die Gemara übersezet hat: sonst bät' ich Sie darum, wenn Sie sie anders einem Kuthäer leihen dürfen. Besonders über die Seelenwanderung und Unsterblichkeit möcht' ich Rabbinen hören.
Ihre Lehrer haben 2 Seelen, eine philosophische moralische -- deren Sonnenblicke uns Moses Mendelssohn, Herder und andere sehen5 lassen -- und eine unbegreiflich enge, einen Adne' ßadeh, der mit der Nabelschnur in die Erde, und zwar in die palästinische eingewurzelt ist. Sagen Sie mir Ihre Meinung über den kleinherzigen Zwerg-Geist in[62] Vorschriften wie folgenden: Wenn einer [am] Sabbath ein Geschwür aufzwikt, um es zu öfnen, so übertrit er ihn, weil es eine Art Bauen ist;10 aber es schadet gar nichts, wenn ers aufmacht, um die Feuchtigkeit herauszubringen (M. 5. VII. Edajoth. 2 K.) -- So die Untersuchung im Kapitel vorher, wie viel Todtengebeine dazu gehören, um ein Haus zu verunreinigen. -- Und so alle Bücher des Talmuds, die ich gelesen. Womit ein Katholik, ein Lutheraner den Rabbi rechtfertigen mus, ist15 das: "so bald einmal z. B. der Glaube zulässig ist, daß ein Todter ver- "unreinige: so mus der Talmudist doch die Gränzen dieser Verunreini- "gung untersuchen dürfen, bis er heraus hat, daß ein Geräthe, das ein "Geräthe berührte, das wieder ein anderes berührte, das ein Todter be- "rühret, im ersten Grade unrein sei (M. 6. Seder) -- Und wenn wir20 "Katholiken die Heiligung durch Todtengebeine glauben, so dürfen wir "auch untersuchen, ob nicht Dinge, die an andere Dinge gestossen, "welche das Todtenbein berührt haben, selber heilig und gesund machen "können." Der Philosoph kan dazu sezen: wenn einmal die moralische Ergebenheit gegen den Schöpfer durch ein körperliches Zeichen aus-25 brechen sol: so ist die Wahl des Zeichens, da jedes Körperliche gleich un- endlich weit vom Geistigen absteht, gleichgültig und zwischen Tauf- wasser und Vorhaut, und zwischen dem Fasten am christlichen, und zwischen dem Schmausen am jüdischen Schabbas ist als körperliche Handlung kein Unterschied, -- ausser daß die leztere Zeremonie ein30 wenig angenehmer ist. Ihre Religion überholt darin unsere, daß sie keine einzige theoretische Unbegreiflichkeit und Kontradikzion wie unsere fodert. Ein Philosoph kan leichter ein Talmudist als ein Ortho- dox sein. Gerade Religionen und Völker mit vielen, scharf abge- schnittenen Zeremonien verwittern später im Wind und Wetter der35 Jahrhunderte als andere mit wenigen Zeremonien: so die Sineser, Braminen, Katholiken und Juden -- je näher aber eine Religion (wie
die Gemara überſezet hat: ſonſt bät’ ich Sie darum, wenn Sie ſie anders einem Kuthäer leihen dürfen. Beſonders über die Seelenwanderung und Unſterblichkeit möcht’ ich Rabbinen hören.
