starken Porzion Kaffe nicht sogleich des Denkens fähig, sondern erst nach einigen Stunden: die Unordentlichkeit deiner Lebensgeister mus sich nämlich zu geordneter Lebhaftigkeit abschwächen. -- Aus einem psychologischen Grunde: das heftige Bestreben, eine Sache gut zu machen, raubt seiner eignen Genugtuung einen Teil der Aufmerksam-5 keit und deine Ideen dienen zweien Hern, dem Willen und der Phanta- sie auf einmal; natürlich daß alsdenn die geteilte Kraft schwächer wirkt. Überhaupt hindern alle Leidenschaften das Denken; und nur einige können es anfangen, aber weiter reicht ihre Nüzlichkeit nicht; sie können gleich dem Wind das Licht anblasen, allein wenn sich dan10 ihre Heftigkeit nicht bricht, so machen sie das Licht geschwinder ver- brennen oder löschen es wieder aus.
Den 4. Jul.
Ich habe dreimal eingetunkt, eh' ich auf den Einfal kommen konte, dir es zu melden. Ich bin so schläfrig, daß ich nicht einmal was Dum-15 [93]mes sagen mag -- diese zwei Zeilen ausgenommen. Ich fürte vor dem Sprichwort "aller Anfang ist schwer", alle meine Ideen, wie Got vor dem Adam alle Tiere, vorbei, um für dasselbe unter ihnen eine Frau d. h. ein Gleichnis auszukiesen; allein ich fand so wenig eine, wie Adam, der sich mit seiner Ribbe muste kopuliren lassen und der genötigt war,20 mit seinem Körper die Frau zu zeugen, eh' er die Kinder zeugen konte; der erste Mensch pflanzte sich da noch wie die Polypen durch Ab- schneidung fort. -- Was tue ich nun, um mich aus dem Schlafe aus- zumuntern? Ich wil stat einen troianischen Pegasus zu schnizen, einen Nürnbergischena)35 machen, dessen ganze Harmonie im Schwanz25 wonet -- d. h. ich wil die Einbildungskraft ruhen lassen und nur Epigrammen drechseln, deren ganzer Wert sich in den Schwanz konzentrirt. Voltaire überschikte dem König in Preussen in iedem Briefe einige frischgebakne Änlichkeiten zwischen dem Helden und Gelerten. Ungeachtet nun der alte Man seinen Saugrüssel in iede30 Falte einer so wizreichen Blume geschossen, so lasse ich mich doch von einer Nachlese dadurch nicht abschrekken. Übrigens mag das Beispiel eines solchen Dichters der ganzen Pointenkrämerei zu einigem Wert
a) Ich meine die kleinen mit Blumen bemalten und mit einem pfeifenden Schwanze versehenen nürnbergischen Pferdgen.
ſtarken Porzion Kaffe nicht ſogleich des Denkens fähig, ſondern erſt nach einigen Stunden: die Unordentlichkeit deiner Lebensgeiſter mus ſich nämlich zu geordneter Lebhaftigkeit abſchwächen. — Aus einem pſychologiſchen Grunde: das heftige Beſtreben, eine Sache gut zu machen, raubt ſeiner eignen Genugtuung einen Teil der Aufmerkſam-5 keit und deine Ideen dienen zweien Hern, dem Willen und der Phanta- ſie auf einmal; natürlich daß alsdenn die geteilte Kraft ſchwächer wirkt. Überhaupt hindern alle Leidenſchaften das Denken; und nur einige können es anfangen, aber weiter reicht ihre Nüzlichkeit nicht; ſie können gleich dem Wind das Licht anblaſen, allein wenn ſich dan10 ihre Heftigkeit nicht bricht, ſo machen ſie das Licht geſchwinder ver- brennen oder löſchen es wieder aus.
Den 4. Jul.
