) und es fehlet meinem Paradies nichts als eine -- Heva, die ich noch dazu wie Miltons Adam schon oft genug25 vor dem -- Aufwachen gesehen.
d. 8. Dec.
Ich wil heute nicht eher in die Oper gehen als bis ich meine brief- liche geschlossen. -- Vor allen Dingen und Bitten thu' ich die fünfte an Sie, mir -- und meiner Zeit-Armuth -- nicht nur den Brief30 und so viele Gedanken darin zu vergeben, sondern auch die unhöfliche Kako-graphie. Zweitens das Gegentheil der 5ten, mir über meine Bücher nicht zu vergeben, sondern daran (das Lob wil ich errathen) zu tadeln, wenn das in einem Briefe thunlich ist. Drittens die 4te, einen eben bald zu geben. Beim Himmel, Ihre grüne Brieftasche ist mir eine35 andere als die grüne des Hrn. v. Sartines, es ist der grüne Rasen, das [148]Wintergrün, das den Lerchen im Bauer die Auen ersezt. Viertens die
Seit 10 Jahren aber geh’ ich in allen konzentriſchen Ringen des Pindus leichter herum als im unterſten kritiſchen.
Ach ars (et artes) longa (et longae) et vita brevis und die Kan- [147]tiſchen Perioden ſind ſo lang und wie jede Weitſchweifigkeit ſo dunkel. Kurz ich habe, meine Jugend ausgenommen, in allen Wiſſenſchaften5 leichter herumgeleſen als in der Philoſophie, — wenige Kantiſche und Ihre Werke ausgenommen. Und eben darum, unendlich theuerer Geiſt! — fals Sie in dieſem Winter nichts öffentlich geben — eben darum ver- ſagen Sie Ihrem treueſten und innigſten Schüler nicht alles! Noch keine Philoſophie — auſſer der der Alten — hat mich ſo tief angefaſſet10 und das Licht in den düſterſten Schacht ſo reinigend geſenkt als Ihre, und keine ſtudiert’ ich wiederholter, da darin die breiteſten Fenſter blos durch die um ſie aufgehäuften Schäze zuweilen zugedekt und ver- finſtert werden. Jeder Menſch wird zu irgend einer Philoſophie wie zu irgend einer Dichtungsart geboren. Und darum ſollen Sie, wenn Sie15 zu Oſtern nichts geben, mir zuweilen einige Bogen über was es ſei vorſtrecken. N. B. sub conditione disciplinae arcani.
d. 6 Dec.
Ich beſuche Sie hier auf dem Papierſchnee jeden Abend, wenn ich aus meinem Dämmerungs-Heſperien zurükkomme. Dieſes beſteht darin20 blos, daß ich im Finſtern auf und ab laufe und ſinge und träume und denke und faſt zu glüklich werde. Beim Himmel ich wars und bins über- haupt zu ſehr, (auch in meinem Siebenkäſiſchen Streite mit Armuth, Verhältniſſen und Publikum) und es fehlet meinem Paradies nichts als eine — Heva, die ich noch dazu wie Miltons Adam ſchon oft genug25 vor dem — Aufwachen geſehen.
d. 8. Dec.
Ich wil heute nicht eher in die Oper gehen als bis ich meine brief- liche geſchloſſen. — Vor allen Dingen und Bitten thu’ ich die fünfte an Sie, mir — und meiner Zeit-Armuth — nicht nur den Brief30 und ſo viele Gedanken darin zu vergeben, ſondern auch die unhöfliche Kako-graphie. Zweitens das Gegentheil der 5ten, mir über meine Bücher nicht zu vergeben, ſondern daran (das Lob wil ich errathen) zu tadeln, wenn das in einem Briefe thunlich iſt. Drittens die 4te, einen eben bald zu geben. Beim Himmel, Ihre grüne Brieftaſche iſt mir eine35 andere als die grüne des Hrn. v. Sartines, es iſt der grüne Raſen, das [148]Wintergrün, das den Lerchen im Bauer die Auen erſezt. Viertens die
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0142"n="132"/>
Seit 10 Jahren aber geh’ ich in allen konzentriſchen Ringen des<lb/>
Pindus leichter herum als im unterſten kritiſchen.</p><lb/><p>Ach <hirendition="#aq">ars (et artes) longa (et longae) et vita brevis</hi> und die Kan-<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd3_147">[147]</ref></note>tiſchen Perioden ſind ſo lang und wie jede Weitſchweifigkeit ſo dunkel.<lb/>
Kurz ich habe, meine Jugend ausgenommen, in allen Wiſſenſchaften<lbn="5"/>
leichter herumgeleſen als in der Philoſophie, — wenige Kantiſche und<lb/>
Ihre Werke ausgenommen. Und eben darum, unendlich theuerer Geiſt!<lb/>— fals Sie in dieſem Winter nichts öffentlich geben — eben darum ver-<lb/>ſagen Sie Ihrem treueſten und innigſten Schüler nicht alles! Noch<lb/>
keine Philoſophie — auſſer der der Alten — hat mich ſo tief angefaſſet<lbn="10"/>
und das Licht in den düſterſten Schacht ſo reinigend geſenkt als Ihre,<lb/>
und keine ſtudiert’ ich wiederholter, da darin die breiteſten Fenſter<lb/><hirendition="#g">blos</hi> durch die um ſie aufgehäuften Schäze zuweilen zugedekt und ver-<lb/>
finſtert werden. Jeder Menſch wird zu irgend einer Philoſophie wie zu<lb/>