Ihre Lehrer haben 2 Seelen, eine philoſophiſche moraliſche — deren Sonnenblicke uns Moſes Mendelsſohn, Herder und andere ſehen5 laſſen — und eine unbegreiflich enge, einen Adne’ ßadeh, der mit der Nabelſchnur in die Erde, und zwar in die paläſtiniſche eingewurzelt iſt. Sagen Sie mir Ihre Meinung über den kleinherzigen Zwerg-Geiſt in[62] Vorſchriften wie folgenden: Wenn einer [am] Sabbath ein Geſchwür aufzwikt, um es zu öfnen, ſo übertrit er ihn, weil es eine Art Bauen iſt;10 aber es ſchadet gar nichts, wenn ers aufmacht, um die Feuchtigkeit herauszubringen (M. 5. VII. Edajoth. 2 K.) — So die Unterſuchung im Kapitel vorher, wie viel Todtengebeine dazu gehören, um ein Haus zu verunreinigen. — Und ſo alle Bücher des Talmuds, die ich geleſen. Womit ein Katholik, ein Lutheraner den Rabbi rechtfertigen mus, iſt15 das: „ſo bald einmal z. B. der Glaube zuläſſig iſt, daß ein Todter ver- „unreinige: ſo mus der Talmudiſt doch die Gränzen dieſer Verunreini- „gung unterſuchen dürfen, bis er heraus hat, daß ein Geräthe, das ein „Geräthe berührte, das wieder ein anderes berührte, das ein Todter be- „rühret, im erſten Grade unrein ſei (M. 6. Seder) — Und wenn wir20 „Katholiken die Heiligung durch Todtengebeine glauben, ſo dürfen wir „auch unterſuchen, ob nicht Dinge, die an andere Dinge geſtoſſen, „welche das Todtenbein berührt haben, ſelber heilig und geſund machen „können.“ Der Philoſoph kan dazu ſezen: wenn einmal die moraliſche Ergebenheit gegen den Schöpfer durch ein körperliches Zeichen aus-25 brechen ſol: ſo iſt die Wahl des Zeichens, da jedes Körperliche gleich un- endlich weit vom Geiſtigen abſteht, gleichgültig und zwiſchen Tauf- waſſer und Vorhaut, und zwiſchen dem Faſten am chriſtlichen, und zwiſchen dem Schmauſen am jüdiſchen Schabbas iſt als körperliche Handlung kein Unterſchied, — auſſer daß die leztere Zeremonie ein30 wenig angenehmer iſt. Ihre Religion überholt darin unſere, daß ſie keine einzige theoretiſche Unbegreiflichkeit und Kontradikzion wie unſere fodert. Ein Philoſoph kan leichter ein Talmudiſt als ein Ortho- dox ſein. Gerade Religionen und Völker mit vielen, ſcharf abge- ſchnittenen Zeremonien verwittern ſpäter im Wind und Wetter der35 Jahrhunderte als andere mit wenigen Zeremonien: ſo die Sineſer, Braminen, Katholiken und Juden — je näher aber eine Religion (wie
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0078"n="69"/>
die Gemara überſezet hat: ſonſt bät’ ich Sie darum, wenn Sie ſie anders<lb/>
einem Kuthäer leihen dürfen. Beſonders über die Seelenwanderung<lb/>
und Unſterblichkeit möcht’ ich Rabbinen hören.</p><lb/><p>Ihre Lehrer haben 2 Seelen, eine philoſophiſche moraliſche — deren<lb/>
Sonnenblicke uns Moſes Mendelsſohn, Herder und andere ſehen<lbn="5"/>
laſſen — und eine unbegreiflich enge, einen Adne’ ßadeh, der mit der<lb/>
Nabelſchnur in die Erde, und zwar in die paläſtiniſche eingewurzelt iſt.<lb/>
Sagen Sie mir Ihre Meinung über den kleinherzigen Zwerg-Geiſt in<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_62">[62]</ref></note><lb/>
Vorſchriften wie folgenden: Wenn einer [am] Sabbath ein Geſchwür<lb/>
aufzwikt, um es zu öfnen, ſo übertrit er ihn, weil es eine Art Bauen iſt;<lbn="10"/>
aber es ſchadet gar nichts, wenn ers aufmacht, um die Feuchtigkeit<lb/>
herauszubringen (M. 5. <hirendition="#aq">VII. Edajoth.</hi> 2 K.) — So die Unterſuchung<lb/>
im Kapitel vorher, wie viel Todtengebeine dazu gehören, um ein Haus<lb/>
zu verunreinigen. — Und ſo alle Bücher des Talmuds, die ich geleſen.<lb/>
Womit ein Katholik, ein Lutheraner den Rabbi rechtfertigen mus, iſt<lbn="15"/>
das: „ſo bald einmal z. B. der Glaube zuläſſig iſt, daß ein Todter ver-<lb/>„unreinige: ſo mus der Talmudiſt doch die Gränzen dieſer Verunreini-<lb/>„gung unterſuchen dürfen, bis er heraus hat, daß ein Geräthe, das ein<lb/>„Geräthe berührte, das wieder ein anderes berührte, das ein Todter be-<lb/>„rühret, im erſten Grade unrein ſei (M. 6. <hirendition="#aq">Seder)</hi>— Und wenn wir<lbn="20"/>„Katholiken die Heiligung durch Todtengebeine glauben, ſo dürfen wir<lb/>„auch unterſuchen, ob nicht Dinge, die an andere Dinge geſtoſſen,<lb/>„welche das Todtenbein berührt haben, ſelber heilig und geſund machen<lb/>„können.“ Der Philoſoph kan dazu ſezen: wenn einmal die moraliſche<lb/>
