erstere beleidigen, wenn man sie nicht nach dem gewöhnlichen Münz- regal verehrte, und die andere würde es gar nicht anhören, daß man eine Bitte ihr vortrüge. Aber da ich das Glük habe an eine Dame zu schreiben, die ihren Werth nicht vom Addreskalender entlehnt, die sich durch ihren Geist und durch ein Herz, das fremde Noth fühlet und er-5 leichtert, über die gewöhnlichen erhebt: so wäre Zaghaftigkeit Beleidigung, wenn ich Ihnen folgende Bitte meiner Mutter vor- zutragen wage. Sie ist durch eine Reihe von unglüklichen Zufällen in eine harte Lage versezt worden; noch härter sind die Personen, die ihr helfen könten: dieses wird sie vielleicht entschuldigen, wenn sie es wagt,10 an Sie die unterthänige Bitte etc. zu thun; wiewol auch die Hälfte der Summe sie aus ihrer gegenwärtigen Noth erlösen würde. Möchten Sie sich des Vaters dessen, der dieses schreibt, erinnern, um eine Bitte, die die Noth seinen Hinterlassenen abdringt, wenn nicht zu gewähren doch zu verzeihen! Vielleicht hat selbst der Ton dieser Bitte eine Verzeihung15 vonnöthen. -- Mit einer wehmüthigen Empfindung, die man hat, wenn man eine schäzbare Person zum lezten male sieht, und mit den wärmsten Wünschen für eine Dame, die die besten verdient, mach' ich diesem zu langen Briefe ein Ende etc.
129. An Oerthel in Töpen.20
[Kopie][Hof, 22. Dez. 1785]
Du bist so gleichgültig gegen mich und besuchst den Richter nicht und schikst ihm nichts -- und doch denkt er mit Vergnügen daran, daß heute der 22 Dez. und ein Namenstag ist und schreibt dirs sogar.
130. An Aktuar Vogel in Schwarzenbach.25
[Kopie][Hof, 22. Dez. 1785]
Ich wolte, Sie wären nicht so schnel in den Karmeliterorden ge- treten und hätten das Gelübde des Stilschweigens nicht gethan: blos meinetwegen wäre es zu wünschen. Ich würde dan etwas vom[194] Schiksale der Mixturen erfahren und wissen, ob Sie mich nicht aus dem30 Hause und Gedächtnis zugleich verloren. Aber so? -- Was mich hin- gegen anlangt, so red' ich sehr und bin daher wirklich im Stande, Ihnen zu sagen, daß ich so wol Sie als das Vergnügen nicht vergessen habe, das ich alzeit bei Ihnen -- die wenigen Stunden ausgenommen, wo
erſtere beleidigen, wenn man ſie nicht nach dem gewöhnlichen Münz- regal verehrte, und die andere würde es gar nicht anhören, daß man eine Bitte ihr vortrüge. Aber da ich das Glük habe an eine Dame zu ſchreiben, die ihren Werth nicht vom Addreskalender entlehnt, die ſich durch ihren Geiſt und durch ein Herz, das fremde Noth fühlet und er-5 leichtert, über die gewöhnlichen erhebt: ſo wäre Zaghaftigkeit Beleidigung, wenn ich Ihnen folgende Bitte meiner Mutter vor- zutragen wage. Sie iſt durch eine Reihe von unglüklichen Zufällen in eine harte Lage verſezt worden; noch härter ſind die Perſonen, die ihr helfen könten: dieſes wird ſie vielleicht entſchuldigen, wenn ſie es wagt,10 an Sie die unterthänige Bitte ꝛc. zu thun; wiewol auch die Hälfte der Summe ſie aus ihrer gegenwärtigen Noth erlöſen würde. Möchten Sie ſich des Vaters deſſen, der dieſes ſchreibt, erinnern, um eine Bitte, die die Noth ſeinen Hinterlaſſenen abdringt, wenn nicht zu gewähren doch zu verzeihen! Vielleicht hat ſelbſt der Ton dieſer Bitte eine Verzeihung15 vonnöthen. — Mit einer wehmüthigen Empfindung, die man hat, wenn man eine ſchäzbare Perſon zum lezten male ſieht, und mit den wärmſten Wünſchen für eine Dame, die die beſten verdient, mach’ ich dieſem zu langen Briefe ein Ende ꝛc.
