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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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Umstände niemand unter den Sterblichen
geführet haben. Diejenige Bildung des
Gemüthes, welche durch den Frieden,
durch Künste und Wissenschaften gezeuget
wird, hat noch niemanden zu einer solchen
Liebe Gottes und seiner Mitmenschen ge-
bracht, daß er mit einem anhaltenden
Nachdruck wider den Aberglauben und
einen thörichten Gottesdienst geeifert. Die
Weisesten, welche über die Thorheiten des
Aberglaubens bey sich lachten, unterhiel-
ten doch mit allem Fleiß den gemeinen
Mann dabey. Die grossen Poeten der
Griechen und Römer haben uns keine Lie-
der hinterlassen, darinne sie den grossen
Schöpfer mit einer ehrerbietigen und dank-
baren Seele und mit einem heiligen Feuer
besungen. Die mildern Sitten und der
feineste Geschmack der Römer hielt sie
nicht ab, Menschen mit wilden Thieren
kämpfen zu lassen, und überwundene Kö-
nige im Triumph aufzuführen und zu
schlachten, und Fechter bey Tausenden
aufzustellen, die ein ander verwundeten
und umbrachten. Solche Schauspiele
gab so gar ein gütiger Trajan. Wo ist
je dem gesittesten Volke eingefallen, so
zärtlich mit verwundeten, und so milde mit
gefangenen Feinden umzugehen, als die-
jenigen Völker thun, welchen Jesus ge-
lehret, die Feinde zu lieben? Welches
Volk hat die traurige Sklaverey so erträg-

lich

Umſtaͤnde niemand unter den Sterblichen
gefuͤhret haben. Diejenige Bildung des
Gemuͤthes, welche durch den Frieden,
durch Kuͤnſte und Wiſſenſchaften gezeuget
wird, hat noch niemanden zu einer ſolchen
Liebe Gottes und ſeiner Mitmenſchen ge-
bracht, daß er mit einem anhaltenden
Nachdruck wider den Aberglauben und
einen thoͤrichten Gottesdienſt geeifert. Die
Weiſeſten, welche uͤber die Thorheiten des
Aberglaubens bey ſich lachten, unterhiel-
ten doch mit allem Fleiß den gemeinen
Mann dabey. Die groſſen Poeten der
Griechen und Roͤmer haben uns keine Lie-
der hinterlaſſen, darinne ſie den groſſen
Schoͤpfer mit einer ehrerbietigen und dank-
baren Seele und mit einem heiligen Feuer
beſungen. Die mildern Sitten und der
feineſte Geſchmack der Roͤmer hielt ſie
nicht ab, Menſchen mit wilden Thieren
kaͤmpfen zu laſſen, und uͤberwundene Koͤ-
nige im Triumph aufzufuͤhren und zu
ſchlachten, und Fechter bey Tauſenden
aufzuſtellen, die ein ander verwundeten
und umbrachten. Solche Schauſpiele
gab ſo gar ein guͤtiger Trajan. Wo iſt
je dem geſitteſten Volke eingefallen, ſo
zaͤrtlich mit verwundeten, und ſo milde mit
gefangenen Feinden umzugehen, als die-
jenigen Voͤlker thun, welchen Jeſus ge-
lehret, die Feinde zu lieben? Welches
Volk hat die traurige Sklaverey ſo ertraͤg-

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[106/0126] Umſtaͤnde niemand unter den Sterblichen gefuͤhret haben. Diejenige Bildung des Gemuͤthes, welche durch den Frieden, durch Kuͤnſte und Wiſſenſchaften gezeuget wird, hat noch niemanden zu einer ſolchen Liebe Gottes und ſeiner Mitmenſchen ge- bracht, daß er mit einem anhaltenden Nachdruck wider den Aberglauben und einen thoͤrichten Gottesdienſt geeifert. Die Weiſeſten, welche uͤber die Thorheiten des Aberglaubens bey ſich lachten, unterhiel- ten doch mit allem Fleiß den gemeinen Mann dabey. Die groſſen Poeten der Griechen und Roͤmer haben uns keine Lie- der hinterlaſſen, darinne ſie den groſſen Schoͤpfer mit einer ehrerbietigen und dank- baren Seele und mit einem heiligen Feuer beſungen. Die mildern Sitten und der feineſte Geſchmack der Roͤmer hielt ſie nicht ab, Menſchen mit wilden Thieren kaͤmpfen zu laſſen, und uͤberwundene Koͤ- nige im Triumph aufzufuͤhren und zu ſchlachten, und Fechter bey Tauſenden aufzuſtellen, die ein ander verwundeten und umbrachten. Solche Schauſpiele gab ſo gar ein guͤtiger Trajan. Wo iſt je dem geſitteſten Volke eingefallen, ſo zaͤrtlich mit verwundeten, und ſo milde mit gefangenen Feinden umzugehen, als die- jenigen Voͤlker thun, welchen Jeſus ge- lehret, die Feinde zu lieben? Welches Volk hat die traurige Sklaverey ſo ertraͤg- lich

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/126>, abgerufen am 04.05.2024.