selben einige Muthmassungen vortragen, welche bey mir die Wirkung gehabt, daß sie zu der Beruhigung meines Gemüthes wider allerhand Zweifel etwas beygetra- gen. Jch gebe das mehreste für nichts an- ders als für wahrscheinliche Muthmassun- gen aus. Niemand richte sie derowegen nach den Regeln eines vollkommenen Be- weises, sondern nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit.
Aber wie? können denn auch wol Muthmassungen ein Gemüth beruhigen, besonders in Religions-Sachen? Ja sie sind in gar vielen Fällen dazu hinlänglich, auch so gar bey der Religion. Man kann mit blossen Muthmassungen alle die- jenigen Schlüsse zernichten, worinne be- hauptet wird, daß dieses oder jenes, wovon uns die Schrift unterrichtet, mit den Vollkommenheiten Gottes streite. Ein solcher Schluß verlieret sogleich seine Kraft, als man nur zeigen kann, es sey möglich, daß Gott durch diese oder jene höchst wichtige Ursache zu einer solchen Einrichtung, als man bestreitet, sey be- wogen worden. Wenn im gemeinen Le- ben jemand beschuldiget wird, er habe in einer Sache nicht recht vernünftig gehan- delt, und man kann nur zeigen, es sey möglich, daß er durch einen gewissen Um- stand sey gehindert worden anders zu ver- fahren, so fällt jener Vorwurf so lange
hin-
ſelben einige Muthmaſſungen vortragen, welche bey mir die Wirkung gehabt, daß ſie zu der Beruhigung meines Gemuͤthes wider allerhand Zweifel etwas beygetra- gen. Jch gebe das mehreſte fuͤr nichts an- ders als fuͤr wahrſcheinliche Muthmaſſun- gen aus. Niemand richte ſie derowegen nach den Regeln eines vollkommenen Be- weiſes, ſondern nach den Geſetzen der Wahrſcheinlichkeit.
Aber wie? koͤnnen denn auch wol Muthmaſſungen ein Gemuͤth beruhigen, beſonders in Religions-Sachen? Ja ſie ſind in gar vielen Faͤllen dazu hinlaͤnglich, auch ſo gar bey der Religion. Man kann mit bloſſen Muthmaſſungen alle die- jenigen Schluͤſſe zernichten, worinne be- hauptet wird, daß dieſes oder jenes, wovon uns die Schrift unterrichtet, mit den Vollkommenheiten Gottes ſtreite. Ein ſolcher Schluß verlieret ſogleich ſeine Kraft, als man nur zeigen kann, es ſey moͤglich, daß Gott durch dieſe oder jene hoͤchſt wichtige Urſache zu einer ſolchen Einrichtung, als man beſtreitet, ſey be- wogen worden. Wenn im gemeinen Le- ben jemand beſchuldiget wird, er habe in einer Sache nicht recht vernuͤnftig gehan- delt, und man kann nur zeigen, es ſey moͤglich, daß er durch einen gewiſſen Um- ſtand ſey gehindert worden anders zu ver- fahren, ſo faͤllt jener Vorwurf ſo lange
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ſelben einige Muthmaſſungen vortragen,
welche bey mir die Wirkung gehabt, daß
ſie zu der Beruhigung meines Gemuͤthes
wider allerhand Zweifel etwas beygetra-
gen. Jch gebe das mehreſte fuͤr nichts an-
ders als fuͤr wahrſcheinliche Muthmaſſun-
gen aus. Niemand richte ſie derowegen
nach den Regeln eines vollkommenen Be-
weiſes, ſondern nach den Geſetzen der
Wahrſcheinlichkeit.
Aber wie? koͤnnen denn auch wol
Muthmaſſungen ein Gemuͤth beruhigen,
beſonders in Religions-Sachen? Ja ſie
ſind in gar vielen Faͤllen dazu hinlaͤnglich,
auch ſo gar bey der Religion. Man
kann mit bloſſen Muthmaſſungen alle die-
jenigen Schluͤſſe zernichten, worinne be-
hauptet wird, daß dieſes oder jenes, wovon
uns die Schrift unterrichtet, mit den
Vollkommenheiten Gottes ſtreite. Ein
ſolcher Schluß verlieret ſogleich ſeine
Kraft, als man nur zeigen kann, es ſey
moͤglich, daß Gott durch dieſe oder jene
hoͤchſt wichtige Urſache zu einer ſolchen
Einrichtung, als man beſtreitet, ſey be-
wogen worden. Wenn im gemeinen Le-
ben jemand beſchuldiget wird, er habe in
einer Sache nicht recht vernuͤnftig gehan-
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/24>, abgerufen am 24.11.2024.
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