Ergebenheit gegen den Schöpfer durch ein körperliches Zeichen aus-<lbn="25"/>
brechen ſol: ſo iſt die Wahl des Zeichens, da jedes Körperliche gleich un-<lb/>
endlich weit vom Geiſtigen abſteht, gleichgültig und zwiſchen Tauf-<lb/>
waſſer und Vorhaut, und zwiſchen dem Faſten am chriſtlichen, und<lb/>
zwiſchen dem Schmauſen am jüdiſchen Schabbas iſt als kö<hirendition="#g">rperliche</hi><lb/>
Handlung kein Unterſchied, — auſſer daß die leztere Zeremonie ein<lbn="30"/>
wenig angenehmer iſt. Ihre Religion überholt darin unſere, daß ſie<lb/>
keine einzige theoretiſche Unbegreiflichkeit und Kontradikzion wie<lb/>
unſere fodert. Ein Philoſoph kan leichter ein Talmudiſt als ein Ortho-<lb/>
dox ſein. Gerade Religionen und Völker mit vielen, ſcharf abge-<lb/>ſchnittenen Zeremonien verwittern ſpäter im Wind und Wetter der<lbn="35"/>
Jahrhunderte als andere mit wenigen Zeremonien: ſo die Sineſer,<lb/>
Braminen, Katholiken und Juden — je näher aber eine Religion (wie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0078]
die Gemara überſezet hat: ſonſt bät’ ich Sie darum, wenn Sie ſie anders
einem Kuthäer leihen dürfen. Beſonders über die Seelenwanderung
und Unſterblichkeit möcht’ ich Rabbinen hören.
Ihre Lehrer haben 2 Seelen, eine philoſophiſche moraliſche — deren
Sonnenblicke uns Moſes Mendelsſohn, Herder und andere ſehen 5
laſſen — und eine unbegreiflich enge, einen Adne’ ßadeh, der mit der
Nabelſchnur in die Erde, und zwar in die paläſtiniſche eingewurzelt iſt.
Sagen Sie mir Ihre Meinung über den kleinherzigen Zwerg-Geiſt in
Vorſchriften wie folgenden: Wenn einer [am] Sabbath ein Geſchwür
aufzwikt, um es zu öfnen, ſo übertrit er ihn, weil es eine Art Bauen iſt; 10
aber es ſchadet gar nichts, wenn ers aufmacht, um die Feuchtigkeit
herauszubringen (M. 5. VII. Edajoth. 2 K.) — So die Unterſuchung
im Kapitel vorher, wie viel Todtengebeine dazu gehören, um ein Haus
zu verunreinigen. — Und ſo alle Bücher des Talmuds, die ich geleſen.
Womit ein Katholik, ein Lutheraner den Rabbi rechtfertigen mus, iſt 15
das: „ſo bald einmal z. B. der Glaube zuläſſig iſt, daß ein Todter ver-
„unreinige: ſo mus der Talmudiſt doch die Gränzen dieſer Verunreini-
„gung unterſuchen dürfen, bis er heraus hat, daß ein Geräthe, das ein
„Geräthe berührte, das wieder ein anderes berührte, das ein Todter be-
„rühret, im erſten Grade unrein ſei (M. 6. Seder) — Und wenn wir 20
„Katholiken die Heiligung durch Todtengebeine glauben, ſo dürfen wir
„auch unterſuchen, ob nicht Dinge, die an andere Dinge geſtoſſen,
„welche das Todtenbein berührt haben, ſelber heilig und geſund machen
„können.“ Der Philoſoph kan dazu ſezen: wenn einmal die moraliſche
Ergebenheit gegen den Schöpfer durch ein körperliches Zeichen aus- 25
brechen ſol: ſo iſt die Wahl des Zeichens, da jedes Körperliche gleich un-
endlich weit vom Geiſtigen abſteht, gleichgültig und zwiſchen Tauf-
waſſer und Vorhaut, und zwiſchen dem Faſten am chriſtlichen, und
zwiſchen dem Schmauſen am jüdiſchen Schabbas iſt als körperliche
Handlung kein Unterſchied, — auſſer daß die leztere Zeremonie ein 30
wenig angenehmer iſt. Ihre Religion überholt darin unſere, daß ſie
keine einzige theoretiſche Unbegreiflichkeit und Kontradikzion wie
unſere fodert. Ein Philoſoph kan leichter ein Talmudiſt als ein Ortho-
dox ſein. Gerade Religionen und Völker mit vielen, ſcharf abge-
ſchnittenen Zeremonien verwittern ſpäter im Wind und Wetter der 35
Jahrhunderte als andere mit wenigen Zeremonien: ſo die Sineſer,
Braminen, Katholiken und Juden — je näher aber eine Religion (wie
[62]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/78>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.