Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

selben einige Muthmassungen vortragen,
welche bey mir die Wirkung gehabt, daß
sie zu der Beruhigung meines Gemüthes
wider allerhand Zweifel etwas beygetra-
gen. Jch gebe das mehreste für nichts an-
ders als für wahrscheinliche Muthmassun-
gen aus. Niemand richte sie derowegen
nach den Regeln eines vollkommenen Be-
weises, sondern nach den Gesetzen der
Wahrscheinlichkeit.

Aber wie? können denn auch wol
Muthmassungen ein Gemüth beruhigen,
besonders in Religions-Sachen? Ja sie
sind in gar vielen Fällen dazu hinlänglich,
auch so gar bey der Religion. Man
kann mit blossen Muthmassungen alle die-
jenigen Schlüsse zernichten, worinne be-
hauptet wird, daß dieses oder jenes, wovon
uns die Schrift unterrichtet, mit den
Vollkommenheiten Gottes streite. Ein
solcher Schluß verlieret sogleich seine
Kraft, als man nur zeigen kann, es sey
möglich, daß Gott durch diese oder jene
höchst wichtige Ursache zu einer solchen
Einrichtung, als man bestreitet, sey be-
wogen worden. Wenn im gemeinen Le-
ben jemand beschuldiget wird, er habe in
einer Sache nicht recht vernünftig gehan-
delt, und man kann nur zeigen, es sey
möglich, daß er durch einen gewissen Um-
stand sey gehindert worden anders zu ver-
fahren, so fällt jener Vorwurf so lange

hin-

ſelben einige Muthmaſſungen vortragen,
welche bey mir die Wirkung gehabt, daß
ſie zu der Beruhigung meines Gemuͤthes
wider allerhand Zweifel etwas beygetra-
gen. Jch gebe das mehreſte fuͤr nichts an-
ders als fuͤr wahrſcheinliche Muthmaſſun-
gen aus. Niemand richte ſie derowegen
nach den Regeln eines vollkommenen Be-
weiſes, ſondern nach den Geſetzen der
Wahrſcheinlichkeit.

Aber wie? koͤnnen denn auch wol
Muthmaſſungen ein Gemuͤth beruhigen,
beſonders in Religions-Sachen? Ja ſie
ſind in gar vielen Faͤllen dazu hinlaͤnglich,
auch ſo gar bey der Religion. Man
kann mit bloſſen Muthmaſſungen alle die-
jenigen Schluͤſſe zernichten, worinne be-
hauptet wird, daß dieſes oder jenes, wovon
uns die Schrift unterrichtet, mit den
Vollkommenheiten Gottes ſtreite. Ein
ſolcher Schluß verlieret ſogleich ſeine
Kraft, als man nur zeigen kann, es ſey
moͤglich, daß Gott durch dieſe oder jene
hoͤchſt wichtige Urſache zu einer ſolchen
Einrichtung, als man beſtreitet, ſey be-
wogen worden. Wenn im gemeinen Le-
ben jemand beſchuldiget wird, er habe in
einer Sache nicht recht vernuͤnftig gehan-
delt, und man kann nur zeigen, es ſey
moͤglich, daß er durch einen gewiſſen Um-
ſtand ſey gehindert worden anders zu ver-
fahren, ſo faͤllt jener Vorwurf ſo lange

hin-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="4"/>
&#x017F;elben einige Muthma&#x017F;&#x017F;ungen vortragen,<lb/>
welche bey mir die Wirkung gehabt, daß<lb/>
&#x017F;ie zu der Beruhigung meines Gemu&#x0364;thes<lb/>
wider allerhand Zweifel etwas beygetra-<lb/>
gen. Jch gebe das mehre&#x017F;te fu&#x0364;r nichts an-<lb/>
ders als fu&#x0364;r wahr&#x017F;cheinliche Muthma&#x017F;&#x017F;un-<lb/>
gen aus. Niemand richte &#x017F;ie derowegen<lb/>
nach den Regeln eines vollkommenen Be-<lb/>
wei&#x017F;es, &#x017F;ondern nach den Ge&#x017F;etzen der<lb/>
Wahr&#x017F;cheinlichkeit.</p><lb/>
          <p>Aber wie? ko&#x0364;nnen denn auch wol<lb/>
Muthma&#x017F;&#x017F;ungen ein Gemu&#x0364;th beruhigen,<lb/>
be&#x017F;onders in Religions-Sachen? Ja &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind in gar vielen Fa&#x0364;llen dazu hinla&#x0364;nglich,<lb/>
auch &#x017F;o gar bey der Religion. Man<lb/>
kann mit blo&#x017F;&#x017F;en Muthma&#x017F;&#x017F;ungen alle die-<lb/>
jenigen Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zernichten, worinne be-<lb/>
hauptet wird, daß die&#x017F;es oder jenes, wovon<lb/>
uns die Schrift unterrichtet, mit den<lb/>
Vollkommenheiten Gottes &#x017F;treite. Ein<lb/>
&#x017F;olcher Schluß verlieret &#x017F;ogleich &#x017F;eine<lb/>
Kraft, als man nur zeigen kann, es &#x017F;ey<lb/>
mo&#x0364;glich, daß Gott durch die&#x017F;e oder jene<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t wichtige Ur&#x017F;ache zu einer &#x017F;olchen<lb/>
Einrichtung, als man be&#x017F;treitet, &#x017F;ey be-<lb/>
wogen worden. Wenn im gemeinen Le-<lb/>
ben jemand be&#x017F;chuldiget wird, er habe in<lb/>
einer Sache nicht recht vernu&#x0364;nftig gehan-<lb/>
delt, und man kann nur zeigen, es &#x017F;ey<lb/>
mo&#x0364;glich, daß er durch einen gewi&#x017F;&#x017F;en Um-<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;ey gehindert worden anders zu ver-<lb/>
fahren, &#x017F;o fa&#x0364;llt jener Vorwurf &#x017F;o lange<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hin-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0024] ſelben einige Muthmaſſungen vortragen, welche bey mir die Wirkung gehabt, daß ſie zu der Beruhigung meines Gemuͤthes wider allerhand Zweifel etwas beygetra- gen. Jch gebe das mehreſte fuͤr nichts an- ders als fuͤr wahrſcheinliche Muthmaſſun- gen aus. Niemand richte ſie derowegen nach den Regeln eines vollkommenen Be- weiſes, ſondern nach den Geſetzen der Wahrſcheinlichkeit. Aber wie? koͤnnen denn auch wol Muthmaſſungen ein Gemuͤth beruhigen, beſonders in Religions-Sachen? Ja ſie ſind in gar vielen Faͤllen dazu hinlaͤnglich, auch ſo gar bey der Religion. Man kann mit bloſſen Muthmaſſungen alle die- jenigen Schluͤſſe zernichten, worinne be- hauptet wird, daß dieſes oder jenes, wovon uns die Schrift unterrichtet, mit den Vollkommenheiten Gottes ſtreite. Ein ſolcher Schluß verlieret ſogleich ſeine Kraft, als man nur zeigen kann, es ſey moͤglich, daß Gott durch dieſe oder jene hoͤchſt wichtige Urſache zu einer ſolchen Einrichtung, als man beſtreitet, ſey be- wogen worden. Wenn im gemeinen Le- ben jemand beſchuldiget wird, er habe in einer Sache nicht recht vernuͤnftig gehan- delt, und man kann nur zeigen, es ſey moͤglich, daß er durch einen gewiſſen Um- ſtand ſey gehindert worden anders zu ver- fahren, ſo faͤllt jener Vorwurf ſo lange hin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/24
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/24>, abgerufen am 18.04.2024.