Ich gewöhne mich an eine scheinbare Undankbarkeit so sehr, daß ich nicht weit mehr zu wahrer habe. -- Litterarische Schlachtschüssel herumschicken -- Denn es wartet seit 8 Tagen jemand auf mich -- der5 Sezer in der Mittelmark. Nicht nur den Ihrigen, sondern auch der Ihrigen geben Sie meinen Grus, den Sie bei der Schönäugigen recht gut mit dem Reim darauf verwechseln dürfen. Ich habe den halben Sontag neulich darauf gesonnen, eine solche Verwechslung schiklich herbeizuführen. Kein feindlicher Täucher zerschneide d[as] Ankertau10 Ihres Schifs im Finstern. Dulden Sie den brieflichen Oligographen und litterarischen Polygraphen.
238. An Emanuel.
Hof. d. 16 Febr. 96.
Mein Guter,15
Sie solten meine Sehnsucht, Briefe zu schreiben wie zu erschreiben, errathen, um zu wissen, wie wehe mir die doppelte Einschränkung dieser 2 Freuden thut. Ich hätte Ihnen 1000 etc. Dinge zu schreiben, und mus sie blos sagen; und kan das kaum: aber einmal wenn das Schiksal unsere moralische Nähe mit einer physischen belohnt, werd' ich auf20 Ihrem Kanapee Ihre alten Briefe aufbreiten und auf jede Stelle darin eine Antwort geben mündlich.
Ich glaube, ich hab' Ihnen das vorigemal gar nicht für meine lezten Bayreuth-Himmel gedankt.... Ich sehe jezt neben meinem Brief- tisch 2 Turteltauben spielen d. h. lieben und froh sein -- Und ich denke25 an die dumme Malerei unserer Theologen von Gott, die den Zwek seiner Schöpfung in seiner Foderung unsers Preisens und Dankens sezen. Der eingeschnürte keuchende Mensch schiebt sich dem unendlichen Herzen unter, in dem das Universum wohnt und das gerade alle Thiere so glüklich gemacht die nie ihr schweres Haupt dankend zur wolthätigen30 Hand erheben können. Ich sehe mit Rührung das unendliche beglükte Gewimmel, dem der Geber nicht einmal die Fähigkeit der Dankbarkeit zutheilte. -- Es würde keine Undankbaren geben, wenn die Wolthat ein gewisses Zeichen der Liebe wäre. Gegen erkante Liebe -- und könte sie nichts thun -- ist der Mensch stets dankbar; und gegen Wolthaten,[154]35 die zu oft keine verrathen, oft undankbar.
237. An Dr. Ellrodt in Bayreuth.[153]
[Kopie][Hof, 16. Febr. 1796]
Ich gewöhne mich an eine ſcheinbare Undankbarkeit ſo ſehr, daß ich nicht weit mehr zu wahrer habe. — Litterariſche Schlachtſchüſſel herumſchicken — Denn es wartet ſeit 8 Tagen jemand auf mich — der5 Sezer in der Mittelmark. Nicht nur den Ihrigen, ſondern auch der Ihrigen geben Sie meinen Grus, den Sie bei der Schönäugigen recht gut mit dem Reim darauf verwechſeln dürfen. Ich habe den halben Sontag neulich darauf geſonnen, eine ſolche Verwechslung ſchiklich herbeizuführen. Kein feindlicher Täucher zerſchneide d[as] Ankertau10 Ihres Schifs im Finſtern. Dulden Sie den brieflichen Oligographen und litterariſchen Polygraphen.
238. An Emanuel.
Hof. d. 16 Febr. 96.
Mein Guter,15
Sie ſolten meine Sehnſucht, Briefe zu ſchreiben wie zu erſchreiben, errathen, um zu wiſſen, wie wehe mir die doppelte Einſchränkung dieſer 2 Freuden thut. Ich hätte Ihnen 1000 ꝛc. Dinge zu ſchreiben, und mus ſie blos ſagen; und kan das kaum: aber einmal wenn das Schikſal unſere moraliſche Nähe mit einer phyſiſchen belohnt, werd’ ich auf20 Ihrem Kanapee Ihre alten Briefe aufbreiten und auf jede Stelle darin eine Antwort geben mündlich.
