seine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf das Eindringlichste, verdorbenes Fleisch zu lassen, in Zukunft Feigen zu fressen und auf Feigen ihre Eier zu legen. Er suchte besonders auf das Mut- tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr vorzustellen, welch ein begabteres Geschlecht ihre Brut werden würde, wenn sie statt in Dust und Dunst, da droben auf sonnebeschienenem, lüftege- gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte nach seinen Reden immer wieder Feigen, so lange dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er die Zweige ab, so daß der Baum ein ziemlich ver- wüstetes Ansehen zu bekommen anfing.
Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär- merin lebten bei diesen Ermahnungen in ihren Besserungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren Beide schlichte, rohe Naturwesen ohne alle Theorie, practischen Trieben ergeben. Anfangs ras'ten sie wie wahnwitzig brummend und schnurrend in den Kerkern umher, da ihnen dieses aber nichts half, so wurden sie still und hörten den Reden ihrer Verbesserer zu. Von denen verstanden sie nun aber nicht das Mindeste, als, daß der Käfer Lilien und Rosen fressen, die Fliege sich zu Feigen wenden
ſeine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf das Eindringlichſte, verdorbenes Fleiſch zu laſſen, in Zukunft Feigen zu freſſen und auf Feigen ihre Eier zu legen. Er ſuchte beſonders auf das Mut- tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr vorzuſtellen, welch ein begabteres Geſchlecht ihre Brut werden würde, wenn ſie ſtatt in Duſt und Dunſt, da droben auf ſonnebeſchienenem, lüftege- gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte nach ſeinen Reden immer wieder Feigen, ſo lange dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er die Zweige ab, ſo daß der Baum ein ziemlich ver- wüſtetes Anſehen zu bekommen anfing.
Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär- merin lebten bei dieſen Ermahnungen in ihren Beſſerungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren Beide ſchlichte, rohe Naturweſen ohne alle Theorie, practiſchen Trieben ergeben. Anfangs raſ’ten ſie wie wahnwitzig brummend und ſchnurrend in den Kerkern umher, da ihnen dieſes aber nichts half, ſo wurden ſie ſtill und hörten den Reden ihrer Verbeſſerer zu. Von denen verſtanden ſie nun aber nicht das Mindeſte, als, daß der Käfer Lilien und Roſen freſſen, die Fliege ſich zu Feigen wenden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0182"n="164"/>ſeine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf<lb/>
das Eindringlichſte, verdorbenes Fleiſch zu laſſen,<lb/>
in Zukunft Feigen zu freſſen und auf Feigen ihre<lb/>
Eier zu legen. Er ſuchte beſonders auf das Mut-<lb/>
tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr<lb/>
vorzuſtellen, welch ein begabteres Geſchlecht ihre<lb/>
Brut werden würde, wenn ſie ſtatt in Duſt und<lb/>
Dunſt, da droben auf ſonnebeſchienenem, lüftege-<lb/>
gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte<lb/>
nach ſeinen Reden immer wieder Feigen, ſo lange<lb/>
dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er<lb/>
die Zweige ab, ſo daß der Baum ein ziemlich ver-<lb/>
wüſtetes Anſehen zu bekommen anfing.</p><lb/><p>Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär-<lb/>
merin lebten bei dieſen Ermahnungen in ihren<lb/>
Beſſerungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren<lb/>
Beide ſchlichte, rohe Naturweſen ohne alle Theorie,<lb/>
practiſchen Trieben ergeben. Anfangs raſ’ten ſie<lb/>
wie wahnwitzig brummend und ſchnurrend in den<lb/>
Kerkern umher, da ihnen dieſes aber nichts half,<lb/>ſo wurden ſie ſtill und hörten den Reden ihrer<lb/>
Verbeſſerer zu. Von denen verſtanden ſie nun aber<lb/>
nicht das Mindeſte, als, daß der Käfer Lilien und<lb/>
Roſen freſſen, die Fliege ſich zu Feigen wenden<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[164/0182]
ſeine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf
das Eindringlichſte, verdorbenes Fleiſch zu laſſen,
in Zukunft Feigen zu freſſen und auf Feigen ihre
Eier zu legen. Er ſuchte beſonders auf das Mut-
tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr
vorzuſtellen, welch ein begabteres Geſchlecht ihre
Brut werden würde, wenn ſie ſtatt in Duſt und
Dunſt, da droben auf ſonnebeſchienenem, lüftege-
gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte
nach ſeinen Reden immer wieder Feigen, ſo lange
dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er
die Zweige ab, ſo daß der Baum ein ziemlich ver-
wüſtetes Anſehen zu bekommen anfing.
Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär-
merin lebten bei dieſen Ermahnungen in ihren
Beſſerungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren
Beide ſchlichte, rohe Naturweſen ohne alle Theorie,
practiſchen Trieben ergeben. Anfangs raſ’ten ſie
wie wahnwitzig brummend und ſchnurrend in den
Kerkern umher, da ihnen dieſes aber nichts half,
ſo wurden ſie ſtill und hörten den Reden ihrer
Verbeſſerer zu. Von denen verſtanden ſie nun aber
nicht das Mindeſte, als, daß der Käfer Lilien und
Roſen freſſen, die Fliege ſich zu Feigen wenden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/182>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.