die reformierte) der Philosophie kömt, desto öfter ändert sie wie die Philosophie selber Körper und Kleid.
Wenn Sie wollen (und ich kan): so wil ich mit Ihnen Briefe (d. h. Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen etc. [63]wechseln. Aber Sie müssen mich vorher versichern, daß wir in diesem5 Punkte nicht Cilajim sind, die die 6te M. des IV. Cilajim so gut zu- sammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine, Sie sollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildesten Baum asseku- rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentnisses ist und der seine herben Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiser10 inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigsten Behauptungen -- die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Universums anbeten, der auf drei kolossalischen Säulen ruht, auf Gott, auf Unsterblichkeit, auf Tugend -- nicht zu freimüthig: so fangen wir sie an.
Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen,15 um sich unter dem Verlust der Schabbas-Seele [zu] erfrischen: so schick' ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein solches gewürzhaftes refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun- din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts schicken als leere Couverts, wenn Sie nicht (und zwar schon bei der Abreise von Renate)20 eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder so viele und so lange (und noch längere) Briefe schreiben als ihr -- oder wenn Sie mir nicht erlauben, alle Ihre an sie vom Datum an bis zur Unterschrift rein durchzulesen.
Da die Bayreuther allemal schon im Schoosse des Frühlings ruhen;25 indes wir hier auf unserem Marmorboden noch im Vorzimmer des Frühlings lauern: so flieg' ich mit den Flügeldecken des Maikäfers so- gleich in Ihre Blüten hinein, sobald sie nur aus den Aesten -- heraus sind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieses Flüsse der aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und30 wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phantasien, wil ich den Kopf sanft an Ihre Brust anlehnen und ausruhen.
Leben Sie wol und schicken Sie in dem Kutschkasten der freundlichen Pilgerin einen Band von der Gemara oder sonst etwas Rabbinisches zu
Ihrem Freunde35 Richter.
[Adr.] An meinen Freund Emanuel.
die reformierte) der Philoſophie kömt, deſto öfter ändert ſie wie die Philoſophie ſelber Körper und Kleid.
Wenn Sie wollen (und ich kan): ſo wil ich mit Ihnen Briefe (d. h. Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen ꝛc. [63]wechſeln. Aber Sie müſſen mich vorher verſichern, daß wir in dieſem5 Punkte nicht Cilajim ſind, die die 6te M. des IV. Cilajim ſo gut zu- ſammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine, Sie ſollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildeſten Baum aſſeku- rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentniſſes iſt und der ſeine herben Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiſer10 inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigſten Behauptungen — die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Univerſums anbeten, der auf drei koloſſaliſchen Säulen ruht, auf Gott, auf Unſterblichkeit, auf Tugend — nicht zu freimüthig: ſo fangen wir ſie an.
Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen,15 um ſich unter dem Verluſt der Schabbas-Seele [zu] erfriſchen: ſo ſchick’ ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein ſolches gewürzhaftes refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun- din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts ſchicken als leere Couverts, wenn Sie nicht (und zwar ſchon bei der Abreiſe von Renate)20 eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder ſo viele und ſo lange (und noch längere) Briefe ſchreiben als ihr — oder wenn Sie mir nicht erlauben, alle Ihre an ſie vom Datum an bis zur Unterſchrift rein durchzuleſen.
Da die Bayreuther allemal ſchon im Schooſſe des Frühlings ruhen;25 indes wir hier auf unſerem Marmorboden noch im Vorzimmer des Frühlings lauern: ſo flieg’ ich mit den Flügeldecken des Maikäfers ſo- gleich in Ihre Blüten hinein, ſobald ſie nur aus den Aeſten — heraus ſind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieſes Flüſſe der aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und30 wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phantaſien, wil ich den Kopf ſanft an Ihre Bruſt anlehnen und ausruhen.
Leben Sie wol und ſchicken Sie in dem Kutſchkaſten der freundlichen Pilgerin einen Band von der Gemara oder ſonſt etwas Rabbiniſches zu
Ihrem Freunde35 Richter.
[Adr.] An meinen Freund Emanuel.
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[70/0079]
die reformierte) der Philoſophie kömt, deſto öfter ändert ſie wie die
Philoſophie ſelber Körper und Kleid.
Wenn Sie wollen (und ich kan): ſo wil ich mit Ihnen Briefe (d. h.
Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen ꝛc.
wechſeln. Aber Sie müſſen mich vorher verſichern, daß wir in dieſem 5
Punkte nicht Cilajim ſind, die die 6te M. des IV. Cilajim ſo gut zu-
ſammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine,
Sie ſollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildeſten Baum aſſeku-
rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentniſſes iſt und der ſeine herben
Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiſer 10
inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigſten Behauptungen
— die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Univerſums anbeten,
der auf drei koloſſaliſchen Säulen ruht, auf Gott, auf Unſterblichkeit,
auf Tugend — nicht zu freimüthig: ſo fangen wir ſie an.
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Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen, 15
um ſich unter dem Verluſt der Schabbas-Seele [zu] erfriſchen: ſo
ſchick’ ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein ſolches gewürzhaftes
refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun-
din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts ſchicken als leere
Couverts, wenn Sie nicht (und zwar ſchon bei der Abreiſe von Renate) 20
eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder ſo viele und ſo
lange (und noch längere) Briefe ſchreiben als ihr — oder wenn Sie mir
nicht erlauben, alle Ihre an ſie vom Datum an bis zur Unterſchrift
rein durchzuleſen.
Da die Bayreuther allemal ſchon im Schooſſe des Frühlings ruhen; 25
indes wir hier auf unſerem Marmorboden noch im Vorzimmer des
Frühlings lauern: ſo flieg’ ich mit den Flügeldecken des Maikäfers ſo-
gleich in Ihre Blüten hinein, ſobald ſie nur aus den Aeſten — heraus
ſind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieſes Flüſſe der
aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und 30
wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phantaſien, wil ich den
Kopf ſanft an Ihre Bruſt anlehnen und ausruhen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/79>, abgerufen am 30.07.2024.
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