seinem Begräbnistage. Die Krusianer sind fast mit ihrem Stifter verloschen; man ist im Jar 1781 zu auf[geklärt], um ganz Krusianer zu sein, wenigstens zu klug, um es zu sagen. Nicht ganz aber fast eben so ist's mit den Ernesti[anern]. Man hängt nur einem grossen Manne in seinem Leben eifrig an, und verteidigt seine Feler mit demselben Eifer,5 wie seine Tugenden; natürlich deswegen, weil es Nuzzen für uns ist, dem grossen Manne zum Schilde gegen die Streiche seiner Neider zu dienen, und Ere, sich seinen Freund zu nennen. Mit seinem Tod stirbt unsre Anhänglichkeit an ihm [!]; wir loben nur [?] das, was ieder lobt, und verringern blos die Feler, die wir vorher noch läugneten. Von10 beiden Parteien hört man iezt wenig. Überhaupt hab' ich die Be- merkung gemacht, daß ein grosser Man nicht lange leben mus, um immer mit Rume zu leben. Man erwartet von ihm unaufhörlich neue Monumente seiner Grösse, und man macht sich von ihm einen so volkom- nen Begrif, daß man seine vergangnen Taten blos für Herolde von15 der Grösse der zukünftigen ansieht. Man wendet nur immer sein Auge vorwärts; man sieht immer das was er ist, und vergisset, was er ge- wesen ist -- man bewundert ihn nicht mer, wenn man an ihm immer dasselbe bewundern mus -- er überlebt sich selbst*). So gieng's mit dem grossen Young in England; und fast eben so mit dem gelerten20 Ernesti in Leipzig. Vermittelst des Körpers stehen wir mit den andern in Verbindung; und ein grosser Geist [vermag?] nur erst den eigent- lichen Körper, den Rum, der ihn [in] die unaufhörliche Verbindung[29] mit allen Menschen sezt, dan zu erlangen, wenn er den iezzigen ab- gelegt hat. Vergeben Sie mir diese Anmerkungen und Ausschwei-25 fungen, die die ersten sind; vergeben Sie zugleich die grosse Menge derer, die Sie in diesem Briefe noch zu erwarten haben. -- Halten Sie mich für fähig, mit unter der Klasse derer zu stehen, die an iedem grossen Man die Feler aufsuchen, diese Raben des Parnasses, die sich nur vom As nären -- diese Harpyien, die mit dem Un[rat der] Verläumdung30 iedes Verdienst beflekken? -- Was Sie vom Rum sagen ist richtig; was ich davon gesagt habe, ist unrichtig. Ich habe nie den Rum mit Gleich-
*) Nach ihrem Tod sieht man erst zurük, und umfast den ganzen Kreis ihrer durchlaufnen Ban; man lobt sie vor dem Tode nicht so unumschränkt, weil man sie immer zu grössern Taten anlokken wil, und ihr Bestreben nach grösserer künftiger35 Volkommenheit nicht durch die zu grosse Erhebung der geg[enwärtigen] verhindern wil. --
ſeinem Begräbnistage. Die Kruſianer ſind faſt mit ihrem Stifter verloſchen; man iſt im Jar 1781 zu auf[geklärt], um ganz Kruſianer zu ſein, wenigſtens zu klug, um es zu ſagen. Nicht ganz aber faſt eben ſo iſt’s mit den Erneſti[anern]. Man hängt nur einem groſſen Manne in ſeinem Leben eifrig an, und verteidigt ſeine Feler mit demſelben Eifer,5 wie ſeine Tugenden; natürlich deswegen, weil es Nuzzen für uns iſt, dem groſſen Manne zum Schilde gegen die Streiche ſeiner Neider zu dienen, und Ere, ſich ſeinen Freund zu nennen. Mit ſeinem Tod ſtirbt unſre Anhänglichkeit an ihm [!]; wir loben nur [?] das, was ieder lobt, und verringern blos die Feler, die wir vorher noch läugneten. Von10 beiden Parteien hört man iezt wenig. Überhaupt hab’ ich die Be- merkung gemacht, daß ein groſſer Man nicht lange leben mus, um immer mit Rume zu leben. Man erwartet von ihm unaufhörlich neue Monumente ſeiner Gröſſe, und man macht ſich von ihm einen ſo volkom- nen Begrif, daß man ſeine vergangnen Taten blos für Herolde von15 der Gröſſe der zukünftigen anſieht. Man wendet nur immer ſein Auge vorwärts; man ſieht immer das was er iſt, und vergiſſet, was er ge- weſen iſt — man bewundert ihn nicht mer, wenn man an ihm immer daſſelbe bewundern mus — er überlebt ſich ſelbſt*). So gieng’s mit dem groſſen Young in England; und faſt eben ſo mit dem gelerten20 Erneſti in