jemand von seinen Kindern und Enkeln gelö- set werden konnte. Ein solcher Verarmter pflegte sich nicht allezeit mit seiner Frau und Kindern zur Knechtschaft zu verkau- fen, sondern er unterzog sich zu Zeiten die- sem Schicksal ganz allein, wie aus 2 B. Mos. C. 21. v. 3. abzunehmen ist. Es konnte auch ein Sohn eines solchen Verarmten schon sein eigenes Gewerbe und Familie haben, ehe der Vater in die Knechtschaft gieng, und da wird der Sohn nicht mit ihm in die Knechtschaft gegangen seyn. Es war also der Fall sehr wol möglich, daß ein Vater, der sich in die Knechtschaft ver- kauft, von seinen Kindern und Enkeln ge- löset werden konnte. Jst es daher wol wahrscheinlich, daß der weiseste Gesetzge- ber auf einen weit seltenern Fall gesehen, und den viel möglichern Fall der Lösung zurück gelassen habe.
§. 7.
Allein, warum hat der Gesetzgeber derFortsetzung des vori- gen. Kinder nicht vor den Brüdern gedacht, da selbige doch viel näher sind? Meine Ant- wort ist diese. Der Gesetzgeber nennet diejenigen zuerst, von welchen die Lösung eines verarmten und in die Knechtschaft gegangenen Verwandten am ersten zu er- warten war. Nun war der Fall öfter möglich, daß jemand von seinen Brüdern, Oheim und Vettern gelöset werden konnte,
als
jemand von ſeinen Kindern und Enkeln geloͤ- ſet werden konnte. Ein ſolcher Verarmter pflegte ſich nicht allezeit mit ſeiner Frau und Kindern zur Knechtſchaft zu verkau- fen, ſondern er unterzog ſich zu Zeiten die- ſem Schickſal ganz allein, wie aus 2 B. Moſ. C. 21. v. 3. abzunehmen iſt. Es konnte auch ein Sohn eines ſolchen Verarmten ſchon ſein eigenes Gewerbe und Familie haben, ehe der Vater in die Knechtſchaft gieng, und da wird der Sohn nicht mit ihm in die Knechtſchaft gegangen ſeyn. Es war alſo der Fall ſehr wol moͤglich, daß ein Vater, der ſich in die Knechtſchaft ver- kauft, von ſeinen Kindern und Enkeln ge- loͤſet werden konnte. Jſt es daher wol wahrſcheinlich, daß der weiſeſte Geſetzge- ber auf einen weit ſeltenern Fall geſehen, und den viel moͤglichern Fall der Loͤſung zuruͤck gelaſſen habe.
§. 7.
Allein, warum hat der Geſetzgeber derFortſetzung des vori- gen. Kinder nicht vor den Bruͤdern gedacht, da ſelbige doch viel naͤher ſind? Meine Ant- wort iſt dieſe. Der Geſetzgeber nennet diejenigen zuerſt, von welchen die Loͤſung eines verarmten und in die Knechtſchaft gegangenen Verwandten am erſten zu er- warten war. Nun war der Fall oͤfter moͤglich, daß jemand von ſeinen Bruͤdern, Oheim und Vettern geloͤſet werden konnte,
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jemand von ſeinen Kindern und Enkeln geloͤ-
ſet werden konnte. Ein ſolcher Verarmter
pflegte ſich nicht allezeit mit ſeiner Frau
und Kindern zur Knechtſchaft zu verkau-
fen, ſondern er unterzog ſich zu Zeiten die-
ſem Schickſal ganz allein, wie aus 2 B.
Moſ. C. 21. v. 3. abzunehmen iſt. Es konnte
auch ein Sohn eines ſolchen Verarmten
ſchon ſein eigenes Gewerbe und Familie
haben, ehe der Vater in die Knechtſchaft
gieng, und da wird der Sohn nicht mit
ihm in die Knechtſchaft gegangen ſeyn.
Es war alſo der Fall ſehr wol moͤglich, daß
ein Vater, der ſich in die Knechtſchaft ver-
kauft, von ſeinen Kindern und Enkeln ge-
loͤſet werden konnte. Jſt es daher wol
wahrſcheinlich, daß der weiſeſte Geſetzge-
ber auf einen weit ſeltenern Fall geſehen,
und den viel moͤglichern Fall der Loͤſung
zuruͤck gelaſſen habe.
§. 7.
Allein, warum hat der Geſetzgeber der
Kinder nicht vor den Bruͤdern gedacht, da
ſelbige doch viel naͤher ſind? Meine Ant-
wort iſt dieſe. Der Geſetzgeber nennet
diejenigen zuerſt, von welchen die Loͤſung
eines verarmten und in die Knechtſchaft
gegangenen Verwandten am erſten zu er-
warten war. Nun war der Fall oͤfter
moͤglich, daß jemand von ſeinen Bruͤdern,
Oheim und Vettern geloͤſet werden konnte,
als
Fortſetzung
des vori-
gen.
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/369>, abgerufen am 23.11.2024.
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