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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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Warum sezet Ihre liebe Sehnsucht nicht die meinige voraus? --
Ich habe dem Schmerze die schwersten Steuern abgetragen und ich
habe nichts mehr zu verwinden als ein wachsendes Sehnen.

Den 5ten August, (Sonabends) wart' ich von 10 Uhr morgends
an auf Sie*), weil Sie so wollen und bleibe 8 Tage bei Ihnen: nur5
Regenwetter verschiebt meine Freude.

H. Herold, der an den Geist Ihres Geschlechts zu mänliche Fode-
rungen macht, kam dieses einzige mal mit erfülten zurük und wünscht
sehr, Sie wieder zu finden wenn nicht bei Eger doch in seinem Hause.

Ach in Ihrem Herzen ist mehr Liebe als in Ihrem Auge und darum10
werden Sie nicht gekant und nicht glüklich. -- Möchten Sie lieber an
meinen Schlüssen und meinen Erfahrungen als an meinen Empfin-
dungen Antheil nehmen! Ich kan wie Sie mit dem brenbaren Aether-
globus der 2ten Welt aufsteigen über die erste und in der Montgolfiere
des Ideals mich in den ofnern Himmel verlieren, aber ich frage dan15
nicht soviel wie Sie nach der Erdenkälte in der Höhe, weil ich nur von
der Erde, nicht vom Körper getrent bin. -- --

Ihre guten Kinder gewinn' ich immer lieber: die sanftesten Grüsse
an sie.

Lebe wohl, gute Emilie!20
Richter
671. An Esther Bernard in Franzensbad.[357]
[Kopie]

Die scharfe Eisenkette des Schiksals ris mich hart von Ihnen ab,
aber die weiche Blumenkette der Liebe -- deren Kette länger dauert als25
ihre Blumen -- zieht mich sanft zurük. Schön, Ihre freundschaftlichen
Irthümer zu verdienen, noch schöner, sie zu haben. In Ihrem Brief,
dessen Schreibtisch das Krankenbette ist, wurde ich [durch] den reinen
und lichten Geist darin an die Perlenmuscheln erinnert, bei denen man
immer Krankheit und Perlen zugleich antrift. Aber Ihr Geist ist sogar30
gesund, wenn es der Körper ist. Leben Sie froh im lichten Himmel
Ihres Wesens, ich kenne Sie nur genug, um Sie zu lieben, aber nicht,
um Sie zu schildern.

*) in Asch im Wirthshaus mit einem Rosse glaub' ich bezeichnet.
23*

Warum ſezet Ihre liebe Sehnſucht nicht die meinige voraus? —
Ich habe dem Schmerze die ſchwerſten Steuern abgetragen und ich
habe nichts mehr zu verwinden als ein wachſendes Sehnen.

Den 5ten Auguſt, (Sonabends) wart’ ich von 10 Uhr morgends
an auf Sie*), weil Sie ſo wollen und bleibe 8 Tage bei Ihnen: nur5
Regenwetter verſchiebt meine Freude.

H. Herold, der an den Geiſt Ihres Geſchlechts zu mänliche Fode-
rungen macht, kam dieſes einzige mal mit erfülten zurük und wünſcht
ſehr, Sie wieder zu finden wenn nicht bei Eger doch in ſeinem Hauſe.

Ach in Ihrem Herzen iſt mehr Liebe als in Ihrem Auge und darum10
werden Sie nicht gekant und nicht glüklich. — Möchten Sie lieber an
meinen Schlüſſen und meinen Erfahrungen als an meinen Empfin-
dungen Antheil nehmen! Ich kan wie Sie mit dem brenbaren Aether-
globus der 2ten Welt aufſteigen über die erſte und in der Montgolfiere
des Ideals mich in den ofnern Himmel verlieren, aber ich frage dan15
nicht ſoviel wie Sie nach der Erdenkälte in der Höhe, weil ich nur von
der Erde, nicht vom Körper getrent bin. — —

Ihre guten Kinder gewinn’ ich immer lieber: die ſanfteſten Grüſſe
an ſie.

