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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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gewöhnt, daß ich jeden, den ich liebe, nur für einen aufgerichteten
Todten halte -- Menschen in Todtenkleidern stehen neben uns -- der
Tod mäht alle Blumen, die neben uns spielen, aus der Wüste weg
und ein Mensch, der alt wird, findet sein Grab von lauter fremden
Gräbern umlagert, in denen seine schöneren Tage und seine Geliebten5
schlafen. O du gute schöne Seele, deren Hülle, deren Stimme ich vor
einem Jahr an meinem Herzen zu finden hofte -- jezt rint die Hülle
auseinander und die Stimme der Liebe zerdrükt der lezte Schmerz --
ich sehe dich hier nicht mehr und wenn ich dich einmal wiederfinde,[415]
kenn' ich dich noch nicht. Du Unvergeslicher, wie war dir nach dem10
lezten Augenblik der erste, den das Leben von Kindheit an mit einer
dichten Wolke überzog -- Aber die Wolke hatte lichte Oefnungen,
durch die du die Auen des 2ten Lebens grünen sahest -- dein Auge verlor
sich in die Auen und sah dieses öde Leben nicht mehr -- plözlich rükt
dich dein Genius, der Tod, in die Auen und wir beraubte finden von15
dem besten Menschen keine Spur als sein Grab. -- Ich sol Sie trösten?
Ich tröste mich nie, ich sage zu mir: thut denn dir dieser Kummer, diese
Thränen schon zu wehe? Was hast du denn noch diesen Geliebten zu
geben als diese Paar Thränen, die sie nicht sehen, diese Paar Seufzer,
die sie nicht hören? Nein ach [?] das Bild des Freundes zerstiebt ohne-20
hin wie das begrabne sobald im veränd[erlichen] Herzen des Menschen
-- nach 10 Jahren sind die Gräber eingesunken und die Gestalten
zerfallen und die geliebten Seelen verdrängt aus deiner -- Sondern
recht wil ich beklagen, bis zum Schmerz wil ich betrauern den Guten,
der stum und blas zu meinen Füssen liegt ... Vom künftigen Wieder-25
erkennen etc. Ohne Fortdauer meines Gedächtnisses ist die Fortdauer
meines Ichs soviel wie die eines fremden Ichs d. h. keine: sobald ich
nichts mehr von meinem jezigen Ich weis, so könte ja jedes fremde
meines sein. Aus der Abhängigkeit des Gedächtnisses vom Körper --
die dasselbe aber mit allen Seelenkräften gemein hat -- folgt dessen30
Untergehen mit dem Körper eben so wenig als aus der Abhängigkeit
der übrigen Kräfte ihr Untergehen mit dem Körper folgt. Denn wenn
beides folgte: was bliebe denn zur Unsterblichkeit übrig? -- Ich werde
die Liebe nicht vergessen, womit Sie sich in Ihrem trübsten Schmerz an
einen soviel Meilen entfernten Menschen wenden, und die Freund-35
schaft, womit Sie mir die ersten Thränen über den Dahingegangnen
zeigten, sichert Ihnen die meinige auf immer.

gewöhnt, daß ich jeden, den ich liebe, nur für einen aufgerichteten
Todten halte — Menſchen in Todtenkleidern ſtehen neben uns — der
Tod mäht alle Blumen, die neben uns ſpielen, aus der Wüſte weg
und ein Menſch, der alt wird, findet ſein Grab von lauter fremden
Gräbern umlagert, in denen ſeine ſchöneren Tage und ſeine Geliebten5
ſchlafen. O du gute ſchöne Seele, deren Hülle, deren Stimme ich vor
einem Jahr an meinem Herzen zu finden hofte — jezt rint die Hülle
auseinander und die Stimme der Liebe zerdrükt der lezte Schmerz —
ich ſehe dich hier nicht mehr und wenn ich dich einmal wiederfinde,[415]
kenn’ ich dich noch nicht. Du Unvergeslicher, wie war dir nach dem10
lezten Augenblik der erſte, den das Leben von Kindheit an mit einer
dichten Wolke überzog — Aber die Wolke hatte lichte Oefnungen,
durch die du die Auen des 2ten Lebens grünen ſaheſt — dein Auge verlor
ſich in die Auen und ſah dieſes öde Leben nicht mehr — plözlich rükt
dich dein Genius, der Tod, in die Auen und wir beraubte finden von15
dem beſten Menſchen keine Spur als ſein Grab. — Ich ſol Sie tröſten?
Ich tröſte mich nie, ich ſage zu mir: thut denn dir dieſer Kummer, dieſe
Thränen ſchon zu wehe? Was haſt du denn noch dieſen Geliebten zu
geben als dieſe Paar Thränen, die ſie nicht ſehen, dieſe Paar Seufzer,
die ſie nicht hören? Nein ach [?] das Bild des Freundes zerſtiebt ohne-20
hin wie das begrabne ſobald im veränd[erlichen] Herzen des Menſchen
— nach 10 Jahren ſind die Gräber eingeſunken und die Geſtalten
zerfallen und die geliebten Seelen verdrängt aus deiner — Sondern
recht wil ich beklagen, bis zum Schmerz wil ich betrauern den Guten,
der ſtum und blas zu meinen Füſſen liegt … Vom künftigen Wieder-25
erkennen ꝛc. Ohne Fortdauer meines Gedächtniſſes iſt die Fortdauer
meines Ichs ſoviel wie die eines fremden Ichs d. h. keine: ſobald ich
nichts mehr von meinem jezigen Ich weis, ſo könte ja jedes fremde
meines ſein. Aus der Abhängigkeit des Gedächtniſſes vom Körper —
die daſſelbe aber mit allen Seelenkräften gemein hat — folgt deſſen30
Untergehen mit dem Körper eben ſo wenig als aus der Abhängigkeit
der übrigen Kräfte ihr Untergehen mit dem Körper folgt. Denn wenn
beides folgte: was bliebe denn zur Unſterblichkeit übrig? — Ich werde
die Liebe nicht vergeſſen, womit Sie ſich in Ihrem trübſten Schmerz an
einen ſoviel Meilen entfernten Menſchen wenden, und die Freund-35
ſchaft, womit Sie mir die erſten Thränen über den Dahingegangnen
zeigten, ſichert Ihnen die meinige auf immer.

