B[elgershayn] als schon die herabgezogne Sonne wie eine reife goldne Frucht in den Gipfeln hieng: Sie erinnern sich noch meiner Ent- schuldigung der späten Ankunft. Da ich den im Abendschimmer glim- menden Fenstern näher kam, schlug mein Herz vor Hofnung und Sehn-[320] sucht 2 Glükliche zu sehen verdoppelt. Ich sah Sie noch nicht, aber ich5 hörte eine weibliche Stimme im Garten singen. Die Erde wurde stiller und kühler -- die Sonne wiegte sich glänzend-aufgelöset tief an der Erde in Zweigen -- der Gottesacker schimmerte vor ihr als läge auf ihm das Morgenroth der Auferstehung -- Endlich sah ich meinen Oertel mit der Hand in Ihrer Hand, mit dem Auge vol Thränen und10 Freuden gegen die sterbende Sonne gekehrt und ich sah, daß er glüklich war, und ich las in seinen Augen das Glük der himlischen Liebe, das Sie besangen, und daß Sie das Versprechen Ihres Namens Fried[erike], der der Seele Frieden verheisset, gehalten, wie er das des seinigen. Und da ich ungesehen Sie erblikt, war meine ganze Seele eine frohe15 Rührung: nur diese schöne Seele, die immer liebt, die vom Schiksal und von Menschen nichts fodert als fremdes Glük, den eignen Kummer verbirgt und fremden erforscht, die so vol Geduld und vol Zuversicht und Seelenstille ist und die Erde für die erste Stufe einer höhern Welt und das Grab für die 2te ansieht, nur eine solche Seele verdient mein20 Freund und sein edles Herz vol unendlicher Liebe und seine Tugenden und alles, womit ein Mensch beglükt. Was könt' ich noch dazusezen, unsichtbare Freundin, als den Wunsch: so bleib' es ewig!
579. An Julie von Krüdener in Lausanne.
[Kopie][Hof, 4. April 1797]25
Ich hätte leichter alles errathen als mich -- Wie todtenbleich sind Briefe gegen die lebend[ige] Gegenwart. Der mit Dinte gemalte Wiederschein des innern Feuers hat nicht die Wärme, nur die Farbe des Feuers. Auf welchen Grund und mit welcher Farbengebung könt' ich das Altarblat malen, das die glühende Begeisterung unsrer ersten30 Zusammenkunft trüge? Würden nicht auf der kalten Leinwand alle Flammen zu dunkeln Kohlen erkalten? -- Herders Geist ist ein lebend[iges] Sternensystem, seine Wege sind Milchstrassen und sein Herz eine warme Sonne: wie könte ein solcher Geist den Tempel der Schöpfung in eine Begräbniskap[elle] des Geistes und den erhabnen35
B[elgershayn] als ſchon die herabgezogne Sonne wie eine reife goldne Frucht in den Gipfeln hieng: Sie erinnern ſich noch meiner Ent- ſchuldigung der ſpäten Ankunft. Da ich den im Abendſchimmer glim- menden Fenſtern näher kam, ſchlug mein Herz vor Hofnung und Sehn-[320] ſucht 2 Glükliche zu ſehen verdoppelt. Ich ſah Sie noch nicht, aber ich5 hörte eine weibliche Stimme im Garten ſingen. Die Erde wurde ſtiller und kühler — die Sonne wiegte ſich glänzend-aufgelöſet tief an der Erde in Zweigen — der Gottesacker ſchimmerte vor ihr als läge auf ihm das Morgenroth der Auferſtehung — Endlich ſah ich meinen Oertel mit der Hand in Ihrer Hand, mit dem Auge vol Thränen und10 Freuden gegen die ſterbende Sonne gekehrt und ich ſah, daß er glüklich war, und ich las in ſeinen Augen das Glük der himliſchen Liebe, das Sie beſangen, und daß Sie das Verſprechen Ihres Namens Fried[erike], der der Seele Frieden verheiſſet, gehalten, wie er das des ſeinigen. Und da ich ungeſehen Sie erblikt, war meine ganze Seele eine frohe15 Rührung: nur dieſe ſchöne Seele, die immer liebt, die vom Schikſal und von Menſchen nichts fodert als fremdes Glük, den eignen Kummer verbirgt und fremden erforſcht, die ſo vol Geduld und vol Zuverſicht und Seelenſtille iſt und die Erde für die erſte Stufe einer höhern Welt und das Grab für die 2te anſieht, nur eine ſolche Seele verdient mein20 Freund und ſein edles Herz vol unendlicher Liebe und ſeine Tugenden und alles, womit ein Menſch beglükt. Was könt’ ich noch dazuſezen, unſichtbare Freundin, als den Wunſch: ſo bleib’ es ewig!
