Eben komm' ich von meiner erhobenen und erhebenden Emilie (v. Berlepsch) zurük und öfne leider deinen Brief später als den von Wernlein, der aussieht als wär' er vor 5 Jahren <Wochen> in Hofek5 oder Hirschberg geschrieben oder drunten und der mir nebst einigen andern Zügen Hof um 2 Monate zu bald*) verleidete.
[364]Die Fülle macht mich wenigstens schriftlich stum: 1000 Dinge hab ich dir zu sagen, wie du mir. Aber meine Universalhistorie in Franzen- bad und meine darein gewebten Entzückungen brauchen dein Ohr,10 nicht dein Auge: ach endlich fand ich die erste weibliche Seele, die ich ohne Ecken und Widersprüche genos und die mich und die ich besserte -- es ist diese Emilie v. Berlepsch. Sie ist zu edel und volendet, um mit Dinte gelobt zu werden.
Deine Freuden sind nothwendig und natürlich; aber nicht deine15 Klagen. In deinem Briefe misfiel mir deine Empfindung gegen die Kropf; nicht als Urtheil sondern als Wirkung: die Eitelkeit zieht durch 2 oder 4 Poren in deinen Busen ein; -- und sobald ich sie aus meinem vertrieben habe, wil ich deine rügen. Den Anlas dieses Tadels hast du weniger jezt gegeben als verdoppelt: dir kan ich nichts ver-20 geben, beinahe eher mir.
Über deinen ersten Brief wolt ich dir viel schreiben, über alle meine Schmerzen -- über alle Stacheln, womit das Geschik mein Herz durch- stochen hat -- über die dramatische Pein, die ich vorausgesehen -- über meine Klage ohne Trost, daß meine Mutter nichts, nichts, nichts25 auf der Erde gehabt und daß ich ihr so wenig gegeben und über mein Erstarren über das Buch worin sie aufschrieb, wie viel sie sonst von Monat zu Monat gesponnen. -- Wenn ich alle Bücher der Erde weg- werfe, so les' ich doch gute Mutter deines fort, worin alle Qualen deiner Nächte stehen und worin ich dich in der Mitternacht mit der keuchenden30 stechenden Brust den Faden deines kargen Lebens ziehen sehe. Ich habe sie 1 Vierteljahr vor ihrem Tode betrauert -- aber doch jezt thut es meiner Seele zu weh, daß sie hier nichts hatte als ein sieches Herz vol Thränen. Ach! du warst glüklicher! -- Ich wil dir meine Stunden
*) Kurz, in dem November, dem brittischen Ersäufungsmonat, ist mein Abreise-35 monat nach Leipzig.
679. An Chriſtian Otto in Bayreuth.
Hof. d. 13 Aug. 97 [Sonntag].
Eben komm’ ich von meiner erhobenen und erhebenden Emilie (v. Berlepſch) zurük und öfne leider deinen Brief ſpäter als den von Wernlein, der ausſieht als wär’ er vor 5 Jahren <Wochen> in Hofek5 oder Hirſchberg geſchrieben oder drunten und der mir nebſt einigen andern Zügen Hof um 2 Monate zu bald*) verleidete.
[364]Die Fülle macht mich wenigſtens ſchriftlich ſtum: 1000 Dinge hab ich dir zu ſagen, wie du mir. Aber meine Univerſalhiſtorie in Franzen- bad und meine darein gewebten Entzückungen brauchen dein Ohr,10 nicht dein Auge: ach endlich fand ich die erſte weibliche Seele, die ich ohne Ecken und Widerſprüche genos und die mich und die ich beſſerte — es iſt dieſe Emilie v. Berlepſch. Sie iſt zu edel und volendet, um mit Dinte gelobt zu werden.
Deine Freuden ſind nothwendig und natürlich; aber nicht deine15 Klagen. In deinem Briefe misfiel mir deine Empfindung gegen die Kropf; nicht als Urtheil ſondern als Wirkung: die Eitelkeit zieht durch 2 oder 4 Poren in deinen Buſen ein; — und ſobald ich ſie aus meinem vertrieben habe, wil ich deine rügen. Den Anlas dieſes Tadels haſt du weniger jezt gegeben als verdoppelt: dir kan ich nichts ver-20 geben, beinahe eher mir.
