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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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ihm ihr Mützchen zwischen die Finger. Er drückte
das Mützchen mit seinen Fingern, denn er wollte
Abschied nehmen von Allem, was sie berührt hatte.

Dann legte er die Hände in den Schooß und
sah vor sich hin und um sich her, lange. Ach,
Alles war reinlich und sauber umher und der
Hauch ihrer Nähe webte noch in dem kleinen Zim-
mer. Es kam ihm vor, als sei es darin golden
helle, als scheine die Sonne draußen und doch
dunstete der graue, häßliche Nebel auch um dieses
Haus. -- Nach einem langen Schweigen sagte er
beklommen: Ich hätte nicht hieher kommen, ich
hätte ihr schreiben sollen; so schwere Dinge soll
man schriftlich abmachen.

Sie blieb immer aus. Er begann, sich nach
ihrer Erscheinung zu sehnen, stand auf und ging
unruhig hin und her. Was? rief er, indem er sich
plötzlich über dieser Sehnsucht ertappte, du ver-
langst danach, von ihr Abschied zu nehmen? --
Sein Blick fiel in den kleinen Spiegel an der
Wand, er sah seine Locken in gräulicher Verwir-
rung, schämte sich dieses Anblickes, strich sie in
Ordnung, und ein Gesicht sah dahinter hervor,
welches zwar bleich war, aber sich doch nicht so

ihm ihr Mützchen zwiſchen die Finger. Er drückte
das Mützchen mit ſeinen Fingern, denn er wollte
Abſchied nehmen von Allem, was ſie berührt hatte.

Dann legte er die Hände in den Schooß und
ſah vor ſich hin und um ſich her, lange. Ach,
Alles war reinlich und ſauber umher und der
Hauch ihrer Nähe webte noch in dem kleinen Zim-
mer. Es kam ihm vor, als ſei es darin golden
helle, als ſcheine die Sonne draußen und doch
dunſtete der graue, häßliche Nebel auch um dieſes
Haus. — Nach einem langen Schweigen ſagte er
beklommen: Ich hätte nicht hieher kommen, ich
hätte ihr ſchreiben ſollen; ſo ſchwere Dinge ſoll
man ſchriftlich abmachen.

Sie blieb immer aus. Er begann, ſich nach
ihrer Erſcheinung zu ſehnen, ſtand auf und ging
unruhig hin und her. Was? rief er, indem er ſich
plötzlich über dieſer Sehnſucht ertappte, du ver-
langſt danach, von ihr Abſchied zu nehmen? —
Sein Blick fiel in den kleinen Spiegel an der
Wand, er ſah ſeine Locken in gräulicher Verwir-
rung, ſchämte ſich dieſes Anblickes, ſtrich ſie in
Ordnung, und ein Geſicht ſah dahinter hervor,
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[84/0096] ihm ihr Mützchen zwiſchen die Finger. Er drückte das Mützchen mit ſeinen Fingern, denn er wollte Abſchied nehmen von Allem, was ſie berührt hatte. Dann legte er die Hände in den Schooß und ſah vor ſich hin und um ſich her, lange. Ach, Alles war reinlich und ſauber umher und der Hauch ihrer Nähe webte noch in dem kleinen Zim- mer. Es kam ihm vor, als ſei es darin golden helle, als ſcheine die Sonne draußen und doch dunſtete der graue, häßliche Nebel auch um dieſes Haus. — Nach einem langen Schweigen ſagte er beklommen: Ich hätte nicht hieher kommen, ich hätte ihr ſchreiben ſollen; ſo ſchwere Dinge ſoll man ſchriftlich abmachen. Sie blieb immer aus. Er begann, ſich nach ihrer Erſcheinung zu ſehnen, ſtand auf und ging unruhig hin und her. Was? rief er, indem er ſich plötzlich über dieſer Sehnſucht ertappte, du ver- langſt danach, von ihr Abſchied zu nehmen? — Sein Blick fiel in den kleinen Spiegel an der Wand, er ſah ſeine Locken in gräulicher Verwir- rung, ſchämte ſich dieſes Anblickes, ſtrich ſie in Ordnung, und ein Geſicht ſah dahinter hervor, welches zwar bleich war, aber ſich doch nicht ſo

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/96>, abgerufen am 27.04.2024.