Lebe wohl, gute Emilie!20
Richter
671. An Eſther Bernard in Franzensbad.[357]
[Kopie]

Die ſcharfe Eiſenkette des Schikſals ris mich hart von Ihnen ab,
aber die weiche Blumenkette der Liebe — deren Kette länger dauert als25
ihre Blumen — zieht mich ſanft zurük. Schön, Ihre freundſchaftlichen
Irthümer zu verdienen, noch ſchöner, ſie zu haben. In Ihrem Brief,
deſſen Schreibtiſch das Krankenbette iſt, wurde ich [durch] den reinen
und lichten Geiſt darin an die Perlenmuſcheln erinnert, bei denen man
immer Krankheit und Perlen zugleich antrift. Aber Ihr Geiſt iſt ſogar30
geſund, wenn es der Körper iſt. Leben Sie froh im lichten Himmel
Ihres Weſens, ich kenne Sie nur genug, um Sie zu lieben, aber nicht,
um Sie zu ſchildern.

*) in Aſch im Wirthshaus mit einem Roſſe glaub’ ich bezeichnet.
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[355/0372] Warum ſezet Ihre liebe Sehnſucht nicht die meinige voraus? — Ich habe dem Schmerze die ſchwerſten Steuern abgetragen und ich habe nichts mehr zu verwinden als ein wachſendes Sehnen. Den 5ten Auguſt, (Sonabends) wart’ ich von 10 Uhr morgends an auf Sie *), weil Sie ſo wollen und bleibe 8 Tage bei Ihnen: nur 5 Regenwetter verſchiebt meine Freude. H. Herold, der an den Geiſt Ihres Geſchlechts zu mänliche Fode- rungen macht, kam dieſes einzige mal mit erfülten zurük und wünſcht ſehr, Sie wieder zu finden wenn nicht bei Eger doch in ſeinem Hauſe. Ach in Ihrem Herzen iſt mehr Liebe als in Ihrem Auge und darum 10 werden Sie nicht gekant und nicht glüklich. — Möchten Sie lieber an meinen Schlüſſen und meinen Erfahrungen als an meinen Empfin- dungen Antheil nehmen! Ich kan wie Sie mit dem brenbaren Aether- globus der 2ten Welt aufſteigen über die erſte und in der Montgolfiere des Ideals mich in den ofnern Himmel verlieren, aber ich frage dan 15 nicht ſoviel wie Sie nach der Erdenkälte in der Höhe, weil ich nur von der Erde, nicht vom Körper getrent bin. — — Ihre guten Kinder gewinn’ ich immer lieber: die ſanfteſten Grüſſe an ſie. Lebe wohl, gute Emilie! 20 Richter 671. An Eſther Bernard in Franzensbad. [Hof, 30. Juli 1797] Die ſcharfe Eiſenkette des Schikſals ris mich hart von Ihnen ab, aber die weiche Blumenkette der Liebe — deren Kette länger dauert als 25 ihre Blumen — zieht mich ſanft zurük. Schön, Ihre freundſchaftlichen Irthümer zu verdienen, noch ſchöner, ſie zu haben. In Ihrem Brief, deſſen Schreibtiſch das Krankenbette iſt, wurde ich [durch] den reinen und lichten Geiſt darin an die Perlenmuſcheln erinnert, bei denen man immer Krankheit und Perlen zugleich antrift. Aber Ihr Geiſt iſt ſogar 30 geſund, wenn es der Körper iſt. Leben Sie froh im lichten Himmel Ihres Weſens, ich kenne Sie nur genug, um Sie zu lieben, aber nicht, um Sie zu ſchildern. *) in Aſch im Wirthshaus mit einem Roſſe glaub’ ich bezeichnet. 23*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/372>, abgerufen am 27.04.2024.