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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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zu mögen? Höre dieses freudige Knirschen und
Rauschen vor deinem Kerker, vernimm, wie ich in
dem saftigen, fetten Portulak, in der wilden
bittern Kresse, in dem erfrischenden Sauerklee
schmause. Könntest du denn nicht, wenn du frei
wärest, neben mir brüderlich sitzen und dieser von
der Oreas uns verliehenen Blätter dich erfreuen,
als einige Schritte weiter zurück, ein Helot und
Barbar, zu harren, ob dir ein von der Harpye
besudeltes Mahl werde? Oder sagst du: Ich bin
Käfer, du bist ein Ziegengatte? Nun so blicke auf
deines Gleichen, sieh, wie der kleine rothe zirpende
Schelm das süßduftende Blatt der Lilie nagt, wie
der Runde mit kupferbraunen Flügeln und grünem
Schilde im Schooße der Rose schwelgt! Denen
folge, denen schließe dich an, bei ihnen ist deine
Stelle! Friß Lilien, wenn du nicht Hafer, friß
Rosen, wenn du nicht Portulak, Kresse und Sauer-
klee fressen willst!

Nach diesen Reden fühlte sich der edle Solon
immer mit neuem Appetite versehen und war zu
erhöhter Thätigkeit an den Bergkräutern aufgelegt.
Plato, wenn er vom Feigenfraß rastete, hielt Er-
mahnungen ungefähr des nämlichen Inhalts an

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zu mögen? Höre dieſes freudige Knirſchen und
Rauſchen vor deinem Kerker, vernimm, wie ich in
dem ſaftigen, fetten Portulak, in der wilden
bittern Kreſſe, in dem erfriſchenden Sauerklee
ſchmauſe. Könnteſt du denn nicht, wenn du frei
wäreſt, neben mir brüderlich ſitzen und dieſer von
der Oreas uns verliehenen Blätter dich erfreuen,
als einige Schritte weiter zurück, ein Helot und
Barbar, zu harren, ob dir ein von der Harpye
beſudeltes Mahl werde? Oder ſagſt du: Ich bin
Käfer, du biſt ein Ziegengatte? Nun ſo blicke auf
deines Gleichen, ſieh, wie der kleine rothe zirpende
Schelm das ſüßduftende Blatt der Lilie nagt, wie
der Runde mit kupferbraunen Flügeln und grünem
Schilde im Schooße der Roſe ſchwelgt! Denen
folge, denen ſchließe dich an, bei ihnen iſt deine
Stelle! Friß Lilien, wenn du nicht Hafer, friß
Roſen, wenn du nicht Portulak, Kreſſe und Sauer-
klee freſſen willſt!

Nach dieſen Reden fühlte ſich der edle Solon
immer mit neuem Appetite verſehen und war zu
erhöhter Thätigkeit an den Bergkräutern aufgelegt.
Plato, wenn er vom Feigenfraß raſtete, hielt Er-
mahnungen ungefähr des nämlichen Inhalts an

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[163/0181] zu mögen? Höre dieſes freudige Knirſchen und Rauſchen vor deinem Kerker, vernimm, wie ich in dem ſaftigen, fetten Portulak, in der wilden bittern Kreſſe, in dem erfriſchenden Sauerklee ſchmauſe. Könnteſt du denn nicht, wenn du frei wäreſt, neben mir brüderlich ſitzen und dieſer von der Oreas uns verliehenen Blätter dich erfreuen, als einige Schritte weiter zurück, ein Helot und Barbar, zu harren, ob dir ein von der Harpye beſudeltes Mahl werde? Oder ſagſt du: Ich bin Käfer, du biſt ein Ziegengatte? Nun ſo blicke auf deines Gleichen, ſieh, wie der kleine rothe zirpende Schelm das ſüßduftende Blatt der Lilie nagt, wie der Runde mit kupferbraunen Flügeln und grünem Schilde im Schooße der Roſe ſchwelgt! Denen folge, denen ſchließe dich an, bei ihnen iſt deine Stelle! Friß Lilien, wenn du nicht Hafer, friß Roſen, wenn du nicht Portulak, Kreſſe und Sauer- klee freſſen willſt! Nach dieſen Reden fühlte ſich der edle Solon immer mit neuem Appetite verſehen und war zu erhöhter Thätigkeit an den Bergkräutern aufgelegt. Plato, wenn er vom Feigenfraß raſtete, hielt Er- mahnungen ungefähr des nämlichen Inhalts an 11*

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/181>, abgerufen am 28.04.2024.