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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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*683. An Amöne Herold.

Amöne!

Ich dachte heute an Ihre jezige Einsamkeit und an meinen ewigen
Abschied von Hof. Ist er einmal genommen, so dekt der Kontrast5
zwischen meinen verbesserten Verhältnissen und zwischen den jezigen
leider einen Schleier, oder eine Nacht über alles. Aber ich möchte
nicht mit einem zugeschlossenen Herzen von Ihnen gehen, dessen
Erinnerungen nicht den Ihrigen gleichen.

Ahlefeld würde über den Zufal des 22 August erfreuet sein, wenn10
er ihn wüste. Ich dachte gestern schon oft an heute, wenn ich auf Ihrer
Gestalt neben dem Wiederschein der Gegenwart den Schatten der
Vergangenheit aufsuchte, und mit dem heutigen Tage alles verglich,
was Sie je verloren und gewonnen haben -- ich dachte auch daran
daß wir uns zum lezten male in dieser Nähe und Verbindung Ge-15
burtstags-Wünsche schikten -- ich dachte daran mit welchen leeren,
kalten Zwischenräumen eine lange vorübergerükte Vergangenheit
hinter uns steht und wie fern und wie nahe zugleich wir uns noch
immer bleiben -- und wie die Wünsche des Menschen lügen.

Ich gebe Ihnen meine Hand beinahe mit der Empfindung, womit20
ich sie Ihnen zum lezten male geben werde und sage: immer bleibe
Ihrem Herzen Ruhe und Liebe und es merke nie, wenn ein anderes
scheidet.

Ich sehne mich unbeschreiblich nach Ihnen, und wir wollen noch
einmal lange einsam und entscheidend mit einander sprechen. Ich25
werde überal sein, wo Sie sind, bei Ihrem H. Vater, bei unserm Otto
oder in Hofek, oder wo Sie sonst sind, oder hinwollen. Ich bin und
bleibe unverändert

Ihr
Jean Paul
684. An Ahlefeldt in Berlin.[367]30

Unverändert Geliebter,

Wie gros mein Brief-horror naturalis sei, soltest du aus dem
Schweigen auf solche Briefe wie deine schliessen, worin eben so viel
Gluth als Schimmer ist und deren Schwungfedern eben so lang sind35
als glänzend. Ich schreibe jezt fast keine Briefe mehr als -- erste: den

*683. An Amöne Herold.

Amöne!

Ich dachte heute an Ihre jezige Einſamkeit und an meinen ewigen
Abſchied von Hof. Iſt er einmal genommen, ſo dekt der Kontraſt5
zwiſchen meinen verbeſſerten Verhältniſſen und zwiſchen den jezigen
leider einen Schleier, oder eine Nacht über alles. Aber ich möchte
nicht mit einem zugeſchloſſenen Herzen von Ihnen gehen, deſſen
Erinnerungen nicht den Ihrigen gleichen.

Ahlefeld würde über den Zufal des 22 Auguſt erfreuet ſein, wenn10
er ihn wüſte. Ich dachte geſtern ſchon oft an heute, wenn ich auf Ihrer
Geſtalt neben dem Wiederſchein der Gegenwart den Schatten der
Vergangenheit aufſuchte, und mit dem heutigen Tage alles verglich,
was Sie je verloren und gewonnen haben — ich dachte auch daran
daß wir uns zum lezten male in dieſer Nähe und Verbindung Ge-15
burtstags-Wünſche ſchikten — ich dachte daran mit welchen leeren,
kalten Zwiſchenräumen eine lange vorübergerükte Vergangenheit
hinter uns ſteht und wie fern und wie nahe zugleich wir uns noch
immer bleiben — und wie die Wünſche des Menſchen lügen.

Ich gebe Ihnen meine Hand beinahe mit der Empfindung, womit20
ich ſie Ihnen zum lezten male geben werde und ſage: immer bleibe
Ihrem Herzen Ruhe und Liebe und es merke nie, wenn ein anderes
ſcheidet.

Ich ſehne mich unbeſchreiblich nach Ihnen, und wir wollen noch
einmal lange einſam und entſcheidend mit einander ſprechen. Ich25
werde überal ſein, wo Sie ſind, bei Ihrem H. Vater, bei unſerm Otto
oder in Hofek, oder wo Sie ſonſt ſind, oder hinwollen. Ich bin und
bleibe unverändert

Ihr
Jean Paul
684. An Ahlefeldt in Berlin.[367]30

Unverändert Geliebter,

Wie gros mein Brief-horror naturalis ſei, ſolteſt du aus dem
Schweigen auf ſolche Briefe wie deine ſchlieſſen, worin eben ſo viel
Gluth als Schimmer iſt und deren Schwungfedern eben ſo lang ſind35
als glänzend. Ich ſchreibe jezt faſt keine Briefe mehr als — erſte: den

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[365/0386] *683. An Amöne Herold. Hof d. 22 Aug. 1797. Amöne! Ich dachte heute an Ihre jezige Einſamkeit und an meinen ewigen Abſchied von Hof. Iſt er einmal genommen, ſo dekt der Kontraſt 5 zwiſchen meinen verbeſſerten Verhältniſſen und zwiſchen den jezigen leider einen Schleier, oder eine Nacht über alles. Aber ich möchte nicht mit einem zugeſchloſſenen Herzen von Ihnen gehen, deſſen Erinnerungen nicht den Ihrigen gleichen. Ahlefeld würde über den Zufal des 22 Auguſt erfreuet ſein, wenn 10 er ihn wüſte. Ich dachte geſtern ſchon oft an heute, wenn ich auf Ihrer Geſtalt neben dem Wiederſchein der Gegenwart den Schatten der Vergangenheit aufſuchte, und mit dem heutigen Tage alles verglich, was Sie je verloren und gewonnen haben — ich dachte auch daran daß wir uns zum lezten male in dieſer Nähe und Verbindung Ge- 15 burtstags-Wünſche ſchikten — ich dachte daran mit welchen leeren, kalten Zwiſchenräumen eine lange vorübergerükte Vergangenheit hinter uns ſteht und wie fern und wie nahe zugleich wir uns noch immer bleiben — und wie die Wünſche des Menſchen lügen. Ich gebe Ihnen meine Hand beinahe mit der Empfindung, womit 20 ich ſie Ihnen zum lezten male geben werde und ſage: immer bleibe Ihrem Herzen Ruhe und Liebe und es merke nie, wenn ein anderes ſcheidet. Ich ſehne mich unbeſchreiblich nach Ihnen, und wir wollen noch einmal lange einſam und entſcheidend mit einander ſprechen. Ich 25 werde überal ſein, wo Sie ſind, bei Ihrem H. Vater, bei unſerm Otto oder in Hofek, oder wo Sie ſonſt ſind, oder hinwollen. Ich bin und bleibe unverändert Ihr Jean Paul 684. An Ahlefeldt in Berlin. 30 Hof d. 22 Aug. 97. Unverändert Geliebter, Wie gros mein Brief-horror naturalis ſei, ſolteſt du aus dem Schweigen auf ſolche Briefe wie deine ſchlieſſen, worin eben ſo viel Gluth als Schimmer iſt und deren Schwungfedern eben ſo lang ſind 35 als glänzend. Ich ſchreibe jezt faſt keine Briefe mehr als — erſte: den

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/386>, abgerufen am 27.04.2024.