heirathen dürfte; so würde diese Hoffnung gar zu vielen Anlaß geben, einander zur Hurerey zu verleiten. Ein noch lebender Gönner, der diese Meynung mit der ihm eigenen und vorzüglichen Gelehrsamkeit ausgeschmücket, wird mir zu gute halten, wenn gegen selbige zweene Zweifel eröffne. Der erste ist dieser. Es scheinet, daß die Hurerey zwischen Eltern und Kindern, in- gleichen zwischen Geschwistern so sehr nicht zu befürchten sey. Die natürlichen Fol- gen der Hurerey sind für das weibliche Geschlecht gar zu traurig. Die natür- liche Liebe aber eines Vaters zu sei- ner Tochter, und eines Bruders zu seiner Schwester halte ich bey den mehresten Personen so stark und zärtlich, daß sie al- lezeit lieber eine fremde Person ihren wil- den Wollüsten aufopfern werden, als ih- re Töchter oder Schwestern. Wie stark äusserte sich die brüderliche Liebe, als ein königlicher Prinz die Dina, die Tochter Jacobs, geschändet? 1 B. Mos. C. 34. Wäre auch ein Bruder so lieblos gegen seine Schwester, so würde er sein ganzes Geschwister gegen sich haben. Wenn zweytens die Gelegenheit zur Unzucht die obbenannten Ehegesetze veranlasset; so hät- te insonderheit zu den Zeiten des Moses die Ehe eines Herren mit seiner leibeigenen Magd verbothen werden müssen. Denn zwischen diesen beyden war die Unzucht am
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heirathen duͤrfte; ſo wuͤrde dieſe Hoffnung gar zu vielen Anlaß geben, einander zur Hurerey zu verleiten. Ein noch lebender Goͤnner, der dieſe Meynung mit der ihm eigenen und vorzuͤglichen Gelehrſamkeit ausgeſchmuͤcket, wird mir zu gute halten, wenn gegen ſelbige zweene Zweifel eroͤffne. Der erſte iſt dieſer. Es ſcheinet, daß die Hurerey zwiſchen Eltern und Kindern, in- gleichen zwiſchen Geſchwiſtern ſo ſehr nicht zu befuͤrchten ſey. Die natuͤrlichen Fol- gen der Hurerey ſind fuͤr das weibliche Geſchlecht gar zu traurig. Die natuͤr- liche Liebe aber eines Vaters zu ſei- ner Tochter, und eines Bruders zu ſeiner Schweſter halte ich bey den mehreſten Perſonen ſo ſtark und zaͤrtlich, daß ſie al- lezeit lieber eine fremde Perſon ihren wil- den Wolluͤſten aufopfern werden, als ih- re Toͤchter oder Schweſtern. Wie ſtark aͤuſſerte ſich die bruͤderliche Liebe, als ein koͤniglicher Prinz die Dina, die Tochter Jacobs, geſchaͤndet? 1 B. Moſ. C. 34. Waͤre auch ein Bruder ſo lieblos gegen ſeine Schweſter, ſo wuͤrde er ſein ganzes Geſchwiſter gegen ſich haben. Wenn zweytens die Gelegenheit zur Unzucht die obbenannten Ehegeſetze veranlaſſet; ſo haͤt- te inſonderheit zu den Zeiten des Moſes die Ehe eines Herren mit ſeiner leibeigenen Magd verbothen werden muͤſſen. Denn zwiſchen dieſen beyden war die Unzucht am
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heirathen duͤrfte; ſo wuͤrde dieſe Hoffnung
gar zu vielen Anlaß geben, einander zur
Hurerey zu verleiten. Ein noch lebender
Goͤnner, der dieſe Meynung mit der ihm
eigenen und vorzuͤglichen Gelehrſamkeit
ausgeſchmuͤcket, wird mir zu gute halten,
wenn gegen ſelbige zweene Zweifel eroͤffne.
Der erſte iſt dieſer. Es ſcheinet, daß die
Hurerey zwiſchen Eltern und Kindern, in-
gleichen zwiſchen Geſchwiſtern ſo ſehr nicht
zu befuͤrchten ſey. Die natuͤrlichen Fol-
gen der Hurerey ſind fuͤr das weibliche
Geſchlecht gar zu traurig. Die natuͤr-
liche Liebe aber eines Vaters zu ſei-
ner Tochter, und eines Bruders zu ſeiner
Schweſter halte ich bey den mehreſten
Perſonen ſo ſtark und zaͤrtlich, daß ſie al-
lezeit lieber eine fremde Perſon ihren wil-
den Wolluͤſten aufopfern werden, als ih-
re Toͤchter oder Schweſtern. Wie ſtark
aͤuſſerte ſich die bruͤderliche Liebe, als ein
koͤniglicher Prinz die Dina, die Tochter
Jacobs, geſchaͤndet? 1 B. Moſ. C. 34.
Waͤre auch ein Bruder ſo lieblos gegen
ſeine Schweſter, ſo wuͤrde er ſein ganzes
Geſchwiſter gegen ſich haben. Wenn
zweytens die Gelegenheit zur Unzucht die
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te inſonderheit zu den Zeiten des Moſes die
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/375>, abgerufen am 22.11.2024.
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