fertigen den Namen Musen-Almanach. Schiller opfert leider seine grosse Manier der Göthischen. -- Unsere Rezensionen sind noch schlechter als unsere Gedichte. Die über mich helfen mir merkantilisch viel, und ästhetisch wenig. Es giebt für einen Autor keine nüzliche Kritik als die weitläuftige, z. B. in der (sonst engherzigen) Bibliothek5 der schönen Wissenschaften. Der Himmel verleihe mir nur einmal Zeit zu 24 Bögen kritischen Inhalts, zumal wegen der Theorie des Romans. Ich behaupte, was interessieret, mus fortschreiten: nur vermengt Rezens. Mangel an äusserer Akzion mit dem Dasein innerer, ohne die jene keine ist.10
Hier schick' ich dir viel von mir, noch nas von der Presse, der De- zember mach' es nicht auch nas.
Die Kürze, die ich jezt meinen Briefen gebe, nehmen natürlich auch die Behauptungen darin an, die daher einen diktatorischen Schein bekommen. Der Schein irre dich nicht; aber leider überlass' ich die15 Beweise dir und sende nur die Theses. -- Jezt füge den Müllerschen Brief an deinen hier und lese weiter. Ich danke deinem Herzen für das Geschenk eines neuen. Lebe fröhlich und ruhig und vergieb deinem Freund nicht nur das Schweigen sondern auch das Reden.
Richter20
470. An Methusalem Müller in Leipzig.
[Kopie][Hof, 1. Dez. 1796]
Ihre Versicherung, daß meine kleinen Blätter wenigstens gegen einige Stacheln des Ziliziums, das wir alle tragen, die Unterlage wurde. Durch den wachsenden Kontrast, da die Verfeinerung zugleich25 die Wunden und die Marterinstrumente, zugleich die bürgerlichen Abgründe und die idealischen Höhen vergrössert, ist die Erde so ver- worren, daß es noch leichter ist, volkomne Tugend zu finden als vol- komne Ruhe. Das Ziel meiner litterarischen Eintagsfliegen ist: den Menschen Ruhestätten zu zeigen schon vor der tiefsten -- sie mit den30 Thoren zu versöhnen auf Kosten der Thorheiten -- ihnen in der Wüste Blumen, an Pedanten Freude, am Hof Tugend, im Schmerz die Seeligkeit, in der Armuth einen [?] eben so grossen Reichthum und sogar in diesem einen und am Ende auf der ganzen Erde 2 Himmel zu[276] zeigen, einen jezigen und einen künftigen. Die Alten suchten ihr Glük in35
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fertigen den Namen Muſen-Almanach. Schiller opfert leider ſeine groſſe Manier der Göthiſchen. — Unſere Rezenſionen ſind noch ſchlechter als unſere Gedichte. Die über mich helfen mir merkantiliſch viel, und äſthetiſch wenig. Es giebt für einen Autor keine nüzliche Kritik als die weitläuftige, z. B. in der (ſonſt engherzigen) Bibliothek5 der ſchönen Wiſſenſchaften. Der Himmel verleihe mir nur einmal Zeit zu 24 Bögen kritiſchen Inhalts, zumal wegen der Theorie des Romans. Ich behaupte, was intereſſieret, mus fortſchreiten: nur vermengt Rezenſ. Mangel an äuſſerer Akzion mit dem Daſein innerer, ohne die jene keine iſt.10
Hier ſchick’ ich dir viel von mir, noch nas von der Preſſe, der De- zember mach’ es nicht auch nas.
Die Kürze, die ich jezt meinen Briefen gebe, nehmen natürlich auch die Behauptungen darin an, die daher einen diktatoriſchen Schein bekommen. Der Schein irre dich nicht; aber leider überlaſſ’ ich die15 Beweiſe dir und ſende nur die Theſes. — Jezt füge den Müllerſchen Brief an deinen hier und leſe weiter. Ich danke deinem Herzen für das Geſchenk eines neuen. Lebe fröhlich und ruhig und vergieb deinem Freund nicht nur das Schweigen ſondern auch das Reden.
