Das Datum klagt mich [wegen Versäumnis] an, [aber die Zer- streuung der Freude, der Rührung, die Besuche machten, daß ich am ersten Tage meines neuen Lebens das Wort brach. Nach der ersten5 Sünde ist es dem Menschen natürlich, fortzusündigen bis zum 3 April. Ich beantworte zuerst Ihren lezten genialischen Brief.]
-- Die Lähmung und Apoplexie Ihres Herzens in Beziehung auf die [317]äussere Welt [thut mir weh;] -- dieses Erkalten aller Wünsche ist Krankheit und ich hoffe nur körperliche. Diese Erkrankung nimt durch10 Ruhe und Phantasie zu und geht [nur] fort durch Thätigkeit. [Eine Reise wäre Ihnen Arznei -- ach gienge sie doch durch meine Stadt!]
-- Das ganze Arbeitszeug meines Körpers kan mein Geist noch 20 Jahre gebrauchen eh' es zerbricht. Eben löset sich vor meinem Papier die Abendsonne in erhizten Goldwolken des Abends auf und15 koloriert meine Wünsche [für meine Freundin -- damit sie froher sei -- daß sie die Erde besser und die Menschen schöner finde -- und daß ihr Herz durch Thätigkeit genese. -- Du giebst mir Schmerzen, weil ich dich nicht ändern d. h. erfreuen kan, noch weniger ermuthigen. -- Hoffet die Zukunft und geniesset die Gegenwart! und ich bin seelig --20 werde es!]
577. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Hof. d. 4tenApril 97.
Guter Alter! oder alter Guter! Wir fassen wieder unsere Hände, wenigstens unsere Schreibfinger daran. -- In [den] folgenden Säzen25 ist nur Moser'scher Nexus, obwohl schönerer Anlas.
Deine litterarische Laufbahn über die ausländischen Felder hinüber ist mir deinetwegen wilkommen. Ohne Arbeit, d. h. ohne täglichen Unterzwek ist das Leben leer und die Freude schaal. Nur Arbeit ist die Ouvertüre des frohern innern Konzerts; und ich würde sie auch ohne30 ihren innern hinreissenden Reiz schon meines Gewissens und Stolzes wegen suchen, um unter der Million, die um mich keucht und schwizt und sinkt, mich durch das Bewustsein der eignen Anspannung aufrecht zu erhalten. Arbeitsame Ermüdung ist das Salz des Lebens; und die ge- niessende dessen Menstruum.35
(*)576. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 3. April 1797]
Das Datum klagt mich [wegen Verſäumnis] an, [aber die Zer- ſtreuung der Freude, der Rührung, die Beſuche machten, daß ich am erſten Tage meines neuen Lebens das Wort brach. Nach der erſten5 Sünde iſt es dem Menſchen natürlich, fortzuſündigen bis zum 3 April. Ich beantworte zuerſt Ihren lezten genialiſchen Brief.]
— Die Lähmung und Apoplexie Ihres Herzens in Beziehung auf die [317]äuſſere Welt [thut mir weh;] — dieſes Erkalten aller Wünſche iſt Krankheit und ich hoffe nur körperliche. Dieſe Erkrankung nimt durch10 Ruhe und Phantaſie zu und geht [nur] fort durch Thätigkeit. [Eine Reiſe wäre Ihnen Arznei — ach gienge ſie doch durch meine Stadt!]
— Das ganze Arbeitszeug meines Körpers kan mein Geiſt noch 20 Jahre gebrauchen eh’ es zerbricht. Eben löſet ſich vor meinem Papier die Abendſonne in erhizten Goldwolken des Abends auf und15 koloriert meine Wünſche [für meine Freundin — damit ſie froher ſei — daß ſie die Erde beſſer und die Menſchen ſchöner finde — und daß ihr Herz durch Thätigkeit geneſe. — Du giebſt mir Schmerzen, weil ich dich nicht ändern d. h. erfreuen kan, noch weniger ermuthigen. — Hoffet die Zukunft und genieſſet die Gegenwart! und ich bin ſeelig —20 werde es!]
577. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Hof. d. 4tenApril 97.
Guter Alter! oder alter Guter! Wir faſſen wieder unſere Hände, wenigſtens unſere Schreibfinger daran. — In [den] folgenden Säzen25 iſt nur Moſer’ſcher Nexus, obwohl ſchönerer Anlas.
Deine litterariſche Laufbahn über die ausländiſchen Felder hinüber iſt mir deinetwegen wilkommen. Ohne Arbeit, d. h. ohne täglichen Unterzwek iſt das Leben leer und die Freude ſchaal. Nur Arbeit iſt die Ouvertüre des frohern innern Konzerts; und ich würde ſie auch ohne30 ihren innern hinreiſſenden Reiz ſchon meines Gewiſſens und Stolzes wegen ſuchen, um unter der Million, die um mich keucht und ſchwizt und ſinkt, mich durch das Bewuſtſein der eignen Anſpannung aufrecht zu erhalten. Arbeitſame Ermüdung iſt das Salz des Lebens; und die ge- nieſſende deſſen Menſtruum.35
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ſtreuung der Freude, der Rührung, die Beſuche machten, daß ich am
erſten Tage meines neuen Lebens das Wort brach. Nach der erſten 5
Sünde iſt es dem Menſchen natürlich, fortzuſündigen bis zum 3 April.
Ich beantworte zuerſt Ihren lezten genialiſchen Brief.]
— Die Lähmung und Apoplexie Ihres Herzens in Beziehung auf die
äuſſere Welt [thut mir weh;] — dieſes Erkalten aller Wünſche iſt
Krankheit und ich hoffe nur körperliche. Dieſe Erkrankung nimt durch 10
Ruhe und Phantaſie zu und geht [nur] fort durch Thätigkeit. [Eine
Reiſe wäre Ihnen Arznei — ach gienge ſie doch durch meine Stadt!]
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— Das ganze Arbeitszeug meines Körpers kan mein Geiſt noch
20 Jahre gebrauchen eh’ es zerbricht. Eben löſet ſich vor meinem
Papier die Abendſonne in erhizten Goldwolken des Abends auf und 15
koloriert meine Wünſche [für meine Freundin — damit ſie froher ſei —
daß ſie die Erde beſſer und die Menſchen ſchöner finde — und daß ihr
Herz durch Thätigkeit geneſe. — Du giebſt mir Schmerzen, weil ich
dich nicht ändern d. h. erfreuen kan, noch weniger ermuthigen. —
Hoffet die Zukunft und genieſſet die Gegenwart! und ich bin ſeelig — 20
werde es!]
577. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Hof. d. 4ten April 97.
Guter Alter! oder alter Guter! Wir faſſen wieder unſere Hände,
wenigſtens unſere Schreibfinger daran. — In [den] folgenden Säzen 25
iſt nur Moſer’ſcher Nexus, obwohl ſchönerer Anlas.
Deine litterariſche Laufbahn über die ausländiſchen Felder hinüber
iſt mir deinetwegen wilkommen. Ohne Arbeit, d. h. ohne täglichen
Unterzwek iſt das Leben leer und die Freude ſchaal. Nur Arbeit iſt die
Ouvertüre des frohern innern Konzerts; und ich würde ſie auch ohne 30
ihren innern hinreiſſenden Reiz ſchon meines Gewiſſens und Stolzes
wegen ſuchen, um unter der Million, die um mich keucht und ſchwizt
und ſinkt, mich durch das Bewuſtſein der eignen Anſpannung aufrecht
zu erhalten. Arbeitſame Ermüdung iſt das Salz des Lebens; und die ge-
nieſſende deſſen Menſtruum. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/331>, abgerufen am 16.02.2025.
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