hast du die mich untertauchenden und zerstossenden Wellen des höchsten Enthusiasmus auf dem Papier wiedergefunden -- denn am andern Tage regulier' ich die Fluth durch die Ebbe. Der dunkle in Wolken stehende und in Wolken reichende Gigant Ewigkeit darf nur Sylben, nicht Worte reden. Die Phantasie besticht der Schleier. Lasse sie5 noch 3 Worte reden und das andere Gute hier fliesse nicht aus ihrem sondern aus deinem Munde. --
Und weiter hab ich nichts zu sagen, mein guter Christian. Die Ewig- keit, die mir immer so nahe und oft so kalt ans Herz trit, spiegelt mir wieder durch einen schönen Zufal deinen Geburtstag vor, bei dem ich10 dir keine Wünsche bringen kan, nicht deinet- sondern meinetwegen: denn ich fühl' es zu wol daß wir nur Ein Schiksal haben können und daß wenn einer von uns unglüklich wäre oder stürbe, der andere auch weiter nichts zu thun hätte als ihn nachzuahmen und zu vergehen. Und so geb' ich dir denn wieder am neuen Thor deines Lebens meine Hand auf ewig,15 mein lieber Guter und das Schiksal sieht uns zu und kan uns nie trennen.
Richter
47. An Amöne Herold.
Hof d. 27 Dec. 1794.
Beste Freundin,20
Es kostet mich alle Anspannung des kühlern Nachdenkens, daß ich mich zu einem warnenden Worte zwinge, eh' ich meine Empfindungen[34] mit Ihren zusammenfliessen lasse. Und dieses Wort, das ich bald ab- kürzen werde, ist: daß Sie doch nicht den Schmerz für etwas halten, dessen Ernährung so verdienstlich ist wie seine Erstickung -- daß Sie25 doch nicht mit Ihrem ofnen Herzen sich so heftig in seine Stacheln werfen, weil Sie wenn Ihre innere Zerrinnung jährlich so wächset wie seit 2 Jahren, ja am Ende eine ganz wehrlose zerflossene Seele für die grossen tiefen Schläge des Schiksals mitbringen würden, die jeder von uns am Todtenbette seiner Verwandten und Freunde gewis erwarten30 mus. Die verstekte Süssigkeit solcher poetischer Qualen besticht uns, sie zu suchen stat sie zu stillen. Aber was wäre denn am Ende eine so ganz wunde weiche zergangne Seele vor den Ungewittern, durch die jeder von uns mus? -- Glauben Sie mir, weder im Schmerze noch im Jubel ist der Mensch am besten, sondern in der Ruhe, im heitern35 Genusse seines Bewustseins und seiner Lage. Der Schmerz giebt
haſt du die mich untertauchenden und zerſtoſſenden Wellen des höchſten Enthuſiaſmus auf dem Papier wiedergefunden — denn am andern Tage regulier’ ich die Fluth durch die Ebbe. Der dunkle in Wolken ſtehende und in Wolken reichende Gigant Ewigkeit darf nur Sylben, nicht Worte reden. Die Phantaſie beſticht der Schleier. Laſſe ſie5 noch 3 Worte reden und das andere Gute hier flieſſe nicht aus ihrem ſondern aus deinem Munde. —
Und weiter hab ich nichts zu ſagen, mein guter Chriſtian. Die Ewig- keit, die mir immer ſo nahe und oft ſo kalt ans Herz trit, ſpiegelt mir wieder durch einen ſchönen Zufal deinen Geburtstag vor, bei dem ich10 dir keine Wünſche bringen kan, nicht deinet- ſondern meinetwegen: denn ich fühl’ es zu wol daß wir nur Ein Schikſal haben können und daß wenn einer von uns unglüklich wäre oder ſtürbe, der andere auch weiter nichts zu thun hätte als ihn nachzuahmen und zu vergehen. Und ſo geb’ ich dir denn wieder am neuen Thor deines Lebens meine Hand auf ewig,15 mein lieber Guter und das Schikſal ſieht uns zu und kan uns nie trennen.
Richter
47. An Amöne Herold.
Hof d. 27 Dec. 1794.