129. An Oerthel in Töpen.20
[Kopie][Hof, 22. Dez. 1785]
Du biſt ſo gleichgültig gegen mich und beſuchſt den Richter nicht und ſchikſt ihm nichts — und doch denkt er mit Vergnügen daran, daß heute der 22 Dez. und ein Namenstag iſt und ſchreibt dirs ſogar.
130. An Aktuar Vogel in Schwarzenbach.25
[Kopie][Hof, 22. Dez. 1785]
Ich wolte, Sie wären nicht ſo ſchnel in den Karmeliterorden ge- treten und hätten das Gelübde des Stilſchweigens nicht gethan: blos meinetwegen wäre es zu wünſchen. Ich würde dan etwas vom[194] Schikſale der Mixturen erfahren und wiſſen, ob Sie mich nicht aus dem30 Hauſe und Gedächtnis zugleich verloren. Aber ſo? — Was mich hin- gegen anlangt, ſo red’ ich ſehr und bin daher wirklich im Stande, Ihnen zu ſagen, daß ich ſo wol Sie als das Vergnügen nicht vergeſſen habe, das ich alzeit bei Ihnen — die wenigen Stunden ausgenommen, wo
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erſtere beleidigen, wenn man ſie nicht nach dem gewöhnlichen Münz-
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eine Bitte ihr vortrüge. Aber da ich das Glük habe an eine Dame zu
ſchreiben, die ihren Werth nicht vom Addreskalender entlehnt, die ſich
durch ihren Geiſt und durch ein Herz, das fremde Noth fühlet und er- 5
leichtert, über die gewöhnlichen erhebt: ſo wäre Zaghaftigkeit
Beleidigung, wenn ich Ihnen folgende Bitte meiner Mutter vor-
zutragen wage. Sie iſt durch eine Reihe von unglüklichen Zufällen in
eine harte Lage verſezt worden; noch härter ſind die Perſonen, die ihr
helfen könten: dieſes wird ſie vielleicht entſchuldigen, wenn ſie es wagt, 10
an Sie die unterthänige Bitte ꝛc. zu thun; wiewol auch die Hälfte der
Summe ſie aus ihrer gegenwärtigen Noth erlöſen würde. Möchten Sie
ſich des Vaters deſſen, der dieſes ſchreibt, erinnern, um eine Bitte, die
die Noth ſeinen Hinterlaſſenen abdringt, wenn nicht zu gewähren doch
zu verzeihen! Vielleicht hat ſelbſt der Ton dieſer Bitte eine Verzeihung 15
vonnöthen. — Mit einer wehmüthigen Empfindung, die man hat,
wenn man eine ſchäzbare Perſon zum lezten male ſieht, und mit den
wärmſten Wünſchen für eine Dame, die die beſten verdient, mach’ ich
dieſem zu langen Briefe ein Ende ꝛc.
129. An Oerthel in Töpen. 20
[Hof, 22. Dez. 1785]
Du biſt ſo gleichgültig gegen mich und beſuchſt den Richter nicht
und ſchikſt ihm nichts — und doch denkt er mit Vergnügen daran, daß
heute der 22 Dez. und ein Namenstag iſt und ſchreibt dirs ſogar.
130. An Aktuar Vogel in Schwarzenbach. 25
[Hof, 22. Dez. 1785]
Ich wolte, Sie wären nicht ſo ſchnel in den Karmeliterorden ge-
treten und hätten das Gelübde des Stilſchweigens nicht gethan:
blos meinetwegen wäre es zu wünſchen. Ich würde dan etwas vom
Schikſale der Mixturen erfahren und wiſſen, ob Sie mich nicht aus dem 30
Hauſe und Gedächtnis zugleich verloren. Aber ſo? — Was mich hin-
gegen anlangt, ſo red’ ich ſehr und bin daher wirklich im Stande, Ihnen
zu ſagen, daß ich ſo wol Sie als das Vergnügen nicht vergeſſen habe,
das ich alzeit bei Ihnen — die wenigen Stunden ausgenommen, wo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/208>, abgerufen am 04.07.2024.
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