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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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spruch eines Herrscheraugenblicks so viel gelten
soll, als die saure Arbeit ganzer Jahrhunderte.
Kann sich jeder Kohlhans durch das Vorhäng¬
sel "von" Überlieferungen früherer Thaten
gleichstellen; so gilt ein sterbendes Wörtchen (das
in Ewigkeit kein Schöpfungswerde wird) so viel
-- als die lange Frucht der Zeit. Eine alte
tausendjährige Eiche, die noch fortgrünt, ist ehr¬
würdig, wie jedes Alter, so nützliche Jahre ver¬
lebt hat. Man denkt an Alles, was sie erlebt
und überstanden; wie manchen Vorwanderern sie
Schatten und Kühlung gegeben. Vor dem
Pilze bleibt niemand lange stehn; nur aufwärts
richtet der Mensch den Blick, und geheime Ah¬
nungen füllen seine Seele. Wenn die Ehre der
Väter die Nachkommen ehret und schändet, so
wird sich die Tugend verewigen. So sangen
einst Spartas Heldengreise: "Wir waren einst
tapfer!" Die Männer stimmten ein: "Wir sind
es jetzt!" Und die heranwachsende Jugend schloß
den Wechselgesang: "Wir werden's!" Aber
nur bedingt muß die Ehre der Vorfahren nach¬
erben (Juvenal. Sat. VIII.); und wer ehrenwerthe
Vorväter aufzählt, muß nicht dadurch berechtigt

ſpruch eines Herrſcheraugenblicks ſo viel gelten
ſoll, als die ſaure Arbeit ganzer Jahrhunderte.
Kann ſich jeder Kohlhans durch das Vorhäng¬
ſel „von“ Überlieferungen früherer Thaten
gleichſtellen; ſo gilt ein ſterbendes Wörtchen (das
in Ewigkeit kein Schöpfungswerde wird) ſo viel
— als die lange Frucht der Zeit. Eine alte
tauſendjährige Eiche, die noch fortgrünt, iſt ehr¬
würdig, wie jedes Alter, ſo nützliche Jahre ver¬
lebt hat. Man denkt an Alles, was ſie erlebt
und überſtanden; wie manchen Vorwanderern ſie
Schatten und Kühlung gegeben. Vor dem
Pilze bleibt niemand lange ſtehn; nur aufwärts
richtet der Menſch den Blick, und geheime Ah¬
nungen füllen ſeine Seele. Wenn die Ehre der
Väter die Nachkommen ehret und ſchändet, ſo
wird ſich die Tugend verewigen. So ſangen
einſt Spartas Heldengreiſe: „Wir waren einſt
tapfer!“ Die Männer ſtimmten ein: „Wir ſind
es jetzt!″ Und die heranwachſende Jugend ſchloß
den Wechſelgeſang: „Wir werden’s!“ Aber
nur bedingt muß die Ehre der Vorfahren nach¬
erben (Juvenal. Sat. VIII.); und wer ehrenwerthe
Vorväter aufzählt, muß nicht dadurch berechtigt

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[287/0317] 287 ſpruch eines Herrſcheraugenblicks ſo viel gelten ſoll, als die ſaure Arbeit ganzer Jahrhunderte. Kann ſich jeder Kohlhans durch das Vorhäng¬ ſel „von“ Überlieferungen früherer Thaten gleichſtellen; ſo gilt ein ſterbendes Wörtchen (das in Ewigkeit kein Schöpfungswerde wird) ſo viel — als die lange Frucht der Zeit. Eine alte tauſendjährige Eiche, die noch fortgrünt, iſt ehr¬ würdig, wie jedes Alter, ſo nützliche Jahre ver¬ lebt hat. Man denkt an Alles, was ſie erlebt und überſtanden; wie manchen Vorwanderern ſie Schatten und Kühlung gegeben. Vor dem Pilze bleibt niemand lange ſtehn; nur aufwärts richtet der Menſch den Blick, und geheime Ah¬ nungen füllen ſeine Seele. Wenn die Ehre der Väter die Nachkommen ehret und ſchändet, ſo wird ſich die Tugend verewigen. So ſangen einſt Spartas Heldengreiſe: „Wir waren einſt tapfer!“ Die Männer ſtimmten ein: „Wir ſind es jetzt!″ Und die heranwachſende Jugend ſchloß den Wechſelgeſang: „Wir werden’s!“ Aber nur bedingt muß die Ehre der Vorfahren nach¬ erben (Juvenal. Sat. VIII.); und wer ehrenwerthe Vorväter aufzählt, muß nicht dadurch berechtigt

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/317>, abgerufen am 24.11.2024.