Verweilen Sie gerne, liebe Amöne, auf dem kleinen blassen aufs Papier geworfnen Wiederschein meiner Seele vol Liebe und Wünsche für Ihren Tag.5
Ich stehe erweicht neben Ihnen und sehe, wie aus einer lichten Wolke die geliebte Mutter auf Sie herabschaut und mit den geliebten Menschen hier unten Ihren Geburtstag mitfeiert.
O da die Zukunft ein Eisberg ist, auf dem man in seiner Nähe erstart, während auf ihm wenn wir ihn aus der Ferne sehen ein weites glänzen-10 des Abendroth liegt: so werde für Sie, Theuere, Ihre Zukunft der rosige Schimmer, der unsere Blicke fesselt und erhebt.
Das Schönere, wornach wir schmachten, liegt weit ab über den Sternen, die so entlegen sind und wie diese schmuzige Erde tief im grossen Himmel schimmern.15
Da unser Weilen hier nur ein schnelles Hinwegeilen ist, da das Bette nichts ist als ein breiterer Sarg, da unsere Wünsche unendlich und unsere Kraft so endlich ist wie unser Leben und jede Freude, o so sei dieser Goldschimmer des Eisberges nur der Vorhof, der Sie in das neue Lebensjahr führt, an dessen Schwelle Ihr Genius steht und Sie20 leicht über alle Klüfte und Abgründe leitet.
O er führe Sie immer sanft, Theuerste, und Ihre Seele vol Kraft [12]und Tugend richte nur fortwährend den Blik nach den lichten Höhen. Dort wohnet ja auch die, um die Sie trauern, die geliebte Mutter; aber sie wirft sich vor dem Höchsten nieder und betet für die25 Tochter.
Ich fasse Sie noch einmal bei der Hand und blicke gerührt in Ihr Auge. Der Abend vereinige uns bei unserm Otto, an dessen Herz ich vol stiller Wünsche fliege und an und in dem mein eigenes wohnt, und wenn sein Blik vol treuer Liebe an dem Ihrigen haftet, o so glauben30 Sie auch, daß es eine opfernde giebt.
Ihr unveränderlicher Freund Richter
*17. An Amöne Herold in Hof.
Hof, am 22 Auguſt 94.
Verweilen Sie gerne, liebe Amöne, auf dem kleinen blaſſen aufs Papier geworfnen Wiederſchein meiner Seele vol Liebe und Wünſche für Ihren Tag.5
Ich ſtehe erweicht neben Ihnen und ſehe, wie aus einer lichten Wolke die geliebte Mutter auf Sie herabſchaut und mit den geliebten Menſchen hier unten Ihren Geburtstag mitfeiert.
O da die Zukunft ein Eisberg iſt, auf dem man in ſeiner Nähe erſtart, während auf ihm wenn wir ihn aus der Ferne ſehen ein weites glänzen-10 des Abendroth liegt: ſo werde für Sie, Theuere, Ihre Zukunft der roſige Schimmer, der unſere Blicke feſſelt und erhebt.
Das Schönere, wornach wir ſchmachten, liegt weit ab über den Sternen, die ſo entlegen ſind und wie dieſe ſchmuzige Erde tief im groſſen Himmel ſchimmern.15
Da unſer Weilen hier nur ein ſchnelles Hinwegeilen iſt, da das Bette nichts iſt als ein breiterer Sarg, da unſere Wünſche unendlich und unſere Kraft ſo endlich iſt wie unſer Leben und jede Freude, o ſo ſei dieſer Goldſchimmer des Eisberges nur der Vorhof, der Sie in das neue Lebensjahr führt, an deſſen Schwelle Ihr Genius ſteht und Sie20 leicht über alle Klüfte und Abgründe leitet.
O er führe Sie immer ſanft, Theuerſte, und Ihre Seele vol Kraft [12]und Tugend richte nur fortwährend den Blik nach den lichten Höhen. Dort wohnet ja auch die, um die Sie trauern, die geliebte Mutter; aber ſie wirft ſich vor dem Höchſten nieder und betet für die25 Tochter.
Ich faſſe Sie noch einmal bei der Hand und blicke gerührt in Ihr Auge. Der Abend vereinige uns bei unſerm Otto, an deſſen Herz ich vol ſtiller Wünſche fliege und an und in dem mein eigenes wohnt, und wenn ſein Blik vol treuer Liebe an dem Ihrigen haftet, o ſo glauben30 Sie auch, daß es eine opfernde giebt.
