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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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606. An Emanuel.[332]

Unvergeslicher Emanuel,

Wenigstens mit 3 Zeilen mach' ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich
wil alles abgerissen und fragmentarisch sagen, wie das Schiksal uns5
die Zeit und die ganze Gegenwart nur in Punkten zumisset.

Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, -- nach einem fleischernen
Frühstük in Gefrees -- und um 2 Uhr -- nach einem einstündigen in
Münchberg --, in Hof an. Alle meine Geliebte im Ott[oischen] Hause
machten die Fenster vor dem langen Flüchtling auf. Ich gab durch10
meine Schilderungen Christian Entzückungen und Wünsche; aber er
kan nicht: und doch hindern ihn nicht Arbeiten, sondern Dinge die er
verschweigt. Ach der Leidende verdiente noch eher meine Bayreuther
Tage als ich! --

Renate erwartet meine längern Berichte erst. Ich glaube, ihre15
Lippen suchen auf meinen nichts als Ihre Küsse. Da ich ihr die
Wirkungen ihrer Briefe auf mich erzählte und -- zeigte: so sah ich,
das ihr Verbot nur aus Furcht der entgegengesezten gegeben war;
und sie freuete sich über die Erlaubnis. Kurz ich fand und brachte
überal nichts als warme Liebe wieder. -- Vergessen Sie den In-20
kognito-Manichord [?] über den Klöterschen grössern Sohn nicht! --
Danken Sie in meinem Namen für das Elrod[sche] Petschaft, für
dessen Doppelwerth ich mich nicht bedankte. --

Der Mensch, der überal Körper und Geist amalgamiert, verknüpft
daher Stube und Herz, und ich verknüpfe eben so den lezten Brief, den25
ich auf immer aus diesem Zimmer schreibe, mit meinen Gefühlen. Nie
rükt die schattige Vergangenheit näher an mein Herz und nie hör' ich
das eilende und zermalmende Räderwerk des Schiksals und des Lebens
lauter umrollen als -- wenn ich ausziehe. Ach wie rint, wie fliegt, wie
spielet alles! Wie oft fangen wir im Leben das Leben von neuem an,30
mit grössern Hofnungen und glauben blos die Zukunft reich und die
Vergangenheit arm! -- Ich sage nichts, Theuerer, von der 14tägigen.
Meine Liebe und meine Sehnsucht und meine Dankbarkeit wohnt bei
Ihnen. Sanfte, wohlthätige, liebende, stille Seele! lebe wohl und
bleibe so!35

Richter
606. An Emanuel.[332]

Unvergeslicher Emanuel,

Wenigſtens mit 3 Zeilen mach’ ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich
wil alles abgeriſſen und fragmentariſch ſagen, wie das Schikſal uns5
die Zeit und die ganze Gegenwart nur in Punkten zumiſſet.

Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, — nach einem fleiſchernen
Frühſtük in Gefrees — und um 2 Uhr — nach einem einſtündigen in
Münchberg —, in Hof an. Alle meine Geliebte im Ott[oiſchen] Hauſe
machten die Fenſter vor dem langen Flüchtling auf. Ich gab durch10
meine Schilderungen Chriſtian Entzückungen und Wünſche; aber er
kan nicht: und doch hindern ihn nicht Arbeiten, ſondern Dinge die er
verſchweigt. Ach der Leidende verdiente noch eher meine Bayreuther
Tage als ich! —

Renate erwartet meine längern Berichte erſt. Ich glaube, ihre15
Lippen ſuchen auf meinen nichts als Ihre Küſſe. Da ich ihr die
Wirkungen ihrer Briefe auf mich erzählte und — zeigte: ſo ſah ich,
das ihr Verbot nur aus Furcht der entgegengeſezten gegeben war;
und ſie freuete ſich über die Erlaubnis. Kurz ich fand und brachte
überal nichts als warme Liebe wieder. — Vergeſſen Sie den In-20
kognito-Manichord [?] über den Klöterſchen gröſſern Sohn nicht! —
Danken Sie in meinem Namen für das Elrod[sche] Petſchaft, für
deſſen Doppelwerth ich mich nicht bedankte. —

