warum du, gleich einer iungen Witwe, einen frölichen Brief schwarz gesiegelt. Ich folge meiner Regel, die ich dir neulich mitgeteilet die du aber nicht befolget, und beantworte ihn gleich, nachdem ich ihn kaum vielmal gelesen. Da du über den meinigen etwas Lügen mit- vorgebracht; so möcht' ich dir fast folgen und von dem deinigen die5 Lüge sagen, daß er mir nicht gefallen. Mit der Lüge far' ich vielleicht besser als mit der Warheit, die gleich den Musen sich der Naktheit schämt und für die ich doch die seidne Einkleidung nicht zu bezalen kaufen im Stande bin. Du hingegen verstehst dich aufs Loben so gut, daß immer der halbe Teil auf den Lobredner wieder zurükfält und10 der Priester geniest den Weihrauch besser als die hölzerne Gotheit; dein Lob verhült seine Reize in ein Kleid, das dem Tadel welche leihen würde, es schmekt dem Gaumen eben so gut als der Nase d. h. dem Geschmak und der Eitelkeit. Was kan aber der arme Satiriker? nichts als Gestank um sich verbreiten; er kan gleich den Vögeln, die15 nicht singen, d. h. gleich dem Papagai etc. nichts als schimpfen und seinen Hern einen Spizbuben und die Madam eine Hure nennen.[92] Schilst du diese Warheit Schmeichelei, so geb' ich dir, gleich dem Echo zu Oxford, den Vorwurf vervielfältigt zurük. -- Ich schmeichele z. E. nicht, wenn ich den Saz in deinem Brief "der Docht kan dem Öle keine20 "Narung geben" zum Beispiel einer glüklichen Kürze anfüre, die wie ich schon oft gesagt, nicht in Zusammendrängung der Worte, sondern der Gedanken besteht: denn dies Lob loben heist weniger geschmeichelt als es geben. -- Mir fält immer Voltaire ein, der alle grosse Männer tadelte, weil er sie beneidete, und alle iunge Leute lobte, um sie nicht25 beneiden zu dürfen; er gieng mit Geisteskindern um wie Zauberer mit leiblichen, er lobte sie, um sie zu töden. --
Allerdings hemt das heftige Bestreben einer Kraft ihre Tätigkeit; aus einem physischen und psychologischen Grunde. Die Bewegung des Nervengeists vergrössert sich verhältnismässig durch dein Bestreben,30 bis zu einem Grade, wo die Lebhaftigkeit der Ideen in Unordentlich- keit derselben übergeht. Ein wenig Opium spornt die Nervengeister zum Trabe höchstens zum abbrevirten Gallop, und geschwinder dürfen unsere Pegasusse nicht gehen; denn iagst du sie durch mer Opium in den langen Gallop, so stürzen sie die Phantasie, die sie tragen solten.35 Daher macht die Erweiterung des Weinglases aus dem aufgewekten Geselschafter den trunknen. Daher bist du nach dem Genusse einer
warum du, gleich einer iungen Witwe, einen frölichen Brief ſchwarz geſiegelt. Ich folge meiner Regel, die ich dir neulich mitgeteilet die du aber nicht befolget, und beantworte ihn gleich, nachdem ich ihn kaum vielmal geleſen. Da du über den meinigen etwas Lügen mit- vorgebracht; ſo möcht’ ich dir faſt folgen und von dem deinigen die5 Lüge ſagen, daß er mir nicht gefallen. Mit der Lüge far’ ich vielleicht beſſer als mit der Warheit, die gleich den Muſen ſich der Naktheit ſchämt und für die ich doch die ſeidne Einkleidung nicht zu bezalen 〈kaufen〉 im Stande bin. Du hingegen verſtehſt dich aufs Loben ſo gut, daß immer der halbe Teil auf den Lobredner wieder zurükfält und10 der Prieſter genieſt den Weihrauch beſſer als die hölzerne Gotheit; dein Lob verhült ſeine Reize in ein Kleid, das dem Tadel welche leihen würde, es ſchmekt dem Gaumen eben ſo gut als der Naſe d. h. dem Geſchmak und der Eitelkeit. Was kan aber der arme Satiriker? nichts als Geſtank um ſich verbreiten; er kan gleich den Vögeln, die15 nicht ſingen, d. h. gleich dem Papagai ꝛc. nichts als ſchimpfen und ſeinen Hern einen Spizbuben und die Madam eine Hure nennen.