Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.spruch eines Herrscheraugenblicks so viel gelten ſpruch eines Herrſcheraugenblicks ſo viel gelten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0317" n="287"/><fw type="pageNum" place="top">287<lb/></fw>ſpruch eines Herrſcheraugenblicks ſo viel gelten<lb/> ſoll, als die ſaure Arbeit ganzer Jahrhunderte.<lb/> Kann ſich jeder Kohlhans durch das Vorhäng¬<lb/> ſel „<hi rendition="#g">von“</hi> Überlieferungen früherer Thaten<lb/> gleichſtellen; ſo gilt ein ſterbendes Wörtchen (das<lb/> in Ewigkeit kein Schöpfungswerde wird) ſo viel<lb/> — als die lange Frucht der Zeit. Eine alte<lb/> tauſendjährige Eiche, die noch fortgrünt, iſt ehr¬<lb/> würdig, wie jedes Alter, ſo nützliche Jahre ver¬<lb/> lebt hat. Man denkt an Alles, was ſie erlebt<lb/> und überſtanden; wie manchen Vorwanderern ſie<lb/> Schatten und Kühlung gegeben. Vor dem<lb/> Pilze bleibt niemand lange ſtehn; nur aufwärts<lb/> richtet der Menſch den Blick, und geheime Ah¬<lb/> nungen füllen ſeine Seele. Wenn die Ehre der<lb/> Väter die Nachkommen ehret und ſchändet, ſo<lb/> wird ſich die Tugend verewigen. So ſangen<lb/> einſt Spartas Heldengreiſe: „Wir waren einſt<lb/> tapfer!“ Die Männer ſtimmten ein: „Wir ſind<lb/> es jetzt!″ Und die heranwachſende Jugend ſchloß<lb/> den Wechſelgeſang: „Wir werden’s!“ Aber<lb/> nur bedingt muß die Ehre der Vorfahren nach¬<lb/> erben (<hi rendition="#aq">Juvenal</hi>. <hi rendition="#aq">Sat</hi>. <hi rendition="#aq">VIII</hi>.); und wer ehrenwerthe<lb/> Vorväter aufzählt, muß nicht dadurch berechtigt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0317]
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ſpruch eines Herrſcheraugenblicks ſo viel gelten
ſoll, als die ſaure Arbeit ganzer Jahrhunderte.
Kann ſich jeder Kohlhans durch das Vorhäng¬
ſel „von“ Überlieferungen früherer Thaten
gleichſtellen; ſo gilt ein ſterbendes Wörtchen (das
in Ewigkeit kein Schöpfungswerde wird) ſo viel
— als die lange Frucht der Zeit. Eine alte
tauſendjährige Eiche, die noch fortgrünt, iſt ehr¬
würdig, wie jedes Alter, ſo nützliche Jahre ver¬
lebt hat. Man denkt an Alles, was ſie erlebt
und überſtanden; wie manchen Vorwanderern ſie
Schatten und Kühlung gegeben. Vor dem
Pilze bleibt niemand lange ſtehn; nur aufwärts
richtet der Menſch den Blick, und geheime Ah¬
nungen füllen ſeine Seele. Wenn die Ehre der
Väter die Nachkommen ehret und ſchändet, ſo
wird ſich die Tugend verewigen. So ſangen
einſt Spartas Heldengreiſe: „Wir waren einſt
tapfer!“ Die Männer ſtimmten ein: „Wir ſind
es jetzt!″ Und die heranwachſende Jugend ſchloß
den Wechſelgeſang: „Wir werden’s!“ Aber
nur bedingt muß die Ehre der Vorfahren nach¬
erben (Juvenal. Sat. VIII.); und wer ehrenwerthe
Vorväter aufzählt, muß nicht dadurch berechtigt
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Zitationshilfe: | Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/317>, abgerufen am 26.06.2024. |