Ich glaube, ich hab’ Ihnen das vorigemal gar nicht für meine lezten Bayreuth-Himmel gedankt.... Ich ſehe jezt neben meinem Brief- tiſch 2 Turteltauben ſpielen d. h. lieben und froh ſein — Und ich denke25 an die dumme Malerei unſerer Theologen von Gott, die den Zwek ſeiner Schöpfung in ſeiner Foderung unſers Preiſens und Dankens ſezen. Der eingeſchnürte keuchende Menſch ſchiebt ſich dem unendlichen Herzen unter, in dem das Univerſum wohnt und das gerade alle Thiere ſo glüklich gemacht die nie ihr ſchweres Haupt dankend zur wolthätigen30 Hand erheben können. Ich ſehe mit Rührung das unendliche beglükte Gewimmel, dem der Geber nicht einmal die Fähigkeit der Dankbarkeit zutheilte. — Es würde keine Undankbaren geben, wenn die Wolthat ein gewiſſes Zeichen der Liebe wäre. Gegen erkante Liebe — und könte ſie nichts thun — iſt der Menſch ſtets dankbar; und gegen Wolthaten,[154]35 die zu oft keine verrathen, oft undankbar.
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[Hof, 16. Febr. 1796]
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nicht weit mehr zu wahrer habe. — Litterariſche Schlachtſchüſſel
herumſchicken — Denn es wartet ſeit 8 Tagen jemand auf mich — der 5
Sezer in der Mittelmark. Nicht nur den Ihrigen, ſondern auch der
Ihrigen geben Sie meinen Grus, den Sie bei der Schönäugigen recht
gut mit dem Reim darauf verwechſeln dürfen. Ich habe den halben
Sontag neulich darauf geſonnen, eine ſolche Verwechslung ſchiklich
herbeizuführen. Kein feindlicher Täucher zerſchneide d[as] Ankertau 10
Ihres Schifs im Finſtern. Dulden Sie den brieflichen Oligographen
und litterariſchen Polygraphen.
238. An Emanuel.
Hof. d. 16 Febr. 96.
Mein Guter, 15
Sie ſolten meine Sehnſucht, Briefe zu ſchreiben wie zu erſchreiben,
errathen, um zu wiſſen, wie wehe mir die doppelte Einſchränkung dieſer
2 Freuden thut. Ich hätte Ihnen 1000 ꝛc. Dinge zu ſchreiben, und
mus ſie blos ſagen; und kan das kaum: aber einmal wenn das Schikſal
unſere moraliſche Nähe mit einer phyſiſchen belohnt, werd’ ich auf 20
Ihrem Kanapee Ihre alten Briefe aufbreiten und auf jede Stelle darin
eine Antwort geben mündlich.
Ich glaube, ich hab’ Ihnen das vorigemal gar nicht für meine lezten
Bayreuth-Himmel gedankt.... Ich ſehe jezt neben meinem Brief-
tiſch 2 Turteltauben ſpielen d. h. lieben und froh ſein — Und ich denke 25
an die dumme Malerei unſerer Theologen von Gott, die den Zwek
ſeiner Schöpfung in ſeiner Foderung unſers Preiſens und Dankens
ſezen. Der eingeſchnürte keuchende Menſch ſchiebt ſich dem unendlichen
Herzen unter, in dem das Univerſum wohnt und das gerade alle Thiere
ſo glüklich gemacht die nie ihr ſchweres Haupt dankend zur wolthätigen 30
Hand erheben können. Ich ſehe mit Rührung das unendliche beglükte
Gewimmel, dem der Geber nicht einmal die Fähigkeit der Dankbarkeit
zutheilte. — Es würde keine Undankbaren geben, wenn die Wolthat
ein gewiſſes Zeichen der Liebe wäre. Gegen erkante Liebe — und könte
ſie nichts thun — iſt der Menſch ſtets dankbar; und gegen Wolthaten, 35
die zu oft keine verrathen, oft undankbar.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/166>, abgerufen am 30.07.2024.
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