Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite
18. An Christian Otto.

Lieber Otto,

Ich bin fast mit allem -- kaum die 2 Vorreden ausgenommen --
eben so wenig zufrieden wie mit dem Plebejer-Publikum, das darin5
vor mir sas. Aus Begierde, kurz zu werden, must' ich unter den auf-
geschriebenen und den einfallenden Gedanken, die der Zwang verdarb,
schlechter wählen als ich gekont hätte. Bitter ist auch alles -- die
2 ernsthaften vorhergemachten Aufsäze ausgenommen -- kurz ver-
zeih's, Otto.10

19. An Pfarrer Schinz in Bayreuth.
[Kopie]

Hofleute verlegen ihre Bitten ins Postskript -- wer ehrlicher ist, thut
sie schon auf der 3ten Zeile -- und die meinige[n] sind die, mir dieses
Schreiben und die Freimüthigkeit zu verzeihen, womit ich Ihre alte15
Erlaubnis zu Ihnen zu kommen zur neuesten mache: Bei uns riegeln
die Geistlichen ein Fenster um [das] andere am Schafstal zu, weil sie
mit den Oekonomen glauben, daß die finstern Ställe die gesündesten
sind. Sie peitschen die Milch des Evangeliums -- wie die Tataren die
Pferdemilch -- so lange bis sie sauer wird und zu Quarg taugt. Der20
Kopf wird stat trepaniert parfümiert mit poudre de Marechal etc. --
Der Espiegle de Zürch ou du Saint esprit --

20. An Renate Wirth in Hof.[13]
[Nicht abgeschickt]
Liebe Renate,25

Ich fange meinen Brief hier an, ohne den Ihrigen noch anders als
in der Hofnung zu haben -- und ohne die Ihrigen -- d. h. unter Juden
und Christen -- noch gesehen zu haben. Ich gieng zwar Freitag ab,
aber in der Schmelz war meine Schlaf-Stazion beim Pütner, und am
Sonabend zu Nachts kam ich mit ihm und seinem Geschir hier an. Ich30
weis nicht wen ich zuerst warm schreiben sol, Sie oder meine Finger.
Hier ist eine Dezemberkälte, daß man die Verdamten in der Hölle damit
erfrischen könte.

18. An Chriſtian Otto.

Lieber Otto,

Ich bin faſt mit allem — kaum die 2 Vorreden ausgenommen —
eben ſo wenig zufrieden wie mit dem Plebejer-Publikum, das darin5
vor mir ſas. Aus Begierde, kurz zu werden, muſt’ ich unter den auf-
geſchriebenen und den einfallenden Gedanken, die der Zwang verdarb,
ſchlechter wählen als ich gekont hätte. Bitter iſt auch alles — die
2 ernſthaften vorhergemachten Aufſäze ausgenommen — kurz ver-
zeih’s, Otto.10

19. An Pfarrer Schinz in Bayreuth.
[Kopie]

Hofleute verlegen ihre Bitten ins Poſtſkript — wer ehrlicher iſt, thut
ſie ſchon auf der 3ten Zeile — und die meinige[n] ſind die, mir dieſes
Schreiben und die Freimüthigkeit zu verzeihen, womit ich Ihre alte15
Erlaubnis zu Ihnen zu kommen zur neueſten mache: Bei uns riegeln
die Geiſtlichen ein Fenſter um [das] andere am Schafſtal zu, weil ſie
mit den Oekonomen glauben, daß die finſtern Ställe die geſündeſten
ſind. Sie peitſchen die Milch des Evangeliums — wie die Tataren die
Pferdemilch — ſo lange bis ſie ſauer wird und zu Quarg taugt. Der20
Kopf wird ſtat trepaniert parfümiert mit poudre de Maréchal ꝛc. —
Der Espiégle de Zürch ou du Saint esprit