Richter20
470. An Methuſalem Müller in Leipzig.
[Kopie][Hof, 1. Dez. 1796]
Ihre Verſicherung, daß meine kleinen Blätter wenigſtens gegen einige Stacheln des Ziliziums, das wir alle tragen, die Unterlage wurde. Durch den wachſenden Kontraſt, da die Verfeinerung zugleich25 die Wunden und die Marterinſtrumente, zugleich die bürgerlichen Abgründe und die idealiſchen Höhen vergröſſert, iſt die Erde ſo ver- worren, daß es noch leichter iſt, volkomne Tugend zu finden als vol- komne Ruhe. Das Ziel meiner litterariſchen Eintagsfliegen iſt: den Menſchen Ruheſtätten zu zeigen ſchon vor der tiefſten — ſie mit den30 Thoren zu verſöhnen auf Koſten der Thorheiten — ihnen in der Wüſte Blumen, an Pedanten Freude, am Hof Tugend, im Schmerz die Seeligkeit, in der Armuth einen [?] eben ſo groſſen Reichthum und ſogar in dieſem einen und am Ende auf der ganzen Erde 2 Himmel zu[276] zeigen, einen jezigen und einen künftigen. Die Alten ſuchten ihr Glük in35
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viel, und äſthetiſch wenig. Es giebt für einen Autor keine nüzliche
Kritik als die weitläuftige, z. B. in der (ſonſt engherzigen) Bibliothek 5
der ſchönen Wiſſenſchaften. Der Himmel verleihe mir nur einmal Zeit
zu 24 Bögen kritiſchen Inhalts, zumal wegen der Theorie des Romans.
Ich behaupte, was intereſſieret, mus fortſchreiten: nur vermengt
Rezenſ. Mangel an äuſſerer Akzion mit dem Daſein innerer, ohne die
jene keine iſt. 10
Hier ſchick’ ich dir viel von mir, noch nas von der Preſſe, der De-
zember mach’ es nicht auch nas.
Die Kürze, die ich jezt meinen Briefen gebe, nehmen natürlich auch
die Behauptungen darin an, die daher einen diktatoriſchen Schein
bekommen. Der Schein irre dich nicht; aber leider überlaſſ’ ich die 15
Beweiſe dir und ſende nur die Theſes. — Jezt füge den Müllerſchen
Brief an deinen hier und leſe weiter. Ich danke deinem Herzen für
das Geſchenk eines neuen. Lebe fröhlich und ruhig und vergieb deinem
Freund nicht nur das Schweigen ſondern auch das Reden.
Richter 20
470. An Methuſalem Müller in Leipzig.
[Hof, 1. Dez. 1796]
Ihre Verſicherung, daß meine kleinen Blätter wenigſtens gegen
einige Stacheln des Ziliziums, das wir alle tragen, die Unterlage
wurde. Durch den wachſenden Kontraſt, da die Verfeinerung zugleich 25
die Wunden und die Marterinſtrumente, zugleich die bürgerlichen
Abgründe und die idealiſchen Höhen vergröſſert, iſt die Erde ſo ver-
worren, daß es noch leichter iſt, volkomne Tugend zu finden als vol-
komne Ruhe. Das Ziel meiner litterariſchen Eintagsfliegen iſt: den
Menſchen Ruheſtätten zu zeigen ſchon vor der tiefſten — ſie mit den 30
Thoren zu verſöhnen auf Koſten der Thorheiten — ihnen in der Wüſte
Blumen, an Pedanten Freude, am Hof Tugend, im Schmerz die
Seeligkeit, in der Armuth einen [?] eben ſo groſſen Reichthum und
ſogar in dieſem einen und am Ende auf der ganzen Erde 2 Himmel zu
zeigen, einen jezigen und einen künftigen. Die Alten ſuchten ihr Glük in 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/290>, abgerufen am 07.07.2024.
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