Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

aber auch ferner aus der Erfahrung klar,
daß ein gebaueter Verstand, ein erhöheter
Geschmack und ein langer Friede gewisse
Laster zeuge, welche ein finsterer Verstand,
und ein grobes Gefühl, das nur zu schwe-
rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie-
ges gehärtet worden, nicht kennet. Als
unsere Vorfahren noch in jenen dunkeln und
rauhen Zeiten lebeten, so waren ihnen
Falschheit, feiner Betrug und künstliche
Liebeshändel unbekannte Laster, denn da-
zu hatten sie nicht Verstand genug. Da
aber die Wissenschaften und Künste unter
uns gemeiner worden, so haben wir mit
denselben auch Laster bekommen, welche
ohne jene Quellen nicht möglich sind. Der
aufgeklärte Verstand erfindet unzählige
Schikanen und feine Betrügereyen. Ein
zärtliches Gefühl, Künste und Friede zeu-
gen Ueppigkeit und allerhand Wollüste,
und diese Verschwendung, und dieser Dieb-
stahl, Vervortheilungen, allerhand Be-
drückungen und gekünstelte Grausamkei-
ten. Jn einer solchen Verfassung war ein
grosser Theil der Welt, da Gott in einer
Menschheit erschien, die Sterblichen in
grösserer Anzahl und näher mit sich zu ver-
binden und ihnen eine selige Unsterblichkeit
anzubieten. Der Verstand war mehr ge-
bauet und das innere Gefühl war empfind-
licher und zärtlicher und der Kriege waren
viel weniger, wie in den vorhergehenden

Zeiten,

aber auch ferner aus der Erfahrung klar,
daß ein gebaueter Verſtand, ein erhoͤheter
Geſchmack und ein langer Friede gewiſſe
Laſter zeuge, welche ein finſterer Verſtand,
und ein grobes Gefuͤhl, das nur zu ſchwe-
rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie-
ges gehaͤrtet worden, nicht kennet. Als
unſere Vorfahren noch in jenen dunkeln und
rauhen Zeiten lebeten, ſo waren ihnen
Falſchheit, feiner Betrug und kuͤnſtliche
Liebeshaͤndel unbekannte Laſter, denn da-
zu hatten ſie nicht Verſtand genug. Da
aber die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter
uns gemeiner worden, ſo haben wir mit
denſelben auch Laſter bekommen, welche
ohne jene Quellen nicht moͤglich ſind. Der
aufgeklaͤrte Verſtand erfindet unzaͤhlige
Schikanen und feine Betruͤgereyen. Ein
zaͤrtliches Gefuͤhl, Kuͤnſte und Friede zeu-
gen Ueppigkeit und allerhand Wolluͤſte,
und dieſe Verſchwendung, und dieſer Dieb-
ſtahl, Vervortheilungen, allerhand Be-
druͤckungen und gekuͤnſtelte Grauſamkei-
ten. Jn einer ſolchen Verfaſſung war ein
groſſer Theil der Welt, da Gott in einer
Menſchheit erſchien, die Sterblichen in
groͤſſerer Anzahl und naͤher mit ſich zu ver-
binden und ihnen eine ſelige Unſterblichkeit
anzubieten. Der Verſtand war mehr ge-
bauet und das innere Gefuͤhl war empfind-
licher und zaͤrtlicher und der Kriege waren
viel weniger, wie in den vorhergehenden