20. An Renate Wirth in Hof.[13]
[Nicht abgeſchickt]
Liebe Renate,25

Ich fange meinen Brief hier an, ohne den Ihrigen noch anders als
in der Hofnung zu haben — und ohne die Ihrigen — d. h. unter Juden
und Chriſten — noch geſehen zu haben. Ich gieng zwar Freitag ab,
aber in der Schmelz war meine Schlaf-Stazion beim Pütner, und am
Sonabend zu Nachts kam ich mit ihm und ſeinem Geſchir hier an. Ich30
weis nicht wen ich zuerſt warm ſchreiben ſol, Sie oder meine Finger.
Hier iſt eine Dezemberkälte, daß man die Verdamten in der Hölle damit
erfriſchen könte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0030" n="21"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>18. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof] <hi rendition="#aq">d. 18 Sept.</hi> 94.</hi> </dateline><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#et">Lieber Otto,</hi> </salute>
        </opener><lb/>
        <p>Ich bin fa&#x017F;t mit allem &#x2014; kaum die 2 Vorreden ausgenommen &#x2014;<lb/>
eben &#x017F;o wenig zufrieden wie mit dem Plebejer-Publikum, das darin<lb n="5"/>
vor mir &#x017F;as. Aus Begierde, kurz zu werden, mu&#x017F;t&#x2019; ich unter den auf-<lb/>
ge&#x017F;chriebenen und den einfallenden Gedanken, die der Zwang verdarb,<lb/>
&#x017F;chlechter wählen als ich gekont hätte. Bitter i&#x017F;t auch alles &#x2014; die<lb/>
2 ern&#x017F;thaften vorhergemachten Auf&#x017F;äze ausgenommen &#x2014; kurz ver-<lb/>
zeih&#x2019;s, Otto.<lb n="10"/>
</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>19. An <hi rendition="#g">Pfarrer Schinz in Bayreuth.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 18. Sept. 1794]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Hofleute verlegen ihre Bitten ins Po&#x017F;t&#x017F;kript &#x2014; wer ehrlicher i&#x017F;t, thut<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chon auf der 3<hi rendition="#sup">ten</hi> Zeile &#x2014; und die meinige[n] &#x017F;ind die, mir die&#x017F;es<lb/>
Schreiben und die Freimüthigkeit zu verzeihen, womit ich Ihre alte<lb n="15"/>
Erlaubnis zu Ihnen zu kommen zur neue&#x017F;ten mache: Bei uns riegeln<lb/>
die Gei&#x017F;tlichen ein Fen&#x017F;ter um [das] andere am Schaf&#x017F;tal zu, weil &#x017F;ie<lb/>
mit den Oekonomen glauben, daß die fin&#x017F;tern Ställe die ge&#x017F;ünde&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ind. Sie peit&#x017F;chen die Milch des Evangeliums &#x2014; wie die Tataren die<lb/>
Pferdemilch &#x2014; &#x017F;o lange bis &#x017F;ie &#x017F;auer wird und zu Quarg taugt. Der<lb n="20"/>
Kopf wird &#x017F;tat trepaniert parfümiert mit <hi rendition="#aq">poudre de Maréchal</hi> &#xA75B;c. &#x2014;<lb/>
Der <hi rendition="#aq">Espiégle de Zürch ou du Saint esprit</hi> &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>20. An <hi rendition="#g">Renate Wirth in Hof.</hi><note place="right"><ref target="1922_Bd2_13">[13]</ref></note></head><lb/>
        <note type="editorial">[Nicht abge&#x017F;chickt]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Bayreuth d. 21 Sept.</hi> 1794 [Sonntag].</hi> </dateline><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#c">Liebe Renate,<lb n="25"/>
</hi> </salute>
        </opener>
        <p>Ich fange meinen Brief hier an, ohne den Ihrigen noch anders als<lb/>
in der Hofnung zu haben &#x2014; und ohne die Ihrigen &#x2014; d. h. unter Juden<lb/>
und Chri&#x017F;ten &#x2014; noch ge&#x017F;ehen zu haben. Ich gieng zwar Freitag ab,<lb/>
aber in der Schmelz war meine Schlaf-Stazion beim Pütner, und am<lb/>
Sonabend zu Nachts kam ich mit ihm und &#x017F;einem Ge&#x017F;chir hier an. Ich<lb n="30"/>
weis nicht wen ich zuer&#x017F;t warm &#x017F;chreiben &#x017F;ol, Sie oder meine Finger.<lb/>
Hier i&#x017F;t eine Dezemberkälte, daß man die Verdamten in der Hölle damit<lb/>
erfri&#x017F;chen könte.</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0030] 18. An Chriſtian Otto. [Hof] d. 18 Sept. 94. Lieber Otto, Ich bin faſt mit allem — kaum die 2 Vorreden ausgenommen — eben ſo wenig zufrieden wie mit dem Plebejer-Publikum, das darin 5 vor mir ſas. Aus Begierde, kurz zu werden, muſt’ ich unter den auf- geſchriebenen und den einfallenden Gedanken, die der Zwang verdarb, ſchlechter wählen als ich gekont hätte. Bitter iſt auch alles — die 2 ernſthaften vorhergemachten Aufſäze ausgenommen — kurz ver- zeih’s, Otto. 10 19. An Pfarrer Schinz in Bayreuth. [Hof, 18. Sept. 1794] Hofleute verlegen ihre Bitten ins Poſtſkript — wer ehrlicher iſt, thut ſie ſchon auf der 3ten Zeile — und die meinige[n] ſind die, mir dieſes Schreiben und die Freimüthigkeit zu verzeihen, womit ich Ihre alte 15 Erlaubnis zu Ihnen zu kommen zur neueſten mache: Bei uns riegeln die Geiſtlichen ein Fenſter um [das] andere am Schafſtal zu, weil ſie mit den Oekonomen glauben, daß die finſtern Ställe die geſündeſten ſind. Sie peitſchen die Milch des Evangeliums — wie die Tataren die Pferdemilch — ſo lange bis ſie ſauer wird und zu Quarg taugt. Der 20 Kopf wird ſtat trepaniert parfümiert mit poudre de Maréchal ꝛc. — Der Espiégle de Zürch ou du Saint esprit — 20. An Renate Wirth in Hof. Bayreuth d. 21 Sept. 1794 [Sonntag]. Liebe Renate, 25 Ich fange meinen Brief hier an, ohne den Ihrigen noch anders als in der Hofnung zu haben — und ohne die Ihrigen — d. h. unter Juden und Chriſten — noch geſehen zu haben. Ich gieng zwar Freitag ab, aber in der Schmelz war meine Schlaf-Stazion beim Pütner, und am Sonabend zu Nachts kam ich mit ihm und ſeinem Geſchir hier an. Ich 30 weis nicht wen ich zuerſt warm ſchreiben ſol, Sie oder meine Finger. Hier iſt eine Dezemberkälte, daß man die Verdamten in der Hölle damit erfriſchen könte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/30
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/30>, abgerufen am 21.11.2024.