In Ihrem Brieflein ist ein wenig mehr von dem Herbstfroste, auf den sogleich der warme Weibersommer kommen wird, als in Ihrer Brust. --
Anlangend Oertels Brief, so bezieht er sich auf folgende Stelle in Ihrem Briefe, die in meinem tadelhaften Kleeblat das dritte Blat5 war: "Befürchten Sie nichts, zu dem einen sind Sie zu gut; zu dem andern bin ich nicht gut genug." Dort haben Sie ihn auf eigne und fremde Kosten zu sehr gelobt und hier sich auf eigne und fremde Kosten zu sehr getadelt; das noch abgerechnet, daß Sie nie, zumal im ersten Briefe und als eine Neubekante, eine zweifelhafte Aeusserung durch10 eine Widerlegung für eine andere erklären durften, da Sie sogar eine klare nicht einmal bemerken solten.
Ihr Herz ist ewig rein; aber Ihre kleine Selbstsucht Ichheit nimt oft für jenes zuweilen das Wort. Diese Ichheit halten Sie darum für besiegt, weil sie nicht bestritten wird. Freilich da man Sie weiter15 nichts kan als lieben: so wird Ihre Ichheit wenig -- beleidigt und sie braucht also nicht zu reden. Werden Sie aber durch Ihren wärmsten Freund nur von weitem versehrt: dan thun Sie nichts als was allen Ihren warmen Stunden widerspricht. Sobald Sie nicht schonen und tragen (aus Moral und Selbstbesiegung) wie Otto thut: so ver-20 mengen Sie nur das schweigende Ich mit dem stumgewordnen. Der Mensch hält sich oft für verändert, indes nur die Lage es ist. Sezen Sie sich mit heller Phantasie in irgend eine alte unähnliche Lage zurük und belauschen sich, ob Sie mit der jezigen Seele in der alten Lage nicht noch weniger tolerant wären als Sie waren. -- Auch legen25 Sie wie Oertel auf Freundschaft einen zu grossen Werth: erst wenn man uneigennüzig und ungekant für die Menge um sich her, für die Dummen, die Schlimmen, die Armen mit Theilnahme als für ewige unzerstörliche für mehrere Welten bestimte Wesen Wünsche gethan und Arme geöfnet, wenn man sich in ihre Freuden und Irthümer30 schonend und freuend gedacht: dan weis man gewis, was man an nähern höhern Menschen, am Freunde, liebe und wolle. In Rüksicht dieser algemeinen Theilnahme an der ganzen Erde, womit ich nur die Qualen und Rechte Bedürfnisse, nicht die Vorzüge des Andern aufsuche, bin ich schon längst mit mir ins Reine; wollen Sie mir in Rüksicht der35 obigen Ichheit mein eignes Beispiel vorwerfen: so gewinnen Sie nichts als daß Sie mich demüthig und bescheiden machen aber nicht
17 Jean Paul Briefe. II.
In Ihrem Brieflein iſt ein wenig mehr von dem Herbſtfroſte, auf den ſogleich der warme Weiberſommer kommen wird, als in Ihrer Bruſt. —
Anlangend Oertels Brief, ſo bezieht er ſich auf folgende Stelle in Ihrem Briefe, die in meinem tadelhaften Kleeblat das dritte Blat5 war: „Befürchten Sie nichts, zu dem einen ſind Sie zu gut; zu dem andern bin ich nicht gut genug.“ Dort haben Sie ihn auf eigne und fremde Koſten zu ſehr gelobt und hier ſich auf eigne und fremde Koſten zu ſehr getadelt; das noch abgerechnet, daß Sie nie, zumal im erſten Briefe und als eine Neubekante, eine zweifelhafte Aeuſſerung durch10 eine Widerlegung für eine andere erklären durften, da Sie ſogar eine klare nicht einmal bemerken ſolten.
