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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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seine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf
das Eindringlichste, verdorbenes Fleisch zu lassen,
in Zukunft Feigen zu fressen und auf Feigen ihre
Eier zu legen. Er suchte besonders auf das Mut-
tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr
vorzustellen, welch ein begabteres Geschlecht ihre
Brut werden würde, wenn sie statt in Dust und
Dunst, da droben auf sonnebeschienenem, lüftege-
gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte
nach seinen Reden immer wieder Feigen, so lange
dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er
die Zweige ab, so daß der Baum ein ziemlich ver-
wüstetes Ansehen zu bekommen anfing.

Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär-
merin lebten bei diesen Ermahnungen in ihren
Besserungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren
Beide schlichte, rohe Naturwesen ohne alle Theorie,
practischen Trieben ergeben. Anfangs ras'ten sie
wie wahnwitzig brummend und schnurrend in den
Kerkern umher, da ihnen dieses aber nichts half,
so wurden sie still und hörten den Reden ihrer
Verbesserer zu. Von denen verstanden sie nun aber
nicht das Mindeste, als, daß der Käfer Lilien und
Rosen fressen, die Fliege sich zu Feigen wenden

ſeine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf
das Eindringlichſte, verdorbenes Fleiſch zu laſſen,
in Zukunft Feigen zu freſſen und auf Feigen ihre
Eier zu legen. Er ſuchte beſonders auf das Mut-
tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr
vorzuſtellen, welch ein begabteres Geſchlecht ihre
Brut werden würde, wenn ſie ſtatt in Duſt und
Dunſt, da droben auf ſonnebeſchienenem, lüftege-
gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte
nach ſeinen Reden immer wieder Feigen, ſo lange
dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er
die Zweige ab, ſo daß der Baum ein ziemlich ver-
wüſtetes Anſehen zu bekommen anfing.

Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär-
merin lebten bei dieſen Ermahnungen in ihren
Beſſerungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren
Beide ſchlichte, rohe Naturweſen ohne alle Theorie,
practiſchen Trieben ergeben. Anfangs raſ’ten ſie
wie wahnwitzig brummend und ſchnurrend in den
Kerkern umher, da ihnen dieſes aber nichts half,
ſo wurden ſie ſtill und hörten den Reden ihrer
Verbeſſerer zu. Von denen verſtanden ſie nun aber
nicht das Mindeſte, als, daß der Käfer Lilien und
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[164/0182] ſeine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf das Eindringlichſte, verdorbenes Fleiſch zu laſſen, in Zukunft Feigen zu freſſen und auf Feigen ihre Eier zu legen. Er ſuchte beſonders auf das Mut- tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr vorzuſtellen, welch ein begabteres Geſchlecht ihre Brut werden würde, wenn ſie ſtatt in Duſt und Dunſt, da droben auf ſonnebeſchienenem, lüftege- gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte nach ſeinen Reden immer wieder Feigen, ſo lange dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er die Zweige ab, ſo daß der Baum ein ziemlich ver- wüſtetes Anſehen zu bekommen anfing. Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär- merin lebten bei dieſen Ermahnungen in ihren Beſſerungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren Beide ſchlichte, rohe Naturweſen ohne alle Theorie, practiſchen Trieben ergeben. Anfangs raſ’ten ſie wie wahnwitzig brummend und ſchnurrend in den Kerkern umher, da ihnen dieſes aber nichts half, ſo wurden ſie ſtill und hörten den Reden ihrer Verbeſſerer zu. Von denen verſtanden ſie nun aber nicht das Mindeſte, als, daß der Käfer Lilien und Roſen freſſen, die Fliege ſich zu Feigen wenden

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/182>, abgerufen am 27.04.2024.