Der Menſch, der überal Körper und Geiſt amalgamiert, verknüpft
daher Stube und Herz, und ich verknüpfe eben ſo den lezten Brief, den25
ich auf immer aus dieſem Zimmer ſchreibe, mit meinen Gefühlen. Nie
rükt die ſchattige Vergangenheit näher an mein Herz und nie hör’ ich
das eilende und zermalmende Räderwerk des Schikſals und des Lebens
lauter umrollen als — wenn ich ausziehe. Ach wie rint, wie fliegt, wie
ſpielet alles! Wie oft fangen wir im Leben das Leben von neuem an,30
mit gröſſern Hofnungen und glauben blos die Zukunft reich und die
Vergangenheit arm! — Ich ſage nichts, Theuerer, von der 14tägigen.
Meine Liebe und meine Sehnſucht und meine Dankbarkeit wohnt bei
Ihnen. Sanfte, wohlthätige, liebende, ſtille Seele! lebe wohl und
bleibe ſo!35

Richter
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[331/0347] 606. An Emanuel. Hof d. 10 Mai 97. Unvergeslicher Emanuel, Wenigſtens mit 3 Zeilen mach’ ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich wil alles abgeriſſen und fragmentariſch ſagen, wie das Schikſal uns 5 die Zeit und die ganze Gegenwart nur in Punkten zumiſſet. Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, — nach einem fleiſchernen Frühſtük in Gefrees — und um 2 Uhr — nach einem einſtündigen in Münchberg —, in Hof an. Alle meine Geliebte im Ott[oiſchen] Hauſe machten die Fenſter vor dem langen Flüchtling auf. Ich gab durch 10 meine Schilderungen Chriſtian Entzückungen und Wünſche; aber er kan nicht: und doch hindern ihn nicht Arbeiten, ſondern Dinge die er verſchweigt. Ach der Leidende verdiente noch eher meine Bayreuther Tage als ich! — Renate erwartet meine längern Berichte erſt. Ich glaube, ihre 15 Lippen ſuchen auf meinen nichts als Ihre Küſſe. Da ich ihr die Wirkungen ihrer Briefe auf mich erzählte und — zeigte: ſo ſah ich, das ihr Verbot nur aus Furcht der entgegengeſezten gegeben war; und ſie freuete ſich über die Erlaubnis. Kurz ich fand und brachte überal nichts als warme Liebe wieder. — Vergeſſen Sie den In- 20 kognito-Manichord [?] über den Klöterſchen gröſſern Sohn nicht! — Danken Sie in meinem Namen für das Elrod[sche] Petſchaft, für deſſen Doppelwerth ich mich nicht bedankte. — Der Menſch, der überal Körper und Geiſt amalgamiert, verknüpft daher Stube und Herz, und ich verknüpfe eben ſo den lezten Brief, den 25 ich auf immer aus dieſem Zimmer ſchreibe, mit meinen Gefühlen. Nie rükt die ſchattige Vergangenheit näher an mein Herz und nie hör’ ich das eilende und zermalmende Räderwerk des Schikſals und des Lebens lauter umrollen als — wenn ich ausziehe. Ach wie rint, wie fliegt, wie ſpielet alles! Wie oft fangen wir im Leben das Leben von neuem an, 30 mit gröſſern Hofnungen und glauben blos die Zukunft reich und die Vergangenheit arm! — Ich ſage nichts, Theuerer, von der 14tägigen. Meine Liebe und meine Sehnſucht und meine Dankbarkeit wohnt bei Ihnen. Sanfte, wohlthätige, liebende, ſtille Seele! lebe wohl und bleibe ſo! 35 Richter

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/347>, abgerufen am 22.11.2024.