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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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... sah ich einen ganzen Heerd von Liebe und
Theilnahme, als ich zum Grafen berufen wurde,
fuhr der Arzt, ohne sich erregen zu lassen, fort.
-- Edle Empfindungen, über die mir nicht ein-
fällt zu spotten, welche mir aber als Arzt nur als
eben so viele widrige Gelegenheitsursachen und In-
dicationen erscheinen mußten, daß der Patient,
befragt, besprochen, unterhalten, durch Vorlesungen
aufgeregt und durch kleine Freuden im entzünd-
lichen Stadio verzögert, leicht seine Paar Monate
abliegen könne. Deßhalb griff ich zu der Noth-
lüge, daß er in großer Gefahr sei, dann folgte die
einfache Gefahr, dann der bedenkliche Zustand, dann
die langsame Hebung der Kräfte, und auf heute
endlich wurde die Wirkung einer entscheidenden
Krise versprochen. Er war aber nie, verehrte
Anwesende, in großer Gefahr und kehrte nach den
ersten zehn Tagen schon mächtig zu. Einem
Kranken thut Niemand Noth, als Einer, der ihm
zu den bestimmten Stunden die Arzenei reicht und
allenfalls ein verschobenes Kissen zurecht legt; und
dann Langeweile, o du nicht genug zu preisende
Göttin des Siechenbettes! Man sollte Hygieen
gähnend darstellen, denn es ist nicht auszusagen,

… ſah ich einen ganzen Heerd von Liebe und
Theilnahme, als ich zum Grafen berufen wurde,
fuhr der Arzt, ohne ſich erregen zu laſſen, fort.
— Edle Empfindungen, über die mir nicht ein-
fällt zu ſpotten, welche mir aber als Arzt nur als
eben ſo viele widrige Gelegenheitsurſachen und In-
dicationen erſcheinen mußten, daß der Patient,
befragt, beſprochen, unterhalten, durch Vorleſungen
aufgeregt und durch kleine Freuden im entzünd-
lichen Stadio verzögert, leicht ſeine Paar Monate
abliegen könne. Deßhalb griff ich zu der Noth-
lüge, daß er in großer Gefahr ſei, dann folgte die
einfache Gefahr, dann der bedenkliche Zuſtand, dann
die langſame Hebung der Kräfte, und auf heute
endlich wurde die Wirkung einer entſcheidenden
Kriſe verſprochen. Er war aber nie, verehrte
Anweſende, in großer Gefahr und kehrte nach den
erſten zehn Tagen ſchon mächtig zu. Einem
Kranken thut Niemand Noth, als Einer, der ihm
zu den beſtimmten Stunden die Arzenei reicht und
allenfalls ein verſchobenes Kiſſen zurecht legt; und
dann Langeweile, o du nicht genug zu preiſende
Göttin des Siechenbettes! Man ſollte Hygieen
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[192/0204] … ſah ich einen ganzen Heerd von Liebe und Theilnahme, als ich zum Grafen berufen wurde, fuhr der Arzt, ohne ſich erregen zu laſſen, fort. — Edle Empfindungen, über die mir nicht ein- fällt zu ſpotten, welche mir aber als Arzt nur als eben ſo viele widrige Gelegenheitsurſachen und In- dicationen erſcheinen mußten, daß der Patient, befragt, beſprochen, unterhalten, durch Vorleſungen aufgeregt und durch kleine Freuden im entzünd- lichen Stadio verzögert, leicht ſeine Paar Monate abliegen könne. Deßhalb griff ich zu der Noth- lüge, daß er in großer Gefahr ſei, dann folgte die einfache Gefahr, dann der bedenkliche Zuſtand, dann die langſame Hebung der Kräfte, und auf heute endlich wurde die Wirkung einer entſcheidenden Kriſe verſprochen. Er war aber nie, verehrte Anweſende, in großer Gefahr und kehrte nach den erſten zehn Tagen ſchon mächtig zu. Einem Kranken thut Niemand Noth, als Einer, der ihm zu den beſtimmten Stunden die Arzenei reicht und allenfalls ein verſchobenes Kiſſen zurecht legt; und dann Langeweile, o du nicht genug zu preiſende Göttin des Siechenbettes! Man ſollte Hygieen gähnend darſtellen, denn es iſt nicht auszuſagen,

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/204>, abgerufen am 02.05.2024.