Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Schirm gar leicht an einseitiger Überfeinung
und Verzierlichung versiechen, Saft und Kraft
verlieren, und marklos an der Auszehrung ver-
quinen. Da sich die Mundarten nur sprach-
thümlich fortpflanzen, nicht in Büchern, sondern
in aller Leute Mund leben; so hindern sie gewalt-
same Verregelungen und Verriegelungen der
Gesammtsprache. Sie treten in die Landwehr,
wenn das Buchheer geschlagen. Offenbare
Sprachwidrigkeiten lassen sich Leute, die nach
ihrer Altvordern Weise trachten, nicht zu Schul-
den kommen, und lassen sich auch von ihres
Gleichen keine Sprachunbilden gefallen. Sie
köunen wohl Sprachfehler begehn, aber keine
Sprachfrevel. Ein Schriftsteller kann weit
eher der Sprache Gewalt anthun, und seine
Nothzucht noch obendrein in einem Buche zu
Ehren bringen, auch da seine Wälschlinge und
Bankerte versorgen. Vor aller Leute Ohren
und Munden geht das nicht ungestraft hin, da
kann jeder Rüger sein.

Die Mundarten leben im ewigen Landfrie-
den mit der Gesammtsprache, und treten vor den
Riß, so bald in der Schriftsprache Lücken ent-

deckt

Schirm gar leicht an einſeitiger Überfeinung
und Verzierlichung verſiechen, Saft und Kraft
verlieren, und marklos an der Auszehrung ver-
quinen. Da ſich die Mundarten nur ſprach-
thümlich fortpflanzen, nicht in Büchern, ſondern
in aller Leute Mund leben; ſo hindern ſie gewalt-
ſame Verregelungen und Verriegelungen der
Geſammtſprache. Sie treten in die Landwehr,
wenn das Buchheer geſchlagen. Offenbare
Sprachwidrigkeiten laſſen ſich Leute, die nach
ihrer Altvordern Weiſe trachten, nicht zu Schul-
den kommen, und laſſen ſich auch von ihres
Gleichen keine Sprachunbilden gefallen. Sie
köunen wohl Sprachfehler begehn, aber keine
Sprachfrevel. Ein Schriftſteller kann weit
eher der Sprache Gewalt anthun, und ſeine
Nothzucht noch obendrein in einem Buche zu
Ehren bringen, auch da ſeine Wälſchlinge und
Bankerte verſorgen. Vor aller Leute Ohren
und Munden geht das nicht ungeſtraft hin, da
kann jeder Rüger ſein.

Die Mundarten leben im ewigen Landfrie-
den mit der Geſammtſprache, und treten vor den
Riß, ſo bald in der Schriftſprache Lücken ent-

deckt
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="XLIII"/>
Schirm gar leicht an ein&#x017F;eitiger Überfeinung<lb/>
und Verzierlichung ver&#x017F;iechen, Saft und Kraft<lb/>
verlieren, und marklos an der Auszehrung ver-<lb/>
quinen. Da &#x017F;ich die Mundarten nur &#x017F;prach-<lb/>
thümlich fortpflanzen, nicht in Büchern, &#x017F;ondern<lb/>
in aller Leute Mund leben; &#x017F;o hindern &#x017F;ie gewalt-<lb/>
&#x017F;ame Verregelungen und Verriegelungen der<lb/>
Ge&#x017F;ammt&#x017F;prache. Sie treten in die Landwehr,<lb/>
wenn das Buchheer ge&#x017F;chlagen. Offenbare<lb/>
Sprachwidrigkeiten la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich Leute, die nach<lb/>
ihrer Altvordern Wei&#x017F;e trachten, nicht zu Schul-<lb/>
den kommen, und la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auch von ihres<lb/>
Gleichen keine Sprachunbilden gefallen. Sie<lb/>
köunen wohl <hi rendition="#g">Sprachfehler</hi> begehn, aber keine<lb/><hi rendition="#g">Sprachfrevel</hi>. Ein Schrift&#x017F;teller kann weit<lb/>
eher der Sprache Gewalt anthun, und &#x017F;eine<lb/>
Nothzucht noch obendrein in einem Buche zu<lb/>
Ehren bringen, auch da &#x017F;eine Wäl&#x017F;chlinge und<lb/>
Bankerte ver&#x017F;orgen. Vor aller Leute Ohren<lb/>
und Munden geht das nicht unge&#x017F;traft hin, da<lb/>
kann jeder Rüger &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Die Mundarten leben im ewigen Landfrie-<lb/>
den mit der Ge&#x017F;ammt&#x017F;prache, und treten vor den<lb/>
Riß, &#x017F;o bald in der Schrift&#x017F;prache Lücken ent-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">deckt</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XLIII/0049] Schirm gar leicht an einſeitiger Überfeinung und Verzierlichung verſiechen, Saft und Kraft verlieren, und marklos an der Auszehrung ver- quinen. Da ſich die Mundarten nur ſprach- thümlich fortpflanzen, nicht in Büchern, ſondern in aller Leute Mund leben; ſo hindern ſie gewalt- ſame Verregelungen und Verriegelungen der Geſammtſprache. Sie treten in die Landwehr, wenn das Buchheer geſchlagen. Offenbare Sprachwidrigkeiten laſſen ſich Leute, die nach ihrer Altvordern Weiſe trachten, nicht zu Schul- den kommen, und laſſen ſich auch von ihres Gleichen keine Sprachunbilden gefallen. Sie köunen wohl Sprachfehler begehn, aber keine Sprachfrevel. Ein Schriftſteller kann weit eher der Sprache Gewalt anthun, und ſeine Nothzucht noch obendrein in einem Buche zu Ehren bringen, auch da ſeine Wälſchlinge und Bankerte verſorgen. Vor aller Leute Ohren und Munden geht das nicht ungeſtraft hin, da kann jeder Rüger ſein. Die Mundarten leben im ewigen Landfrie- den mit der Geſammtſprache, und treten vor den Riß, ſo bald in der Schriftſprache Lücken ent- deckt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_turnkunst_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_turnkunst_1816/49
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816, S. XLIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_turnkunst_1816/49>, abgerufen am 25.11.2024.