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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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700. An Friederike Otto.[372]
[Kopie]

Das Freudenfeuer warf den lichtesten Wiederschein auf die Blätter.
Ich wolte ich hätte Sie durch die glänzende und reiche Ebene geführt
und Ihnen jeden Berg als einen Altar der Freundschaft und jede5
Guirlande aus volhängenden Gipfeln als ein Band derselben zeigen
können. Die nachbarliche Musik fliegt um jedes Wort, das ich Ihnen
schicke. Warum erscheinen die Früchte wenn der Herbst die Blätter
abbricht, warum wird dem traurigen Flüchtling auf der Schwelle das
Herz so vol Liebe gezeigt? Wisset ihr denn alle nicht, daß ich anfangs10
nur von Einem keinen Abschied nehmen wolte und daß ihr mich zulezt
dahinbringt, daß ich [ihn] von keinem nehmen kan sondern stil und
blas den Begräbnisplaz der Jugend räume? Lebe wohl, so lang ge-
liebte Seele! Uns trent keine Trennung und aus jeder Vergangenheit
wird eine Zukunft.15

701. An Christian Otto.[373]

Ich wolte gestern wenigstens ein Paar Zeilen schreiben -- und mit
dem Paare fang' ich heute an. -- Den Schnit deiner Federn wirst du20
im nächsten Frühling noch finden.


Jezt hab ich deinen Brief. Nun bin ich über meine Abwesenheit
wieder durch die Entzückungen des freundlichen Paars bei euch, und
durch das Betragen meines Bruders getröstet, der vor mir, aber mit25
weniger Recht wie der Straus mit seinem Kopfe Versteckens spielt.
Hätt' ich den alten Stokknopf mit dem W der Spangenberg noch, diese
Wilhelmine müste auch darauf. Ich werde sie nur wiedersehen, so
leibhaftig hast du mir sie gemalt. -- Das mit Serboni hat mich
gerührt: möge der kleine Planet nur irgend einen Wiederschein der30
Sonne, die ihm fehlt, durch sein Gefängnisgitter bringen! Kein
heiligeres Geschenk giebt es nicht als das angebotene. -- In
Schwarzach war ich und unser Simultan-Bruder den 1/2 Mitwoch
und den 1/2 Donnerstag. Leider hab' ich schon Carolinen diesen vom
Himmel herabgesenkten Himmel oder Freudenort gemalt. Nur Zeit35
und weite Stiefel fehlten mir, um einmal durch ein langes isoliertes

700. An Friederike Otto.[372]
[Kopie]

Das Freudenfeuer warf den lichteſten Wiederſchein auf die Blätter.
Ich wolte ich hätte Sie durch die glänzende und reiche Ebene geführt
und Ihnen jeden Berg als einen Altar der Freundſchaft und jede5
Guirlande aus volhängenden Gipfeln als ein Band derſelben zeigen
können. Die nachbarliche Muſik fliegt um jedes Wort, das ich Ihnen
ſchicke. Warum erſcheinen die Früchte wenn der Herbſt die Blätter
abbricht, warum wird dem traurigen Flüchtling auf der Schwelle das
Herz ſo vol Liebe gezeigt? Wiſſet ihr denn alle nicht, daß ich anfangs10
nur von Einem keinen Abſchied nehmen wolte und daß ihr mich zulezt
dahinbringt, daß ich [ihn] von keinem nehmen kan ſondern ſtil und
blas den Begräbnisplaz der Jugend räume? Lebe wohl, ſo lang ge-
liebte Seele! Uns trent keine Trennung und aus jeder Vergangenheit
wird eine Zukunft.15

701. An Chriſtian Otto.[373]

Ich wolte geſtern wenigſtens ein Paar Zeilen ſchreiben — und mit
dem Paare fang’ ich heute an. — Den Schnit deiner Federn wirſt du20
im nächſten Frühling noch finden.