[92] Schilſt du dieſe Warheit Schmeichelei, ſo geb’ ich dir, gleich dem Echo zu Oxford, den Vorwurf vervielfältigt zurük. — Ich ſchmeichele z. E. nicht, wenn ich den Saz in deinem Brief „der Docht kan dem Öle keine20 „Narung geben“ zum Beiſpiel einer glüklichen Kürze anfüre, die wie ich ſchon oft geſagt, nicht in Zuſammendrängung der Worte, ſondern der Gedanken beſteht: denn dies Lob loben heiſt weniger geſchmeichelt als es geben. — Mir fält immer Voltaire ein, der alle groſſe Männer tadelte, weil er ſie beneidete, und alle iunge Leute lobte, um ſie nicht25 beneiden zu dürfen; er gieng mit Geiſteskindern um wie Zauberer mit leiblichen, er lobte ſie, um ſie zu töden. —
Allerdings hemt das heftige Beſtreben einer Kraft ihre Tätigkeit; aus einem phyſiſchen und pſychologiſchen Grunde. Die Bewegung des Nervengeiſts vergröſſert ſich verhältnismäſſig durch dein Beſtreben,30 bis zu einem Grade, wo die Lebhaftigkeit der Ideen in Unordentlich- keit derſelben übergeht. Ein wenig Opium ſpornt die Nervengeiſter zum Trabe höchſtens zum abbrevirten Gallop, und geſchwinder dürfen unſere Pegaſuſſe nicht gehen; denn iagſt du ſie durch mer Opium in den langen Gallop, ſo ſtürzen ſie die Phantaſie, die ſie tragen ſolten.35 Daher macht die Erweiterung des Weinglaſes aus dem aufgewekten Geſelſchafter den trunknen. Daher biſt du nach dem Genuſſe einer
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du aber nicht befolget, und beantworte ihn gleich, nachdem ich ihn
kaum vielmal geleſen. Da du über den meinigen etwas Lügen mit-
vorgebracht; ſo möcht’ ich dir faſt folgen und von dem deinigen die 5
Lüge ſagen, daß er mir nicht gefallen. Mit der Lüge far’ ich vielleicht
beſſer als mit der Warheit, die gleich den Muſen ſich der Naktheit
ſchämt und für die ich doch die ſeidne Einkleidung nicht zu bezalen
〈kaufen〉 im Stande bin. Du hingegen verſtehſt dich aufs Loben ſo
gut, daß immer der halbe Teil auf den Lobredner wieder zurükfält und 10
der Prieſter genieſt den Weihrauch beſſer als die hölzerne Gotheit;
dein Lob verhült ſeine Reize in ein Kleid, das dem Tadel welche
leihen würde, es ſchmekt dem Gaumen eben ſo gut als der Naſe d. h.
dem Geſchmak und der Eitelkeit. Was kan aber der arme Satiriker?
nichts als Geſtank um ſich verbreiten; er kan gleich den Vögeln, die 15
nicht ſingen, d. h. gleich dem Papagai ꝛc. nichts als ſchimpfen und
ſeinen Hern einen Spizbuben und die Madam eine Hure nennen.
Schilſt du dieſe Warheit Schmeichelei, ſo geb’ ich dir, gleich dem Echo
zu Oxford, den Vorwurf vervielfältigt zurük. — Ich ſchmeichele z. E.
nicht, wenn ich den Saz in deinem Brief „der Docht kan dem Öle keine 20
„Narung geben“ zum Beiſpiel einer glüklichen Kürze anfüre, die wie
ich ſchon oft geſagt, nicht in Zuſammendrängung der Worte, ſondern
der Gedanken beſteht: denn dies Lob loben heiſt weniger geſchmeichelt
als es geben. — Mir fält immer Voltaire ein, der alle groſſe Männer
tadelte, weil er ſie beneidete, und alle iunge Leute lobte, um ſie nicht 25
beneiden zu dürfen; er gieng mit Geiſteskindern um wie Zauberer mit
leiblichen, er lobte ſie, um ſie zu töden. —
[92]
Allerdings hemt das heftige Beſtreben einer Kraft ihre Tätigkeit;
aus einem phyſiſchen und pſychologiſchen Grunde. Die Bewegung
des Nervengeiſts vergröſſert ſich verhältnismäſſig durch dein Beſtreben, 30
bis zu einem Grade, wo die Lebhaftigkeit der Ideen in Unordentlich-
keit derſelben übergeht. Ein wenig Opium ſpornt die Nervengeiſter
zum Trabe höchſtens zum abbrevirten Gallop, und geſchwinder
dürfen unſere Pegaſuſſe nicht gehen; denn iagſt du ſie durch mer Opium
in den langen Gallop, ſo ſtürzen ſie die Phantaſie, die ſie tragen ſolten. 35
Daher macht die Erweiterung des Weinglaſes aus dem aufgewekten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/108>, abgerufen am 22.11.2024.
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