Über deinen erſten Brief wolt ich dir viel ſchreiben, über alle meine Schmerzen — über alle Stacheln, womit das Geſchik mein Herz durch- ſtochen hat — über die dramatiſche Pein, die ich vorausgeſehen — über meine Klage ohne Troſt, daß meine Mutter nichts, nichts, nichts25 auf der Erde gehabt und daß ich ihr ſo wenig gegeben und über mein Erſtarren über das Buch worin ſie aufſchrieb, wie viel ſie ſonſt von Monat zu Monat geſponnen. — Wenn ich alle Bücher der Erde weg- werfe, ſo leſ’ ich doch gute Mutter deines fort, worin alle Qualen deiner Nächte ſtehen und worin ich dich in der Mitternacht mit der keuchenden30 ſtechenden Bruſt den Faden deines kargen Lebens ziehen ſehe. Ich habe ſie 1 Vierteljahr vor ihrem Tode betrauert — aber doch jezt thut es meiner Seele zu weh, daß ſie hier nichts hatte als ein ſieches Herz vol Thränen. Ach! du warſt glüklicher! — Ich wil dir meine Stunden
*) Kurz, in dem November, dem brittiſchen Erſäufungsmonat, iſt mein Abreiſe-35 monat nach Leipzig.
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(v. Berlepſch) zurük und öfne leider deinen Brief ſpäter als den von
Wernlein, der ausſieht als wär’ er vor 5 Jahren <Wochen> in Hofek 5
oder Hirſchberg geſchrieben oder drunten und der mir nebſt einigen
andern Zügen Hof um 2 Monate zu bald *) verleidete.
Die Fülle macht mich wenigſtens ſchriftlich ſtum: 1000 Dinge hab
ich dir zu ſagen, wie du mir. Aber meine Univerſalhiſtorie in Franzen-
bad und meine darein gewebten Entzückungen brauchen dein Ohr, 10
nicht dein Auge: ach endlich fand ich die erſte weibliche Seele, die ich
ohne Ecken und Widerſprüche genos und die mich und die ich beſſerte
— es iſt dieſe Emilie v. Berlepſch. Sie iſt zu edel und volendet, um
mit Dinte gelobt zu werden.
[364]
Deine Freuden ſind nothwendig und natürlich; aber nicht deine 15
Klagen. In deinem Briefe misfiel mir deine Empfindung gegen die
Kropf; nicht als Urtheil ſondern als Wirkung: die Eitelkeit zieht
durch 2 oder 4 Poren in deinen Buſen ein; — und ſobald ich ſie aus
meinem vertrieben habe, wil ich deine rügen. Den Anlas dieſes Tadels
haſt du weniger jezt gegeben als verdoppelt: dir kan ich nichts ver- 20
geben, beinahe eher mir.
Über deinen erſten Brief wolt ich dir viel ſchreiben, über alle meine
Schmerzen — über alle Stacheln, womit das Geſchik mein Herz durch-
ſtochen hat — über die dramatiſche Pein, die ich vorausgeſehen —
über meine Klage ohne Troſt, daß meine Mutter nichts, nichts, nichts 25
auf der Erde gehabt und daß ich ihr ſo wenig gegeben und über mein
Erſtarren über das Buch worin ſie aufſchrieb, wie viel ſie ſonſt von
Monat zu Monat geſponnen. — Wenn ich alle Bücher der Erde weg-
werfe, ſo leſ’ ich doch gute Mutter deines fort, worin alle Qualen deiner
Nächte ſtehen und worin ich dich in der Mitternacht mit der keuchenden 30
ſtechenden Bruſt den Faden deines kargen Lebens ziehen ſehe. Ich habe
ſie 1 Vierteljahr vor ihrem Tode betrauert — aber doch jezt thut es
meiner Seele zu weh, daß ſie hier nichts hatte als ein ſieches Herz vol
Thränen. Ach! du warſt glüklicher! — Ich wil dir meine Stunden
*) Kurz, in dem November, dem brittiſchen Erſäufungsmonat, iſt mein Abreiſe- 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/383>, abgerufen am 30.07.2024.
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