d. 25 Jul. Ich wil alle Tage eine Zeile schreiben, so wie mir eine einfält. -- Dieser erste Theil zwirnt nur das Garn, aus dem ich die Geschichte webe. -- Er wird, da ich darin nur für meine Schwel- gereien besorgt gewesen, blos für die Minorität, ja nur für die[417] Minimität sein. -- Er wird zu heftig sein. Meine Lieblingsgerichte5 werden zu oft wiederzukehren scheinen; aber die folgenden Theile unterbrechen sie schon: ich hoffe, es sol da Spizbübereien (solche wie bei der Residentin) und auch Freuden-Sektores genug geben. -- Wenn du mir einen Tadel daraus machest, daß in diesem Bande (die Paar künftigen Extrablätter ausgenommen) nichts satirisches vorkomme: so10 vertröst ich dich auf den zweiten Theil, in dem ganze Kollegien, Minister und die Stadt Wien seshaft sind. -- Leider mus wieder ein Hof vorkommen; wofür ich ausser meinen alten Entschuldigungen die neuen habe, daß ich so selten als möglich dahin gehen werde und daß ich in meinem dritten Buche alles in der Groschengallerie und auf dem15 Parterre spielen wil. Ein Hof hat zwar das Gute, daß er ein Vehikel von hundert Satiren und der Hebel von grossen Begebenheiten ist, aber auch das Schlimme, daß man die schönsten Maschinerien aus dem gemeinen Leben da nicht aufstellen darf. Dafür hat er wieder das Gute, wenn man einen Narren von der Strasse auflieset und ihn da zu20 etwas macht, z. B. zum Hofapotheker: so kent ihn kein Mensch und kein Höfer. Hingegen bei meinem 3ten Buch werd' ich -- ich mag immer die Leute bei den Regimentern versezen und aus einem Super- intend. einen Stadtvogt, aus einem Acciseinnehmer einen Almosen- samler backen -- Teufelsnoth mit der Exegese haben, weil man in25 Büchern nicht einmal bestimte Namen gewohnt hat z. B. Pfarrer stat Syndiakonus oder Subsenior, Advokat stat Landgerichtsprokurator u. s. f. -- Das gröste Elend eines Autors ist, daß er keiner Materie den Grad der Verschönerung ansehen kan, den sie anzunehmen fähig ist und daß er zu spät die Wahl der Materie bereuet. Z. B. Wuz30 Geschichte oder eine Abhandlung wo grosse Gegenstände vortreten (z. B. über die Geschichte der Menschen) strömen ordentlich aus der Feder; aber eine ernsthafte Erzählung quält einen wie die Dinte in Neustadt. -- Sag mir deine Meinung überal derb heraus, ohne Be- scheidenheits-Franzen, die nur Papier wegnehmen und die ich mir doch35 wegdenken mus, um die Meinung zu nüzen: lass mir sie dasmal dazu- denken. -- Lese es nur 1 mal durch, denn ich wil es bald wieder: einzelne
d. 25 Jul. Ich wil alle Tage eine Zeile ſchreiben, ſo wie mir eine einfält. — Dieſer erſte Theil zwirnt nur das Garn, aus dem ich die Geſchichte webe. — Er wird, da ich darin nur für meine Schwel- gereien beſorgt geweſen, blos für die Minorität, ja nur für die[417] Minimität ſein. — Er wird zu heftig ſein. Meine Lieblingsgerichte5 werden zu oft wiederzukehren ſcheinen; aber die folgenden Theile unterbrechen ſie ſchon: ich hoffe, es ſol da Spizbübereien (ſolche wie bei der Reſidentin) und auch Freuden-Sektores genug geben. — Wenn du mir einen Tadel daraus macheſt, daß in dieſem Bande (die Paar künftigen Extrablätter ausgenommen) nichts ſatiriſches vorkomme: ſo10 vertröſt ich dich auf den zweiten Theil, in dem ganze Kollegien, Miniſter und die Stadt Wien ſeshaft ſind. — Leider mus wieder ein Hof vorkommen; wofür ich auſſer meinen alten Entſchuldigungen die neuen habe, daß ich ſo ſelten als möglich dahin gehen werde und daß ich in meinem dritten Buche alles in der Groſchengallerie und auf dem15 Parterre ſpielen wil. Ein Hof hat zwar das Gute, daß er ein Vehikel von hundert Satiren und der Hebel von groſſen Begebenheiten iſt, aber auch das Schlimme, daß man die ſchönſten Maſchinerien aus dem gemeinen Leben da nicht aufſtellen darf. Dafür hat er wieder das Gute, wenn man einen Narren von der Straſſe