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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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Lebe wohl, mein guter Oertel, dessen Herz ich täglich lieber gewinne
und höher achten mus, o deine Freude wachse wie meine Achtung für
dich und das Schiksal versage dir -- meine Wünsche nicht!

Jean Paul
Fr. Richter
5
[319][Auf einem besonderen Blatt:]

Lache mich aus, aber halte mirs zu Gute. Lobe nämlich vor deiner
Braut Amoenen nicht zu sehr: diese Lobreden gefallen ihr nur durch
eine Selbsttäuschung, indem deine Freuden so sehr zu ihrigen werden,
daß sie nur durch dich sieht, liebt und geniesset und lobt. Sie liebte in10
ihrer Feindin deine Freundin. Wenn aber die Magie sich in Freund-
schaft entzaubert: dan urtheilt sie weiblicher und wil von deiner Liebe
keiner andern etwas abgeben, was sie jezt beim Überfliessen derselben
leichter kan. Kurz in der Ehe sehen die Weiber die Bekantschaften vor
derselben anders an. Der 2te Grund ist, daß du überhaupt Amoene zu15
sehr auf Friederikes Kosten erhebst (du müstest denn blos ihre Talente
meinen). Jene hat blos die Tugenden, die sich auf das Ich beziehen,
edlen Stolz, Muth, Seelenerhebung, Geradheit, Festigkeit etc.; aber
wenige von denen die andere angehen, wenig Liebe für Freundinnen,
Geschwister und opfert sich selten auf. Liebe für den Geliebten ist nur20
ein Himmel aber keine Tugend, obwohl oft die Wurzel der Tugend.
Die Weiber haben mehr die 2te Art der Tugenden, die Männer die
erste: beide sind leicht zu trennen, schwer zu vereinen.

578. An Friedrich von Oertels Braut.
[Kopie]25

Tage- oder Minutenbuch alles dessen, was bei meiner Ankunft in
Belgershayn am künftigen July vorfiel.

Sie wissen, daß ich Nachmittags am künftigen von Leipzig ab-
gieng. Mein Weg lief durch einen 3 Stunden langen Baumgarten: ich
wünschte Ihnen unterwegs alles Schöne, bei dem ich vorbei gieng, und30
freute mich über den ebenen belaubten Weg, der die liebende Tochter
nur durch Schönheiten vom elterlichen Busen trent. Und in der sanften
blühenden Natur stelt' ich immer das schöne Gemälde auf, das mir Ihr
und mein Freund von dem stillen weichen geduldigen liebenden Herzen
seiner besten und ewigen Freundin entworfen hatte. Ich sah erst35

Lebe wohl, mein guter Oertel, deſſen Herz ich täglich lieber gewinne
und höher achten mus, o deine Freude wachſe wie meine Achtung für
dich und das Schikſal verſage dir — meine Wünſche nicht!

Jean Paul
Fr. Richter
5
[319][Auf einem besonderen Blatt:]

Lache mich aus, aber halte mirs zu Gute. Lobe nämlich vor deiner
Braut Amoenen nicht zu ſehr: dieſe Lobreden gefallen ihr nur durch
eine Selbſttäuſchung, indem deine Freuden ſo ſehr zu ihrigen werden,
daß ſie nur durch dich ſieht, liebt und genieſſet und lobt. Sie liebte in10
ihrer Feindin deine Freundin. Wenn aber die Magie ſich in Freund-
ſchaft entzaubert: dan urtheilt ſie weiblicher und wil von deiner Liebe
keiner andern etwas abgeben, was ſie jezt beim Überflieſſen derſelben
leichter kan. Kurz in der Ehe ſehen die Weiber die Bekantſchaften vor
derſelben anders an. Der 2te Grund iſt, daß du überhaupt Amoene zu15
ſehr auf Friederikes Koſten erhebſt (du müſteſt denn blos ihre Talente
meinen). Jene hat blos die Tugenden, die ſich auf das Ich beziehen,
edlen Stolz, Muth, Seelenerhebung, Geradheit, Feſtigkeit ꝛc.; aber
wenige von denen die andere angehen, wenig Liebe für Freundinnen,
Geſchwiſter und opfert ſich ſelten auf. Liebe für den Geliebten iſt nur20
ein Himmel aber keine Tugend, obwohl oft die Wurzel der Tugend.
Die Weiber haben mehr die 2te Art der Tugenden, die Männer die
erſte: beide ſind leicht zu trennen, ſchwer zu vereinen.

