Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

amtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei
mir und von mir wollen!

Der Oberamtmann machte ein Gesicht, ähnlich
dem, was er zu machen pflegte, wenn einer seiner
Inculpaten, von dem er behaglich das unumwun-
denste Geständniß erwartete, plötzlich sich auf ein
entschiedenes Läugnen verlegte. -- Er sah Clelia
starr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder.
Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als
ob dieser ihm einen Faden in dem Labyrinthe dar-
leihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug
und blickte tiefsinnig das farbige Postpapier an,
endlich stellte er seine Uhr, obgleich sie richtig
ging. Nach diesen vorbereitenden Handlungen
trat er vor Clelia und sagte mit dem tiefsten
Ernste: Gnädige Frau, ich bin kein Narr.

Clelia versetzte nicht minder ernsthaft: Und ich
bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen,
Herr Oberamtmann.

Die Feierlichkeit dieser gegenseitigen Aeußerun-
gen war so groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen
mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen
ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und
sagte: Ich muß Sie ersuchen, bis morgen Abend

amtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei
mir und von mir wollen!

Der Oberamtmann machte ein Geſicht, ähnlich
dem, was er zu machen pflegte, wenn einer ſeiner
Inculpaten, von dem er behaglich das unumwun-
denſte Geſtändniß erwartete, plötzlich ſich auf ein
entſchiedenes Läugnen verlegte. — Er ſah Clelia
ſtarr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder.
Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als
ob dieſer ihm einen Faden in dem Labyrinthe dar-
leihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug
und blickte tiefſinnig das farbige Poſtpapier an,
endlich ſtellte er ſeine Uhr, obgleich ſie richtig
ging. Nach dieſen vorbereitenden Handlungen
trat er vor Clelia und ſagte mit dem tiefſten
Ernſte: Gnädige Frau, ich bin kein Narr.

Clelia verſetzte nicht minder ernſthaft: Und ich
bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen,
Herr Oberamtmann.

Die Feierlichkeit dieſer gegenſeitigen Aeußerun-
gen war ſo groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen
mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen
ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und
ſagte: Ich muß Sie erſuchen, bis morgen Abend

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="255"/>
amtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei<lb/>
mir und von mir wollen!</p><lb/>
          <p>Der Oberamtmann machte ein Ge&#x017F;icht, ähnlich<lb/>
dem, was er zu machen pflegte, wenn einer &#x017F;einer<lb/>
Inculpaten, von dem er behaglich das unumwun-<lb/>
den&#x017F;te Ge&#x017F;tändniß erwartete, plötzlich &#x017F;ich auf ein<lb/>
ent&#x017F;chiedenes Läugnen verlegte. &#x2014; Er &#x017F;ah Clelia<lb/>
&#x017F;tarr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder.<lb/>
Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als<lb/>
ob die&#x017F;er ihm einen Faden in dem Labyrinthe dar-<lb/>
leihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug<lb/>
und blickte tief&#x017F;innig das farbige Po&#x017F;tpapier an,<lb/>
endlich &#x017F;tellte er &#x017F;eine Uhr, obgleich &#x017F;ie richtig<lb/>
ging. Nach die&#x017F;en vorbereitenden Handlungen<lb/>
trat er vor Clelia und &#x017F;agte mit dem tief&#x017F;ten<lb/>
Ern&#x017F;te: Gnädige Frau, ich bin kein Narr.</p><lb/>
          <p>Clelia ver&#x017F;etzte nicht minder ern&#x017F;thaft: Und ich<lb/>
bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen,<lb/>
Herr Oberamtmann.</p><lb/>
          <p>Die Feierlichkeit die&#x017F;er gegen&#x017F;eitigen Aeußerun-<lb/>
gen war &#x017F;o groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen<lb/>
mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen<lb/>
ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und<lb/>
&#x017F;agte: Ich muß Sie er&#x017F;uchen, bis morgen Abend<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0267] amtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei mir und von mir wollen! Der Oberamtmann machte ein Geſicht, ähnlich dem, was er zu machen pflegte, wenn einer ſeiner Inculpaten, von dem er behaglich das unumwun- denſte Geſtändniß erwartete, plötzlich ſich auf ein entſchiedenes Läugnen verlegte. — Er ſah Clelia ſtarr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder. Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als ob dieſer ihm einen Faden in dem Labyrinthe dar- leihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug und blickte tiefſinnig das farbige Poſtpapier an, endlich ſtellte er ſeine Uhr, obgleich ſie richtig ging. Nach dieſen vorbereitenden Handlungen trat er vor Clelia und ſagte mit dem tiefſten Ernſte: Gnädige Frau, ich bin kein Narr. Clelia verſetzte nicht minder ernſthaft: Und ich bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen, Herr Oberamtmann. Die Feierlichkeit dieſer gegenſeitigen Aeußerun- gen war ſo groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und ſagte: Ich muß Sie erſuchen, bis morgen Abend

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/267
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/267>, abgerufen am 08.05.2024.