auflieſet und ihn da zu20 etwas macht, z. B. zum Hofapotheker: ſo kent ihn kein Menſch und kein Höfer. Hingegen bei meinem 3ten Buch werd’ ich — ich mag immer die Leute bei den Regimentern verſezen und aus einem Super- intend. einen Stadtvogt, aus einem Acciseinnehmer einen Almoſen- ſamler backen — Teufelsnoth mit der Exegeſe haben, weil man in25 Büchern nicht einmal beſtimte Namen gewohnt hat z. B. Pfarrer ſtat Syndiakonus oder Subſenior, Advokat ſtat Landgerichtsprokurator u. ſ. f. — Das gröſte Elend eines Autors iſt, daß er keiner Materie den Grad der Verſchönerung anſehen kan, den ſie anzunehmen fähig iſt und daß er zu ſpät die Wahl der Materie bereuet. Z. B. Wuz30 Geſchichte oder eine Abhandlung wo groſſe Gegenſtände vortreten (z. B. über die Geſchichte der Menſchen) ſtrömen ordentlich aus der Feder; aber eine ernſthafte Erzählung quält einen wie die Dinte in Neuſtadt. — Sag mir deine Meinung überal derb heraus, ohne Be- ſcheidenheits-Franzen, die nur Papier wegnehmen und die ich mir doch35 wegdenken mus, um die Meinung zu nüzen: laſſ mir ſie dasmal dazu- denken. — Leſe es nur 1 mal durch, denn ich wil es bald wieder: einzelne
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d. 25 Jul. Ich wil alle Tage eine Zeile ſchreiben, ſo wie mir eine
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Geſchichte webe. — Er wird, da ich darin nur für meine Schwel-
gereien beſorgt geweſen, blos für die Minorität, ja nur für die
Minimität ſein. — Er wird zu heftig ſein. Meine Lieblingsgerichte 5
werden zu oft wiederzukehren ſcheinen; aber die folgenden Theile
unterbrechen ſie ſchon: ich hoffe, es ſol da Spizbübereien (ſolche wie bei
der Reſidentin) und auch Freuden-Sektores genug geben. — Wenn du
mir einen Tadel daraus macheſt, daß in dieſem Bande (die Paar
künftigen Extrablätter ausgenommen) nichts ſatiriſches vorkomme: ſo 10
vertröſt ich dich auf den zweiten Theil, in dem ganze Kollegien,
Miniſter und die Stadt Wien ſeshaft ſind. — Leider mus wieder ein
Hof vorkommen; wofür ich auſſer meinen alten Entſchuldigungen die
neuen habe, daß ich ſo ſelten als möglich dahin gehen werde und daß
ich in meinem dritten Buche alles in der Groſchengallerie und auf dem 15
Parterre ſpielen wil. Ein Hof hat zwar das Gute, daß er ein Vehikel
von hundert Satiren und der Hebel von groſſen Begebenheiten iſt,
aber auch das Schlimme, daß man die ſchönſten Maſchinerien aus
dem gemeinen Leben da nicht aufſtellen darf. Dafür hat er wieder das
Gute, wenn man einen Narren von der Straſſe auflieſet und ihn da zu 20
etwas macht, z. B. zum Hofapotheker: ſo kent ihn kein Menſch und
kein Höfer. Hingegen bei meinem 3ten Buch werd’ ich — ich mag
immer die Leute bei den Regimentern verſezen und aus einem Super-
intend. einen Stadtvogt, aus einem Acciseinnehmer einen Almoſen-
ſamler backen — Teufelsnoth mit der Exegeſe haben, weil man in 25
Büchern nicht einmal beſtimte Namen gewohnt hat z. B. Pfarrer ſtat
Syndiakonus oder Subſenior, Advokat ſtat Landgerichtsprokurator
u. ſ. f. — Das gröſte Elend eines Autors iſt, daß er keiner Materie
den Grad der Verſchönerung anſehen kan, den ſie anzunehmen fähig
iſt und daß er zu ſpät die Wahl der Materie bereuet. Z. B. Wuz 30
Geſchichte oder eine Abhandlung wo groſſe Gegenſtände vortreten
(z. B. über die Geſchichte der Menſchen) ſtrömen ordentlich aus der
Feder; aber eine ernſthafte Erzählung quält einen wie die Dinte in
Neuſtadt. — Sag mir deine Meinung überal derb heraus, ohne Be-
ſcheidenheits-Franzen, die nur Papier wegnehmen und die ich mir doch 35
wegdenken mus, um die Meinung zu nüzen: laſſ mir ſie dasmal dazu-
denken. — Leſe es nur 1 mal durch, denn ich wil es bald wieder: einzelne
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/425>, abgerufen am 24.11.2024.
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