578. An Friedrich von Oertels Braut.
[Kopie]25

Tage- oder Minutenbuch alles deſſen, was bei meiner Ankunft in
Belgershayn am künftigen July vorfiel.

Sie wiſſen, daß ich Nachmittags am künftigen von Leipzig ab-
gieng. Mein Weg lief durch einen 3 Stunden langen Baumgarten: ich
wünſchte Ihnen unterwegs alles Schöne, bei dem ich vorbei gieng, und30
freute mich über den ebenen belaubten Weg, der die liebende Tochter
nur durch Schönheiten vom elterlichen Buſen trent. Und in der ſanften
blühenden Natur ſtelt’ ich immer das ſchöne Gemälde auf, das mir Ihr
und mein Freund von dem ſtillen weichen geduldigen liebenden Herzen
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[318/0333] Lebe wohl, mein guter Oertel, deſſen Herz ich täglich lieber gewinne und höher achten mus, o deine Freude wachſe wie meine Achtung für dich und das Schikſal verſage dir — meine Wünſche nicht! Jean Paul Fr. Richter 5 Lache mich aus, aber halte mirs zu Gute. Lobe nämlich vor deiner Braut Amoenen nicht zu ſehr: dieſe Lobreden gefallen ihr nur durch eine Selbſttäuſchung, indem deine Freuden ſo ſehr zu ihrigen werden, daß ſie nur durch dich ſieht, liebt und genieſſet und lobt. Sie liebte in 10 ihrer Feindin deine Freundin. Wenn aber die Magie ſich in Freund- ſchaft entzaubert: dan urtheilt ſie weiblicher und wil von deiner Liebe keiner andern etwas abgeben, was ſie jezt beim Überflieſſen derſelben leichter kan. Kurz in der Ehe ſehen die Weiber die Bekantſchaften vor derſelben anders an. Der 2te Grund iſt, daß du überhaupt Amoene zu 15 ſehr auf Friederikes Koſten erhebſt (du müſteſt denn blos ihre Talente meinen). Jene hat blos die Tugenden, die ſich auf das Ich beziehen, edlen Stolz, Muth, Seelenerhebung, Geradheit, Feſtigkeit ꝛc.; aber wenige von denen die andere angehen, wenig Liebe für Freundinnen, Geſchwiſter und opfert ſich ſelten auf. Liebe für den Geliebten iſt nur 20 ein Himmel aber keine Tugend, obwohl oft die Wurzel der Tugend. Die Weiber haben mehr die 2te Art der Tugenden, die Männer die erſte: beide ſind leicht zu trennen, ſchwer zu vereinen. 578. An Friedrich von Oertels Braut. [Hof, 4. April 1797] 25 Tage- oder Minutenbuch alles deſſen, was bei meiner Ankunft in Belgershayn am künftigen July vorfiel. Sie wiſſen, daß ich Nachmittags am künftigen von Leipzig ab- gieng. Mein Weg lief durch einen 3 Stunden langen Baumgarten: ich wünſchte Ihnen unterwegs alles Schöne, bei dem ich vorbei gieng, und 30 freute mich über den ebenen belaubten Weg, der die liebende Tochter nur durch Schönheiten vom elterlichen Buſen trent. Und in der ſanften blühenden Natur ſtelt’ ich immer das ſchöne Gemälde auf, das mir Ihr und mein Freund von dem ſtillen weichen geduldigen liebenden Herzen ſeiner beſten und ewigen Freundin entworfen hatte. Ich ſah erſt 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/333>, abgerufen am 22.11.2024.