Zeiten,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="95"/>
aber auch ferner aus der Erfahrung klar,<lb/>
daß ein gebaueter Ver&#x017F;tand, ein erho&#x0364;heter<lb/>
Ge&#x017F;chmack und ein langer Friede gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
La&#x017F;ter zeuge, welche ein fin&#x017F;terer Ver&#x017F;tand,<lb/>
und ein grobes Gefu&#x0364;hl, das nur zu &#x017F;chwe-<lb/>
rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie-<lb/>
ges geha&#x0364;rtet worden, nicht kennet. Als<lb/>
un&#x017F;ere Vorfahren noch in jenen dunkeln und<lb/>
rauhen Zeiten lebeten, &#x017F;o waren ihnen<lb/>
Fal&#x017F;chheit, feiner Betrug und ku&#x0364;n&#x017F;tliche<lb/>
Liebesha&#x0364;ndel unbekannte La&#x017F;ter, denn da-<lb/>
zu hatten &#x017F;ie nicht Ver&#x017F;tand genug. Da<lb/>
aber die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Ku&#x0364;n&#x017F;te unter<lb/>
uns gemeiner worden, &#x017F;o haben wir mit<lb/>
den&#x017F;elben auch La&#x017F;ter bekommen, welche<lb/>
ohne jene Quellen nicht mo&#x0364;glich &#x017F;ind. Der<lb/>
aufgekla&#x0364;rte Ver&#x017F;tand erfindet unza&#x0364;hlige<lb/>
Schikanen und feine Betru&#x0364;gereyen. Ein<lb/>
za&#x0364;rtliches Gefu&#x0364;hl, Ku&#x0364;n&#x017F;te und Friede zeu-<lb/>
gen Ueppigkeit und allerhand Wollu&#x0364;&#x017F;te,<lb/>
und die&#x017F;e Ver&#x017F;chwendung, und die&#x017F;er Dieb-<lb/>
&#x017F;tahl, Vervortheilungen, allerhand Be-<lb/>
dru&#x0364;ckungen und geku&#x0364;n&#x017F;telte Grau&#x017F;amkei-<lb/>
ten. Jn einer &#x017F;olchen Verfa&#x017F;&#x017F;ung war ein<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;er Theil der Welt, da Gott in einer<lb/>
Men&#x017F;chheit er&#x017F;chien, die Sterblichen in<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erer Anzahl und na&#x0364;her mit &#x017F;ich zu ver-<lb/>
binden und ihnen eine &#x017F;elige Un&#x017F;terblichkeit<lb/>
anzubieten. Der Ver&#x017F;tand war mehr ge-<lb/>
bauet und das innere Gefu&#x0364;hl war empfind-<lb/>
licher und za&#x0364;rtlicher und der Kriege waren<lb/>
viel weniger, wie in den vorhergehenden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zeiten,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0115] aber auch ferner aus der Erfahrung klar, daß ein gebaueter Verſtand, ein erhoͤheter Geſchmack und ein langer Friede gewiſſe Laſter zeuge, welche ein finſterer Verſtand, und ein grobes Gefuͤhl, das nur zu ſchwe- rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie- ges gehaͤrtet worden, nicht kennet. Als unſere Vorfahren noch in jenen dunkeln und rauhen Zeiten lebeten, ſo waren ihnen Falſchheit, feiner Betrug und kuͤnſtliche Liebeshaͤndel unbekannte Laſter, denn da- zu hatten ſie nicht Verſtand genug. Da aber die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter uns gemeiner worden, ſo haben wir mit denſelben auch Laſter bekommen, welche ohne jene Quellen nicht moͤglich ſind. Der aufgeklaͤrte Verſtand erfindet unzaͤhlige Schikanen und feine Betruͤgereyen. Ein zaͤrtliches Gefuͤhl, Kuͤnſte und Friede zeu- gen Ueppigkeit und allerhand Wolluͤſte, und dieſe Verſchwendung, und dieſer Dieb- ſtahl, Vervortheilungen, allerhand Be- druͤckungen und gekuͤnſtelte Grauſamkei- ten. Jn einer ſolchen Verfaſſung war ein groſſer Theil der Welt, da Gott in einer Menſchheit erſchien, die Sterblichen in groͤſſerer Anzahl und naͤher mit ſich zu ver- binden und ihnen eine ſelige Unſterblichkeit anzubieten. Der Verſtand war mehr ge- bauet und das innere Gefuͤhl war empfind- licher und zaͤrtlicher und der Kriege waren viel weniger, wie in den vorhergehenden Zeiten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/115
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/115>, abgerufen am 04.05.2024.