Ihr unveränderlicher Freund Richter
<TEI><text><body><pbfacs="#f0029"n="20"/><divtype="letter"n="1"><head>*17. An <hirendition="#g">Amöne Herold in Hof.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">Hof, am 22 Auguſt 94.</hi></dateline><lb/><p>Verweilen Sie gerne, liebe Amöne, auf dem kleinen blaſſen aufs<lb/>
Papier geworfnen Wiederſchein meiner Seele vol Liebe und Wünſche<lb/>
für Ihren Tag.<lbn="5"/></p><p>Ich ſtehe erweicht neben Ihnen und ſehe, wie aus einer lichten<lb/>
Wolke die geliebte Mutter auf Sie herabſchaut und mit den geliebten<lb/>
Menſchen hier unten Ihren Geburtstag mitfeiert.</p><lb/><p>O da die Zukunft ein Eisberg iſt, auf dem man in ſeiner Nähe erſtart,<lb/>
während auf ihm wenn wir ihn aus der Ferne ſehen ein weites glänzen-<lbn="10"/>
des Abendroth liegt: ſo werde für Sie, Theuere, Ihre Zukunft der<lb/>
roſige Schimmer, der unſere Blicke feſſelt und erhebt.</p><lb/><p>Das Schönere, wornach wir ſchmachten, liegt weit ab über den<lb/>
Sternen, die ſo entlegen ſind und wie dieſe ſchmuzige Erde tief im<lb/>
groſſen Himmel ſchimmern.<lbn="15"/></p><p>Da unſer Weilen hier nur ein ſchnelles Hinwegeilen iſt, da das Bette<lb/>
nichts iſt als ein breiterer Sarg, da unſere Wünſche unendlich und<lb/>
unſere Kraft ſo endlich iſt wie unſer Leben und jede Freude, o ſo ſei<lb/>
dieſer Goldſchimmer des Eisberges nur der Vorhof, der Sie in das<lb/>
neue Lebensjahr führt, an deſſen Schwelle Ihr Genius ſteht und Sie<lbn="20"/>
leicht über alle Klüfte und Abgründe leitet.</p><lb/><p>O er führe Sie immer ſanft, Theuerſte, und Ihre Seele vol Kraft<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd2_12">[12]</ref></note>und Tugend richte nur fortwährend den Blik nach den lichten Höhen.<lb/>
Dort wohnet ja auch die, um die Sie trauern, die geliebte Mutter;<lb/>
aber ſie wirft ſich vor dem Höchſten nieder und betet für die<lbn="25"/>
Tochter.</p><lb/><p>Ich faſſe Sie noch einmal bei der Hand und blicke gerührt in Ihr<lb/>
Auge. Der Abend vereinige uns bei unſerm Otto, an deſſen Herz ich<lb/>
vol ſtiller Wünſche fliege und an und in dem mein eigenes wohnt, und<lb/>
wenn ſein Blik vol <hirendition="#g">treuer</hi> Liebe an dem Ihrigen haftet, o ſo glauben<lbn="30"/>
Sie auch, daß es eine <hirendition="#g">opfernde</hi> giebt.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">Ihr<lb/>
unveränderlicher Freund<lb/>
Richter</hi></salute></closer></div><lb/></body></text></TEI>
[20/0029]
*17. An Amöne Herold in Hof.
Hof, am 22 Auguſt 94.
Verweilen Sie gerne, liebe Amöne, auf dem kleinen blaſſen aufs
Papier geworfnen Wiederſchein meiner Seele vol Liebe und Wünſche
für Ihren Tag. 5
Ich ſtehe erweicht neben Ihnen und ſehe, wie aus einer lichten
Wolke die geliebte Mutter auf Sie herabſchaut und mit den geliebten
Menſchen hier unten Ihren Geburtstag mitfeiert.
O da die Zukunft ein Eisberg iſt, auf dem man in ſeiner Nähe erſtart,
während auf ihm wenn wir ihn aus der Ferne ſehen ein weites glänzen- 10
des Abendroth liegt: ſo werde für Sie, Theuere, Ihre Zukunft der
roſige Schimmer, der unſere Blicke feſſelt und erhebt.
Das Schönere, wornach wir ſchmachten, liegt weit ab über den
Sternen, die ſo entlegen ſind und wie dieſe ſchmuzige Erde tief im
groſſen Himmel ſchimmern. 15
Da unſer Weilen hier nur ein ſchnelles Hinwegeilen iſt, da das Bette
nichts iſt als ein breiterer Sarg, da unſere Wünſche unendlich und
unſere Kraft ſo endlich iſt wie unſer Leben und jede Freude, o ſo ſei
dieſer Goldſchimmer des Eisberges nur der Vorhof, der Sie in das
neue Lebensjahr führt, an deſſen Schwelle Ihr Genius ſteht und Sie 20
leicht über alle Klüfte und Abgründe leitet.
O er führe Sie immer ſanft, Theuerſte, und Ihre Seele vol Kraft
und Tugend richte nur fortwährend den Blik nach den lichten Höhen.
Dort wohnet ja auch die, um die Sie trauern, die geliebte Mutter;
aber ſie wirft ſich vor dem Höchſten nieder und betet für die 25
Tochter.
[12]
Ich faſſe Sie noch einmal bei der Hand und blicke gerührt in Ihr
Auge. Der Abend vereinige uns bei unſerm Otto, an deſſen Herz ich
vol ſtiller Wünſche fliege und an und in dem mein eigenes wohnt, und
wenn ſein Blik vol treuer Liebe an dem Ihrigen haftet, o ſo glauben 30
Sie auch, daß es eine opfernde giebt.
Ihr
unveränderlicher Freund
Richter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/29>, abgerufen am 30.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.