Ich habe dreimal eingetunkt, eh’ ich auf den Einfal kommen konte, dir es zu melden. Ich bin ſo ſchläfrig, daß ich nicht einmal was Dum-15 [93]mes ſagen mag — dieſe zwei Zeilen ausgenommen. Ich fürte vor dem Sprichwort „aller Anfang iſt ſchwer“, alle meine Ideen, wie Got vor dem Adam alle Tiere, vorbei, um für daſſelbe unter ihnen eine Frau d. h. ein Gleichnis auszukieſen; allein ich fand ſo wenig eine, wie Adam, der ſich mit ſeiner Ribbe muſte kopuliren laſſen und der genötigt war,20 mit ſeinem Körper die Frau zu zeugen, eh’ er die Kinder zeugen konte; der erſte Menſch pflanzte ſich da noch wie die Polypen durch Ab- ſchneidung fort. — Was tue ich nun, um mich aus dem Schlafe aus- zumuntern? Ich wil ſtat einen troianiſchen Pegaſus zu ſchnizen, einen Nürnbergiſchena)35 machen, deſſen ganze Harmonie im Schwanz25 wonet — d. h. ich wil die Einbildungskraft ruhen laſſen und nur Epigrammen drechſeln, deren ganzer Wert ſich in den Schwanz konzentrirt. Voltaire überſchikte dem König in Preuſſen in iedem Briefe einige friſchgebakne Änlichkeiten zwiſchen dem Helden und Gelerten. Ungeachtet nun der alte Man ſeinen Saugrüſſel in iede30 Falte einer ſo wizreichen Blume geſchoſſen, ſo laſſe ich mich doch von einer Nachleſe dadurch nicht abſchrekken. Übrigens mag das Beiſpiel eines ſolchen Dichters der ganzen Pointenkrämerei zu einigem Wert
a) Ich meine die kleinen mit Blumen bemalten und mit einem pfeifenden Schwanze verſehenen nürnbergiſchen Pferdgen.
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ſtarken Porzion Kaffe nicht ſogleich des Denkens fähig, ſondern erſt
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pſychologiſchen Grunde: das heftige Beſtreben, eine Sache gut zu
machen, raubt ſeiner eignen Genugtuung einen Teil der Aufmerkſam- 5
keit und deine Ideen dienen zweien Hern, dem Willen und der Phanta-
ſie auf einmal; natürlich daß alsdenn die geteilte Kraft ſchwächer
wirkt. Überhaupt hindern alle Leidenſchaften das Denken; und nur
einige können es anfangen, aber weiter reicht ihre Nüzlichkeit nicht;
ſie können gleich dem Wind das Licht anblaſen, allein wenn ſich dan 10
ihre Heftigkeit nicht bricht, ſo machen ſie das Licht geſchwinder ver-
brennen oder löſchen es wieder aus.
Den 4. Jul.
Ich habe dreimal eingetunkt, eh’ ich auf den Einfal kommen konte,
dir es zu melden. Ich bin ſo ſchläfrig, daß ich nicht einmal was Dum- 15
mes ſagen mag — dieſe zwei Zeilen ausgenommen. Ich fürte vor dem
Sprichwort „aller Anfang iſt ſchwer“, alle meine Ideen, wie Got vor
dem Adam alle Tiere, vorbei, um für daſſelbe unter ihnen eine Frau
d. h. ein Gleichnis auszukieſen; allein ich fand ſo wenig eine, wie Adam,
der ſich mit ſeiner Ribbe muſte kopuliren laſſen und der genötigt war, 20
mit ſeinem Körper die Frau zu zeugen, eh’ er die Kinder zeugen konte;
der erſte Menſch pflanzte ſich da noch wie die Polypen durch Ab-
ſchneidung fort. — Was tue ich nun, um mich aus dem Schlafe aus-
zumuntern? Ich wil ſtat einen troianiſchen Pegaſus zu ſchnizen, einen
Nürnbergiſchen a) 35
machen, deſſen ganze Harmonie im Schwanz 25
wonet — d. h. ich wil die Einbildungskraft ruhen laſſen und nur
Epigrammen drechſeln, deren ganzer Wert ſich in den Schwanz
konzentrirt. Voltaire überſchikte dem König in Preuſſen in iedem
Briefe einige friſchgebakne Änlichkeiten zwiſchen dem Helden und
Gelerten. Ungeachtet nun der alte Man ſeinen Saugrüſſel in iede 30
Falte einer ſo wizreichen Blume geſchoſſen, ſo laſſe ich mich doch von
einer Nachleſe dadurch nicht abſchrekken. Übrigens mag das Beiſpiel
eines ſolchen Dichters der ganzen Pointenkrämerei zu einigem Wert
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a) Ich meine die kleinen mit Blumen bemalten und mit einem pfeifenden
Schwanze verſehenen nürnbergiſchen Pferdgen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/109>, abgerufen am 22.11.2024.
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