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[395/0423] gewöhnt, daß ich jeden, den ich liebe, nur für einen aufgerichteten Todten halte — Menſchen in Todtenkleidern ſtehen neben uns — der Tod mäht alle Blumen, die neben uns ſpielen, aus der Wüſte weg und ein Menſch, der alt wird, findet ſein Grab von lauter fremden Gräbern umlagert, in denen ſeine ſchöneren Tage und ſeine Geliebten 5 ſchlafen. O du gute ſchöne Seele, deren Hülle, deren Stimme ich vor einem Jahr an meinem Herzen zu finden hofte — jezt rint die Hülle auseinander und die Stimme der Liebe zerdrükt der lezte Schmerz — ich ſehe dich hier nicht mehr und wenn ich dich einmal wiederfinde, kenn’ ich dich noch nicht. Du Unvergeslicher, wie war dir nach dem 10 lezten Augenblik der erſte, den das Leben von Kindheit an mit einer dichten Wolke überzog — Aber die Wolke hatte lichte Oefnungen, durch die du die Auen des 2ten Lebens grünen ſaheſt — dein Auge verlor ſich in die Auen und ſah dieſes öde Leben nicht mehr — plözlich rükt dich dein Genius, der Tod, in die Auen und wir beraubte finden von 15 dem beſten Menſchen keine Spur als ſein Grab. — Ich ſol Sie tröſten? Ich tröſte mich nie, ich ſage zu mir: thut denn dir dieſer Kummer, dieſe Thränen ſchon zu wehe? Was haſt du denn noch dieſen Geliebten zu geben als dieſe Paar Thränen, die ſie nicht ſehen, dieſe Paar Seufzer, die ſie nicht hören? Nein ach [?] das Bild des Freundes zerſtiebt ohne- 20 hin wie das begrabne ſobald im veränd[erlichen] Herzen des Menſchen — nach 10 Jahren ſind die Gräber eingeſunken und die Geſtalten zerfallen und die geliebten Seelen verdrängt aus deiner — Sondern recht wil ich beklagen, bis zum Schmerz wil ich betrauern den Guten, der ſtum und blas zu meinen Füſſen liegt … Vom künftigen Wieder- 25 erkennen ꝛc. Ohne Fortdauer meines Gedächtniſſes iſt die Fortdauer meines Ichs ſoviel wie die eines fremden Ichs d. h. keine: ſobald ich nichts mehr von meinem jezigen Ich weis, ſo könte ja jedes fremde meines ſein. Aus der Abhängigkeit des Gedächtniſſes vom Körper — die daſſelbe aber mit allen Seelenkräften gemein hat — folgt deſſen 30 Untergehen mit dem Körper eben ſo wenig als aus der Abhängigkeit der übrigen Kräfte ihr Untergehen mit dem Körper folgt. Denn wenn beides folgte: was bliebe denn zur Unſterblichkeit übrig? — Ich werde die Liebe nicht vergeſſen, womit Sie ſich in Ihrem trübſten Schmerz an einen ſoviel Meilen entfernten Menſchen wenden, und die Freund- 35 ſchaft, womit Sie mir die erſten Thränen über den Dahingegangnen zeigten, ſichert Ihnen die meinige auf immer. [415]

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/423>, abgerufen am 24.11.2024.