niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwürdi- gen Sinnesänderung, mich nun endlich zur wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen Weg zur Glückseligkeit betreten zu haben glaub- te; dann vor Entsetzen und Schaam vergehen wollte, daß ich vor nur so wenigen Tagen -- oft vor nur so wenigen Stunden, noch ein so unbegreiflicher Thor hatte seyn können. Aber, o Tyranney des Schicksals! bald darauf kam mein unbegreiflicher Thor wieder ganz statt- lich, als der weiseste Mann, ans Licht, und schämte sich seines Vorfahrs nicht weniger, als dieser vor kurzem seiner sich geschämt hatte.
Ein Schelm thut mehr als er kann, sagt ein altes deutsches Sprüchwort. Es ließe sich ein schönes dickes Buch über die- ses Sprüchwort schreiben, und es soll mein erstes seyn, wenn ich je eins unternehme. Ein feuriger, geistvoller Jüngling, der ein Epic- tet seyn will, will mehr als er kann, und muß schlechterdings dabey zum Schelmen wer-
P 2
niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwuͤrdi- gen Sinnesaͤnderung, mich nun endlich zur wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen Weg zur Gluͤckſeligkeit betreten zu haben glaub- te; dann vor Entſetzen und Schaam vergehen wollte, daß ich vor nur ſo wenigen Tagen — oft vor nur ſo wenigen Stunden, noch ein ſo unbegreiflicher Thor hatte ſeyn koͤnnen. Aber, o Tyranney des Schickſals! bald darauf kam mein unbegreiflicher Thor wieder ganz ſtatt- lich, als der weiſeſte Mann, ans Licht, und ſchaͤmte ſich ſeines Vorfahrs nicht weniger, als dieſer vor kurzem ſeiner ſich geſchaͤmt hatte.
Ein Schelm thut mehr als er kann, ſagt ein altes deutſches Spruͤchwort. Es ließe ſich ein ſchoͤnes dickes Buch uͤber die- ſes Spruͤchwort ſchreiben, und es ſoll mein erſtes ſeyn, wenn ich je eins unternehme. Ein feuriger, geiſtvoller Juͤngling, der ein Epic- tet ſeyn will, will mehr als er kann, und muß ſchlechterdings dabey zum Schelmen wer-
P 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0265"n="227"/>
niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwuͤrdi-<lb/>
gen Sinnesaͤnderung, mich nun <hirendition="#g">endlich</hi> zur<lb/>
wahren Weisheit bekehrt, und den <hirendition="#g">einzigen</hi><lb/>
Weg zur Gluͤckſeligkeit betreten zu haben glaub-<lb/>
te; dann vor Entſetzen und Schaam vergehen<lb/>
wollte, daß ich vor nur ſo wenigen Tagen —<lb/>
oft vor nur ſo wenigen Stunden, noch ein ſo<lb/>
unbegreiflicher Thor hatte ſeyn koͤnnen. Aber,<lb/>
o Tyranney des Schickſals! bald darauf kam<lb/>
mein unbegreiflicher Thor wieder ganz ſtatt-<lb/>
lich, als der weiſeſte Mann, ans Licht, und<lb/>ſchaͤmte ſich ſeines Vorfahrs nicht weniger,<lb/>
als dieſer vor kurzem ſeiner ſich geſchaͤmt<lb/>
hatte.</p><lb/><p><hirendition="#g">Ein Schelm thut mehr als er<lb/>
kann</hi>, ſagt ein altes deutſches Spruͤchwort.<lb/>
Es ließe ſich ein ſchoͤnes dickes Buch uͤber die-<lb/>ſes Spruͤchwort ſchreiben, und es ſoll mein<lb/>
erſtes ſeyn, wenn ich je eins unternehme. Ein<lb/>
feuriger, geiſtvoller Juͤngling, der ein <hirendition="#g">Epic</hi>-<lb/>
tet ſeyn will, will mehr als er kann, und<lb/>
muß ſchlechterdings dabey zum Schelmen wer-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P 2</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[227/0265]
niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwuͤrdi-
gen Sinnesaͤnderung, mich nun endlich zur
wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen
Weg zur Gluͤckſeligkeit betreten zu haben glaub-
te; dann vor Entſetzen und Schaam vergehen
wollte, daß ich vor nur ſo wenigen Tagen —
oft vor nur ſo wenigen Stunden, noch ein ſo
unbegreiflicher Thor hatte ſeyn koͤnnen. Aber,
o Tyranney des Schickſals! bald darauf kam
mein unbegreiflicher Thor wieder ganz ſtatt-
lich, als der weiſeſte Mann, ans Licht, und
ſchaͤmte ſich ſeines Vorfahrs nicht weniger,
als dieſer vor kurzem ſeiner ſich geſchaͤmt
hatte.
Ein Schelm thut mehr als er
kann, ſagt ein altes deutſches Spruͤchwort.
Es ließe ſich ein ſchoͤnes dickes Buch uͤber die-
ſes Spruͤchwort ſchreiben, und es ſoll mein
erſtes ſeyn, wenn ich je eins unternehme. Ein
feuriger, geiſtvoller Juͤngling, der ein Epic-
tet ſeyn will, will mehr als er kann, und
muß ſchlechterdings dabey zum Schelmen wer-
P 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/265>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.