Jezt hab ich deinen Brief. Nun bin ich über meine Abweſenheit
wieder durch die Entzückungen des freundlichen Paars bei euch, und
durch das Betragen meines Bruders getröſtet, der vor mir, aber mit25
weniger Recht wie der Straus mit ſeinem Kopfe Verſteckens ſpielt.
Hätt’ ich den alten Stokknopf mit dem W der Spangenberg noch, dieſe
Wilhelmine müſte auch darauf. Ich werde ſie nur wiederſehen, ſo
leibhaftig haſt du mir ſie gemalt. — Das mit Serboni hat mich
gerührt: möge der kleine Planet nur irgend einen Wiederſchein der30
Sonne, die ihm fehlt, durch ſein Gefängnisgitter bringen! Kein
heiligeres Geſchenk giebt es nicht als das angebotene. — In
Schwarzach war ich und unſer Simultan-Bruder den ½ Mitwoch
und den ½ Donnerſtag. Leider hab’ ich ſchon Carolinen dieſen vom
Himmel herabgeſenkten Himmel oder Freudenort gemalt. Nur Zeit35
und weite Stiefel fehlten mir, um einmal durch ein langes iſoliertes

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[373/0394] 700. An Friederike Otto. [Bayreuth, Mitte Sept. 1797] Das Freudenfeuer warf den lichteſten Wiederſchein auf die Blätter. Ich wolte ich hätte Sie durch die glänzende und reiche Ebene geführt und Ihnen jeden Berg als einen Altar der Freundſchaft und jede 5 Guirlande aus volhängenden Gipfeln als ein Band derſelben zeigen können. Die nachbarliche Muſik fliegt um jedes Wort, das ich Ihnen ſchicke. Warum erſcheinen die Früchte wenn der Herbſt die Blätter abbricht, warum wird dem traurigen Flüchtling auf der Schwelle das Herz ſo vol Liebe gezeigt? Wiſſet ihr denn alle nicht, daß ich anfangs 10 nur von Einem keinen Abſchied nehmen wolte und daß ihr mich zulezt dahinbringt, daß ich [ihn] von keinem nehmen kan ſondern ſtil und blas den Begräbnisplaz der Jugend räume? Lebe wohl, ſo lang ge- liebte Seele! Uns trent keine Trennung und aus jeder Vergangenheit wird eine Zukunft. 15 701. An Chriſtian Otto. Bayreuth Sonabends [16]. Sept. 97. Sontags. Ich wolte geſtern wenigſtens ein Paar Zeilen ſchreiben — und mit dem Paare fang’ ich heute an. — Den Schnit deiner Federn wirſt du 20 im nächſten Frühling noch finden. Um ½10 Uhr. Jezt hab ich deinen Brief. Nun bin ich über meine Abweſenheit wieder durch die Entzückungen des freundlichen Paars bei euch, und durch das Betragen meines Bruders getröſtet, der vor mir, aber mit 25 weniger Recht wie der Straus mit ſeinem Kopfe Verſteckens ſpielt. Hätt’ ich den alten Stokknopf mit dem W der Spangenberg noch, dieſe Wilhelmine müſte auch darauf. Ich werde ſie nur wiederſehen, ſo leibhaftig haſt du mir ſie gemalt. — Das mit Serboni hat mich gerührt: möge der kleine Planet nur irgend einen Wiederſchein der 30 Sonne, die ihm fehlt, durch ſein Gefängnisgitter bringen! Kein heiligeres Geſchenk giebt es nicht als das angebotene. — In Schwarzach war ich und unſer Simultan-Bruder den ½ Mitwoch und den ½ Donnerſtag. Leider hab’ ich ſchon Carolinen dieſen vom Himmel herabgeſenkten Himmel oder Freudenort gemalt. Nur Zeit 35 und weite Stiefel fehlten mir, um einmal durch ein langes iſoliertes

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/394>, abgerufen am 27.04.2024.