irgend einer Dichtungsart geboren. Und darum ſollen Sie, wenn Sie<lbn="15"/>
zu Oſtern nichts geben, mir zuweilen einige Bogen über was es ſei<lb/>
vorſtrecken. <hirendition="#aq">N. B. sub conditione <hirendition="#g">disciplinae arcani.</hi></hi></p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">d. 6 Dec.</hi></hi></dateline><lb/><p>Ich beſuche Sie hier auf dem Papierſchnee jeden Abend, wenn ich<lb/>
aus meinem Dämmerungs-Heſperien zurükkomme. Dieſes beſteht darin<lbn="20"/>
blos, daß ich im Finſtern auf und ab laufe und ſinge und träume und<lb/>
denke und faſt zu glüklich werde. Beim Himmel ich wars und bins über-<lb/>
haupt zu ſehr, (auch in meinem Siebenkäſiſchen Streite mit Armuth,<lb/>
Verhältniſſen und Publikum) und es fehlet meinem Paradies nichts als<lb/>
eine — Heva, die ich noch dazu wie Miltons Adam ſchon oft genug<lbn="25"/><hirendition="#g">vor</hi> dem — Aufwachen geſehen.</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">d. 8. Dec.</hi></hi></dateline><lb/><p>Ich wil heute nicht eher in die Oper gehen als bis ich meine brief-<lb/>
liche geſchloſſen. — Vor allen Dingen und Bitten thu’ ich die fünfte<lb/>
an Sie, mir — und meiner <hirendition="#g">Zeit-Armuth</hi>— nicht nur den Brief<lbn="30"/>
und ſo viele Gedanken darin zu vergeben, ſondern auch die unhöfliche<lb/>
Kako-graphie. Zweitens das Gegentheil der 5<hirendition="#sup">ten</hi>, mir über meine<lb/>
Bücher nicht zu vergeben, ſondern daran (das Lob wil ich errathen) zu<lb/>
tadeln, wenn das in einem Briefe thunlich iſt. Drittens die 4<hirendition="#sup">te</hi>, einen<lb/>
eben bald zu geben. Beim Himmel, Ihre grüne Brieftaſche iſt mir eine<lbn="35"/>
andere als die grüne des Hrn. <hirendition="#aq">v. Sartines,</hi> es iſt der grüne Raſen, das<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd3_148">[148]</ref></note>Wintergrün, das den Lerchen im Bauer die Auen erſezt. Viertens die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[132/0142]
Seit 10 Jahren aber geh’ ich in allen konzentriſchen Ringen des
Pindus leichter herum als im unterſten kritiſchen.
Ach ars (et artes) longa (et longae) et vita brevis und die Kan-
tiſchen Perioden ſind ſo lang und wie jede Weitſchweifigkeit ſo dunkel.
Kurz ich habe, meine Jugend ausgenommen, in allen Wiſſenſchaften 5
leichter herumgeleſen als in der Philoſophie, — wenige Kantiſche und
Ihre Werke ausgenommen. Und eben darum, unendlich theuerer Geiſt!
— fals Sie in dieſem Winter nichts öffentlich geben — eben darum ver-
ſagen Sie Ihrem treueſten und innigſten Schüler nicht alles! Noch
keine Philoſophie — auſſer der der Alten — hat mich ſo tief angefaſſet 10
und das Licht in den düſterſten Schacht ſo reinigend geſenkt als Ihre,
und keine ſtudiert’ ich wiederholter, da darin die breiteſten Fenſter
blos durch die um ſie aufgehäuften Schäze zuweilen zugedekt und ver-
finſtert werden. Jeder Menſch wird zu irgend einer Philoſophie wie zu
irgend einer Dichtungsart geboren. Und darum ſollen Sie, wenn Sie 15
zu Oſtern nichts geben, mir zuweilen einige Bogen über was es ſei
vorſtrecken. N. B. sub conditione disciplinae arcani.
[147]
d. 6 Dec.
Ich beſuche Sie hier auf dem Papierſchnee jeden Abend, wenn ich
aus meinem Dämmerungs-Heſperien zurükkomme. Dieſes beſteht darin 20
blos, daß ich im Finſtern auf und ab laufe und ſinge und träume und
denke und faſt zu glüklich werde. Beim Himmel ich wars und bins über-
haupt zu ſehr, (auch in meinem Siebenkäſiſchen Streite mit Armuth,
Verhältniſſen und Publikum) und es fehlet meinem Paradies nichts als
eine — Heva, die ich noch dazu wie Miltons Adam ſchon oft genug 25
vor dem — Aufwachen geſehen.
d. 8. Dec.
Ich wil heute nicht eher in die Oper gehen als bis ich meine brief-
liche geſchloſſen. — Vor allen Dingen und Bitten thu’ ich die fünfte
an Sie, mir — und meiner Zeit-Armuth — nicht nur den Brief 30
und ſo viele Gedanken darin zu vergeben, ſondern auch die unhöfliche
Kako-graphie. Zweitens das Gegentheil der 5ten, mir über meine
Bücher nicht zu vergeben, ſondern daran (das Lob wil ich errathen) zu
tadeln, wenn das in einem Briefe thunlich iſt. Drittens die 4te, einen
eben bald zu geben. Beim Himmel, Ihre grüne Brieftaſche iſt mir eine 35
andere als die grüne des Hrn. v. Sartines, es iſt der grüne Raſen, das
Wintergrün, das den Lerchen im Bauer die Auen erſezt. Viertens die
[148]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/142>, abgerufen am 03.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.