Leipzig. Vermittelſt des Körpers ſtehen wir mit den andern in Verbindung; und ein groſſer Geiſt [vermag?] nur erſt den eigent- lichen Körper, den Rum, der ihn [in] die unaufhörliche Verbindung[29] mit allen Menſchen ſezt, dan zu erlangen, wenn er den iezzigen ab- gelegt hat. Vergeben Sie mir dieſe Anmerkungen und Ausſchwei-25 fungen, die die erſten ſind; vergeben Sie zugleich die groſſe Menge derer, die Sie in dieſem Briefe noch zu erwarten haben. — Halten Sie mich für fähig, mit unter der Klaſſe derer zu ſtehen, die an iedem groſſen Man die Feler aufſuchen, dieſe Raben des Parnaſſes, die ſich nur vom As nären — dieſe Harpyien, die mit dem Un[rat der] Verläumdung30 iedes Verdienſt beflekken? — Was Sie vom Rum ſagen iſt richtig; was ich davon geſagt habe, iſt unrichtig. Ich habe nie den Rum mit Gleich-
*) Nach ihrem Tod ſieht man erſt zurük, und umfaſt den ganzen Kreis ihrer durchlaufnen Ban; man lobt ſie vor dem Tode nicht ſo unumſchränkt, weil man ſie immer zu gröſſern Taten anlokken wil, und ihr Beſtreben nach gröſſerer 〈künftiger〉35 Volkommenheit nicht durch die zu groſſe Erhebung der geg[enwärtigen] verhindern wil. —
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ſeinem Begräbnistage. Die Kruſianer ſind faſt mit ihrem Stifter
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ſein, wenigſtens zu klug, um es zu ſagen. Nicht ganz aber faſt eben ſo
iſt’s mit den Erneſti[anern]. Man hängt nur einem groſſen Manne in
ſeinem Leben eifrig an, und verteidigt ſeine Feler mit demſelben Eifer, 5
wie ſeine Tugenden; natürlich deswegen, weil es Nuzzen für uns iſt,
dem groſſen Manne zum Schilde gegen die Streiche ſeiner Neider zu
dienen, und Ere, ſich ſeinen Freund zu nennen. Mit ſeinem Tod ſtirbt
unſre Anhänglichkeit an ihm [!]; wir loben nur [?] das, was ieder lobt,
und verringern blos die Feler, die wir vorher noch läugneten. Von 10
beiden Parteien hört man iezt wenig. Überhaupt hab’ ich die Be-
merkung gemacht, daß ein groſſer Man nicht lange leben mus, um
immer mit Rume zu leben. Man erwartet von ihm unaufhörlich neue
Monumente ſeiner Gröſſe, und man macht ſich von ihm einen ſo volkom-
nen Begrif, daß man ſeine vergangnen Taten blos für Herolde von 15
der Gröſſe der zukünftigen anſieht. Man wendet nur immer ſein Auge
vorwärts; man ſieht immer das was er iſt, und vergiſſet, was er ge-
weſen iſt — man bewundert ihn nicht mer, wenn man an ihm immer
daſſelbe bewundern mus — er überlebt ſich ſelbſt *). So gieng’s mit
dem groſſen Young in England; und faſt eben ſo mit dem gelerten 20
Erneſti in Leipzig. Vermittelſt des Körpers ſtehen wir mit den andern
in Verbindung; und ein groſſer Geiſt [vermag?] nur erſt den eigent-
lichen Körper, den Rum, der ihn [in] die unaufhörliche Verbindung
mit allen Menſchen ſezt, dan zu erlangen, wenn er den iezzigen ab-
gelegt hat. Vergeben Sie mir dieſe Anmerkungen und Ausſchwei- 25
fungen, die die erſten ſind; vergeben Sie zugleich die groſſe Menge derer,
die Sie in dieſem Briefe noch zu erwarten haben. — Halten Sie mich
für fähig, mit unter der Klaſſe derer zu ſtehen, die an iedem groſſen
Man die Feler aufſuchen, dieſe Raben des Parnaſſes, die ſich nur vom
As nären — dieſe Harpyien, die mit dem Un[rat der] Verläumdung 30
iedes Verdienſt beflekken? — Was Sie vom Rum ſagen iſt richtig; was
ich davon geſagt habe, iſt unrichtig. Ich habe nie den Rum mit Gleich-
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*) Nach ihrem Tod ſieht man erſt zurük, und umfaſt den ganzen Kreis ihrer
durchlaufnen Ban; man lobt ſie vor dem Tode nicht ſo unumſchränkt, weil man ſie
immer zu gröſſern Taten anlokken wil, und ihr Beſtreben nach gröſſerer 〈künftiger〉 35
Volkommenheit nicht durch die zu groſſe Erhebung der geg[enwärtigen] verhindern
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/50>, abgerufen am 04.07.2024.
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