irre. Ich hätte darum nicht über Sie Unrecht, weil Sie über mich Recht hätten. Mich trösten aber meine langen Kämpfe und meine kurzen Siege über diese Erbsünde.
Ihnen, gute Amöne, kan man alle Wahrheiten mit der Zuversicht Ihres innern Echos sagen. Sie können nur in Irthümer, nicht in5 Fehler fallen. Was ohne Bitterkeit getadelt wird, legen Sie ohne eine ab. Ich sage nicht einmal, vergeben Sie mir etwas, das meine -- Pflicht war. Ihre Neujahrsbetrachtung in Ihrem Tagebuch giebt mir eben so wohl den Muth der Offenheit als -- ausser der höchsten Achtung für ein gen Himmel wachsendes Herz -- die Hofnung des Gehörs. Nein,10 meine neue und alte Freundin, wenn wir wieder auseinander ge- worfen werden: so betheuer' ich vorher, nur mein Schmerz über den Mehlthau in der schönsten, volsten Rose treibt mich fort. Der Himmel wend' es ab! Ich liebe Sie so sehr, so lange, so herzlich, so un- eigennüzig; aber jede neue Trennung war die längere und die längste --15 möge schon gewesen sein, nicht erst kommen.
-- Vergeben Sie diesen Blättern die scheinbaren nur aus der Eile kommenden Härten. Mein Inneres ist weich gegen Sie. Und so lebe denn froh, Schwester meiner Vergangenheit, und nim mich liebend auf!20
Jean Paul Fr. Richter
N. S. Ihr Auftrag wird freudig besorgt. Koelle'n werd' ich erst sehen. Recht viele Grüsse an Ihren lieben Bruder!
[257]431. An Frau von Vaerst.25
[Kopie][Bayreuth, Mitte Okt. 1796]
Ihre Freundin und Ihr Freund müssen es entschuldigen, daß ein neuer an Sie schreibt. Ich fange schon im Herbst an, mir den Frühling, der hinter einem ganzen Winter liegt, sehnend auszumalen. Ich gebe dem Frühling ein Paar blühende Gärten und blau[e] W[olken?] dar-30 über. Möge das Schiksal Ihre Lebenstage aus einem Frühling wählen und möge das Gestirn Ihres Glüks [nicht] in der wechselnden Gestalt des Monds sondern in der ungetheilten beständigen der Sonne über Ihnen stehen.
irre. Ich hätte darum nicht über Sie Unrecht, weil Sie über mich Recht hätten. Mich tröſten aber meine langen Kämpfe und meine kurzen Siege über dieſe Erbſünde.
Ihnen, gute Amöne, kan man alle Wahrheiten mit der Zuverſicht Ihres innern Echos ſagen. Sie können nur in Irthümer, nicht in5 Fehler fallen. Was ohne Bitterkeit getadelt wird, legen Sie ohne eine ab. Ich ſage nicht einmal, vergeben Sie mir etwas, das meine — Pflicht war. Ihre Neujahrsbetrachtung in Ihrem Tagebuch giebt mir eben ſo wohl den Muth der Offenheit als — auſſer der höchſten Achtung für ein gen Himmel wachſendes Herz — die Hofnung des Gehörs. Nein,10 meine neue und alte Freundin, wenn wir wieder auseinander ge- worfen werden: ſo betheuer’ ich vorher, nur mein Schmerz über den Mehlthau in der ſchönſten, volſten Roſe treibt mich fort. Der Himmel wend’ es ab! Ich liebe Sie ſo ſehr, ſo lange, ſo herzlich, ſo un- eigennüzig; aber jede neue Trennung war die längere und die längſte —15 möge ſchon geweſen ſein, nicht erſt kommen.
— Vergeben Sie dieſen Blättern die ſcheinbaren nur aus der Eile kommenden Härten. Mein Inneres iſt weich gegen Sie. Und ſo lebe denn froh, Schweſter meiner Vergangenheit, und nim mich liebend auf!20
Jean Paul Fr. Richter
N. S. Ihr Auftrag wird freudig beſorgt. Koelle’n werd’ ich erſt ſehen. Recht viele Grüſſe an Ihren lieben Bruder!
[257]431. An Frau von Vaerſt.25
[Kopie][Bayreuth, Mitte Okt. 1796]
Ihre Freundin und Ihr Freund müſſen es entſchuldigen, daß ein neuer an Sie ſchreibt. Ich fange ſchon im Herbſt an, mir den Frühling, der hinter einem ganzen Winter liegt, ſehnend auszumalen. Ich gebe dem Frühling ein Paar blühende Gärten und blau[e] W[olken?] dar-30 über. Möge das Schikſal Ihre Lebenstage aus einem Frühling wählen und möge das Geſtirn Ihres Glüks [nicht] in der wechſelnden Geſtalt des Monds ſondern in der ungetheilten beſtändigen der Sonne über Ihnen ſtehen.
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irre. Ich hätte darum nicht über Sie Unrecht, weil Sie über mich
Recht hätten. Mich tröſten aber meine langen Kämpfe und meine
kurzen Siege über dieſe Erbſünde.
Ihnen, gute Amöne, kan man alle Wahrheiten mit der Zuverſicht
Ihres innern Echos ſagen. Sie können nur in Irthümer, nicht in 5
Fehler fallen. Was ohne Bitterkeit getadelt wird, legen Sie ohne eine
ab. Ich ſage nicht einmal, vergeben Sie mir etwas, das meine — Pflicht
war. Ihre Neujahrsbetrachtung in Ihrem Tagebuch giebt mir eben ſo
wohl den Muth der Offenheit als — auſſer der höchſten Achtung für
ein gen Himmel wachſendes Herz — die Hofnung des Gehörs. Nein, 10
meine neue und alte Freundin, wenn wir wieder auseinander ge-
worfen werden: ſo betheuer’ ich vorher, nur mein Schmerz über den
Mehlthau in der ſchönſten, volſten Roſe treibt mich fort. Der
Himmel wend’ es ab! Ich liebe Sie ſo ſehr, ſo lange, ſo herzlich, ſo un-
eigennüzig; aber jede neue Trennung war die längere und die längſte — 15
möge ſchon geweſen ſein, nicht erſt kommen.
— Vergeben Sie dieſen Blättern die ſcheinbaren nur aus der Eile
kommenden Härten. Mein Inneres iſt weich gegen Sie. Und ſo lebe
denn froh, Schweſter meiner Vergangenheit, und nim mich liebend
auf! 20
Jean Paul
Fr. Richter
N. S. Ihr Auftrag wird freudig beſorgt. Koelle’n werd’ ich erſt
ſehen. Recht viele Grüſſe an Ihren lieben Bruder!
431. An Frau von Vaerſt. 25
[Bayreuth, Mitte Okt. 1796]
Ihre Freundin und Ihr Freund müſſen es entſchuldigen, daß ein
neuer an Sie ſchreibt. Ich fange ſchon im Herbſt an, mir den Frühling,
der hinter einem ganzen Winter liegt, ſehnend auszumalen. Ich gebe
dem Frühling ein Paar blühende Gärten und blau[e] W[olken?] dar- 30
über. Möge das Schikſal Ihre Lebenstage aus einem Frühling wählen
und möge das Geſtirn Ihres Glüks [nicht] in der wechſelnden Geſtalt
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Ihnen ſtehen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/273>, abgerufen am 07.07.2024.
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