Ihr Herz iſt ewig rein; aber Ihre kleine Selbſtſucht 〈Ichheit〉 nimt oft für jenes zuweilen das Wort. Dieſe Ichheit halten Sie darum für beſiegt, weil ſie nicht beſtritten wird. Freilich da man Sie weiter15 nichts kan als lieben: ſo wird Ihre Ichheit wenig — beleidigt und ſie braucht alſo nicht zu reden. Werden Sie aber durch Ihren wärmſten Freund nur von weitem verſehrt: dan thun Sie nichts als was allen Ihren warmen Stunden widerſpricht. Sobald Sie nicht ſchonen und tragen (aus Moral und Selbſtbeſiegung) wie Otto thut: ſo ver-20 mengen Sie nur das ſchweigende Ich mit dem ſtumgewordnen. Der Menſch hält ſich oft für verändert, indes nur die Lage es iſt. Sezen Sie ſich mit heller Phantaſie in irgend eine alte unähnliche Lage zurük und belauſchen ſich, ob Sie mit der jezigen Seele in der alten Lage nicht noch weniger tolerant wären als Sie waren. — Auch legen25 Sie wie Oertel auf Freundſchaft einen zu groſſen Werth: erſt wenn man uneigennüzig und ungekant für die Menge um ſich her, für die Dummen, die Schlimmen, die Armen mit Theilnahme als für ewige unzerſtörliche für mehrere Welten beſtimte Weſen Wünſche gethan und Arme geöfnet, wenn man ſich in ihre Freuden und Irthümer30 ſchonend und freuend gedacht: dan weis man gewis, was man an nähern höhern Menſchen, am Freunde, liebe und wolle. In Rükſicht dieſer algemeinen Theilnahme an der ganzen Erde, womit ich nur die Qualen und Rechte 〈Bedürfniſſe〉, nicht die Vorzüge des Andern aufſuche, bin ich ſchon längſt mit mir ins Reine; wollen Sie mir in Rükſicht der35 obigen Ichheit mein eignes Beiſpiel vorwerfen: ſo gewinnen Sie nichts als daß Sie mich demüthig und beſcheiden machen aber nicht
17 Jean Paul Briefe. II.
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In Ihrem Brieflein iſt ein wenig mehr von dem Herbſtfroſte,
auf den ſogleich der warme Weiberſommer kommen wird, als in
Ihrer Bruſt. —
Anlangend Oertels Brief, ſo bezieht er ſich auf folgende Stelle in
Ihrem Briefe, die in meinem tadelhaften Kleeblat das dritte Blat 5
war: „Befürchten Sie nichts, zu dem einen ſind Sie zu gut; zu dem
andern bin ich nicht gut genug.“ Dort haben Sie ihn auf eigne und
fremde Koſten zu ſehr gelobt und hier ſich auf eigne und fremde Koſten
zu ſehr getadelt; das noch abgerechnet, daß Sie nie, zumal im erſten
Briefe und als eine Neubekante, eine zweifelhafte Aeuſſerung durch 10
eine Widerlegung für eine andere erklären durften, da Sie ſogar eine
klare nicht einmal bemerken ſolten.
Ihr Herz iſt ewig rein; aber Ihre kleine Selbſtſucht 〈Ichheit〉 nimt
oft für jenes zuweilen das Wort. Dieſe Ichheit halten Sie darum für
beſiegt, weil ſie nicht beſtritten wird. Freilich da man Sie weiter 15
nichts kan als lieben: ſo wird Ihre Ichheit wenig — beleidigt und ſie
braucht alſo nicht zu reden. Werden Sie aber durch Ihren wärmſten
Freund nur von weitem verſehrt: dan thun Sie nichts als was allen
Ihren warmen Stunden widerſpricht. Sobald Sie nicht ſchonen und
tragen (aus Moral und Selbſtbeſiegung) wie Otto thut: ſo ver- 20
mengen Sie nur das ſchweigende Ich mit dem ſtumgewordnen.
Der Menſch hält ſich oft für verändert, indes nur die Lage es iſt. Sezen
Sie ſich mit heller Phantaſie in irgend eine alte unähnliche Lage
zurük und belauſchen ſich, ob Sie mit der jezigen Seele in der alten
Lage nicht noch weniger tolerant wären als Sie waren. — Auch legen 25
Sie wie Oertel auf Freundſchaft einen zu groſſen Werth: erſt wenn
man uneigennüzig und ungekant für die Menge um ſich her, für die
Dummen, die Schlimmen, die Armen mit Theilnahme als für ewige
unzerſtörliche für mehrere Welten beſtimte Weſen Wünſche gethan
und Arme geöfnet, wenn man ſich in ihre Freuden und Irthümer 30
ſchonend und freuend gedacht: dan weis man gewis, was man an nähern
höhern Menſchen, am Freunde, liebe und wolle. In Rükſicht dieſer
algemeinen Theilnahme an der ganzen Erde, womit ich nur die Qualen
und Rechte 〈Bedürfniſſe〉, nicht die Vorzüge des Andern aufſuche,
bin ich ſchon längſt mit mir ins Reine; wollen Sie mir in Rükſicht der 35
obigen Ichheit mein eignes Beiſpiel vorwerfen: ſo gewinnen Sie
nichts als daß Sie mich demüthig und beſcheiden machen aber nicht
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/272>, abgerufen am 25.11.2024.
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