579. An Julie von Krüdener in Lauſanne.
[Kopie][Hof, 4. April 1797]25
Ich hätte leichter alles errathen als mich — Wie todtenbleich ſind Briefe gegen die lebend[ige] Gegenwart. Der mit Dinte gemalte Wiederſchein des innern Feuers hat nicht die Wärme, nur die Farbe des Feuers. Auf welchen Grund und mit welcher Farbengebung könt’ ich das Altarblat malen, das die glühende Begeiſterung unſrer erſten30 Zuſammenkunft trüge? Würden nicht auf der kalten Leinwand alle Flammen zu dunkeln Kohlen erkalten? — Herders Geiſt iſt ein lebend[iges] Sternenſyſtem, ſeine Wege ſind Milchſtraſſen und ſein Herz eine warme Sonne: wie könte ein ſolcher Geiſt den Tempel der Schöpfung in eine Begräbniskap[elle] des Geiſtes und den erhabnen35
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B[elgershayn] als ſchon die herabgezogne Sonne wie eine reife goldne
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menden Fenſtern näher kam, ſchlug mein Herz vor Hofnung und Sehn-
ſucht 2 Glükliche zu ſehen verdoppelt. Ich ſah Sie noch nicht, aber ich 5
hörte eine weibliche Stimme im Garten ſingen. Die Erde wurde ſtiller
und kühler — die Sonne wiegte ſich glänzend-aufgelöſet tief an der
Erde in Zweigen — der Gottesacker ſchimmerte vor ihr als läge auf
ihm das Morgenroth der Auferſtehung — Endlich ſah ich meinen
Oertel mit der Hand in Ihrer Hand, mit dem Auge vol Thränen und 10
Freuden gegen die ſterbende Sonne gekehrt und ich ſah, daß er glüklich
war, und ich las in ſeinen Augen das Glük der himliſchen Liebe, das Sie
beſangen, und daß Sie das Verſprechen Ihres Namens Fried[erike],
der der Seele Frieden verheiſſet, gehalten, wie er das des ſeinigen.
Und da ich ungeſehen Sie erblikt, war meine ganze Seele eine frohe 15
Rührung: nur dieſe ſchöne Seele, die immer liebt, die vom Schikſal
und von Menſchen nichts fodert als fremdes Glük, den eignen Kummer
verbirgt und fremden erforſcht, die ſo vol Geduld und vol Zuverſicht
und Seelenſtille iſt und die Erde für die erſte Stufe einer höhern Welt
und das Grab für die 2te anſieht, nur eine ſolche Seele verdient mein 20
Freund und ſein edles Herz vol unendlicher Liebe und ſeine Tugenden
und alles, womit ein Menſch beglükt. Was könt’ ich noch dazuſezen,
unſichtbare Freundin, als den Wunſch: ſo bleib’ es ewig!
[320]
579. An Julie von Krüdener in Lauſanne.
[Hof, 4. April 1797] 25
Ich hätte leichter alles errathen als mich — Wie todtenbleich ſind
Briefe gegen die lebend[ige] Gegenwart. Der mit Dinte gemalte
Wiederſchein des innern Feuers hat nicht die Wärme, nur die Farbe
des Feuers. Auf welchen Grund und mit welcher Farbengebung könt’
ich das Altarblat malen, das die glühende Begeiſterung unſrer erſten 30
Zuſammenkunft trüge? Würden nicht auf der kalten Leinwand alle
Flammen zu dunkeln Kohlen erkalten? — Herders Geiſt iſt ein
lebend[iges] Sternenſyſtem, ſeine Wege ſind Milchſtraſſen und ſein
Herz eine warme Sonne: wie könte ein ſolcher Geiſt den Tempel der
Schöpfung in eine Begräbniskap[elle] des Geiſtes und den erhabnen 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/334>, abgerufen am 25.11.2024.
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