Beſte Freundin,20
Es koſtet mich alle Anſpannung des kühlern Nachdenkens, daß ich mich zu einem warnenden Worte zwinge, eh’ ich meine Empfindungen[34] mit Ihren zuſammenflieſſen laſſe. Und dieſes Wort, das ich bald ab- kürzen werde, iſt: daß Sie doch nicht den Schmerz für etwas halten, deſſen Ernährung ſo verdienſtlich iſt wie ſeine Erſtickung — daß Sie25 doch nicht mit Ihrem ofnen Herzen ſich ſo heftig in ſeine Stacheln werfen, weil Sie wenn Ihre innere Zerrinnung jährlich ſo wächſet wie ſeit 2 Jahren, ja am Ende eine ganz wehrloſe zerfloſſene Seele für die groſſen tiefen Schläge des Schikſals mitbringen würden, die jeder von uns am Todtenbette ſeiner Verwandten und Freunde gewis erwarten30 mus. Die verſtekte Süſſigkeit ſolcher poetiſcher Qualen beſticht uns, ſie zu ſuchen ſtat ſie zu ſtillen. Aber was wäre denn am Ende eine ſo ganz wunde weiche zergangne Seele vor den Ungewittern, durch die jeder von uns mus? — Glauben Sie mir, weder im Schmerze noch im Jubel iſt der Menſch am beſten, ſondern in der Ruhe, im heitern35 Genuſſe ſeines Bewuſtſeins und ſeiner Lage. Der Schmerz giebt
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haſt du die mich untertauchenden und zerſtoſſenden Wellen des höchſten
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ſtehende und in Wolken reichende Gigant Ewigkeit darf nur Sylben,
nicht Worte reden. Die Phantaſie beſticht der Schleier. Laſſe ſie 5
noch 3 Worte reden und das andere Gute hier flieſſe nicht aus
ihrem ſondern aus deinem Munde. —
Und weiter hab ich nichts zu ſagen, mein guter Chriſtian. Die Ewig-
keit, die mir immer ſo nahe und oft ſo kalt ans Herz trit, ſpiegelt mir
wieder durch einen ſchönen Zufal deinen Geburtstag vor, bei dem ich 10
dir keine Wünſche bringen kan, nicht deinet- ſondern meinetwegen:
denn ich fühl’ es zu wol daß wir nur Ein Schikſal haben können und daß
wenn einer von uns unglüklich wäre oder ſtürbe, der andere auch weiter
nichts zu thun hätte als ihn nachzuahmen und zu vergehen. Und ſo geb’
ich dir denn wieder am neuen Thor deines Lebens meine Hand auf ewig, 15
mein lieber Guter und das Schikſal ſieht uns zu und kan uns nie trennen.
Richter
47. An Amöne Herold.
Hof d. 27 Dec. 1794.
Beſte Freundin, 20
Es koſtet mich alle Anſpannung des kühlern Nachdenkens, daß ich
mich zu einem warnenden Worte zwinge, eh’ ich meine Empfindungen
mit Ihren zuſammenflieſſen laſſe. Und dieſes Wort, das ich bald ab-
kürzen werde, iſt: daß Sie doch nicht den Schmerz für etwas halten,
deſſen Ernährung ſo verdienſtlich iſt wie ſeine Erſtickung — daß Sie 25
doch nicht mit Ihrem ofnen Herzen ſich ſo heftig in ſeine Stacheln
werfen, weil Sie wenn Ihre innere Zerrinnung jährlich ſo wächſet wie
ſeit 2 Jahren, ja am Ende eine ganz wehrloſe zerfloſſene Seele für die
groſſen tiefen Schläge des Schikſals mitbringen würden, die jeder von
uns am Todtenbette ſeiner Verwandten und Freunde gewis erwarten 30
mus. Die verſtekte Süſſigkeit ſolcher poetiſcher Qualen beſticht uns,
ſie zu ſuchen ſtat ſie zu ſtillen. Aber was wäre denn am Ende eine ſo
ganz wunde weiche zergangne Seele vor den Ungewittern, durch die
jeder von uns mus? — Glauben Sie mir, weder im Schmerze noch
im Jubel iſt der Menſch am beſten, ſondern in der Ruhe, im heitern 35
Genuſſe ſeines Bewuſtſeins und ſeiner Lage. Der Schmerz giebt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/50>, abgerufen am 20.04.2024.
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