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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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hielten die beiden Bocke ihre Besserungsreden, wenn
sie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes,
der Andere das junge Laubgesproß, welches an der
Felsritze gerade in der wucherndsten und saftigsten
Fülle wuchs.

Ist es denn nicht besser, sich an reiner und
reinlicher Nahrung zu sättigen? sprach Solon zum
Käfer, wenn er von dem Genusse des Laubes aus-
ruhte. -- Fühlst du denn nicht, du armer Gesunkener,
daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus
der Vater in die Furchen der brütenden Mutter
aussäte, die Speise aus der Hand der Götter,
nicht aber sie aus der Pforte, die da stäts nur
ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck-
liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift
und Gefilde heilsam in das Reich der blonden De-
meter emporschickt, zu verachten, und erst dann
danach zu streben, wenn es, in den Hades gestoßen,
dem gestaltenlosen Schattengebiete der traurigen
Persephoneia angehört! Liebst du des Hafers gol-
denes Korn, warum frissest du nicht Hafer? Ge-
lüstet dich nach dem Sproß des Grases, weßhalb
beißest du nicht in Gras? Was reizt, was verführt
dich, das Alles erst umgestimmt, entmischt, abgenützt

hielten die beiden Bocke ihre Beſſerungsreden, wenn
ſie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes,
der Andere das junge Laubgeſproß, welches an der
Felsritze gerade in der wucherndſten und ſaftigſten
Fülle wuchs.

Iſt es denn nicht beſſer, ſich an reiner und
reinlicher Nahrung zu ſättigen? ſprach Solon zum
Käfer, wenn er von dem Genuſſe des Laubes aus-
ruhte. — Fühlſt du denn nicht, du armer Geſunkener,
daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus
der Vater in die Furchen der brütenden Mutter
ausſäte, die Speiſe aus der Hand der Götter,
nicht aber ſie aus der Pforte, die da ſtäts nur
ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck-
liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift
und Gefilde heilſam in das Reich der blonden De-
meter emporſchickt, zu verachten, und erſt dann
danach zu ſtreben, wenn es, in den Hades geſtoßen,
dem geſtaltenloſen Schattengebiete der traurigen
Perſephoneia angehört! Liebſt du des Hafers gol-
denes Korn, warum friſſeſt du nicht Hafer? Ge-
lüſtet dich nach dem Sproß des Graſes, weßhalb
beißeſt du nicht in Gras? Was reizt, was verführt
dich, das Alles erſt umgeſtimmt, entmiſcht, abgenützt

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[162/0180] hielten die beiden Bocke ihre Beſſerungsreden, wenn ſie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes, der Andere das junge Laubgeſproß, welches an der Felsritze gerade in der wucherndſten und ſaftigſten Fülle wuchs. Iſt es denn nicht beſſer, ſich an reiner und reinlicher Nahrung zu ſättigen? ſprach Solon zum Käfer, wenn er von dem Genuſſe des Laubes aus- ruhte. — Fühlſt du denn nicht, du armer Geſunkener, daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus der Vater in die Furchen der brütenden Mutter ausſäte, die Speiſe aus der Hand der Götter, nicht aber ſie aus der Pforte, die da ſtäts nur ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck- liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift und Gefilde heilſam in das Reich der blonden De- meter emporſchickt, zu verachten, und erſt dann danach zu ſtreben, wenn es, in den Hades geſtoßen, dem geſtaltenloſen Schattengebiete der traurigen Perſephoneia angehört! Liebſt du des Hafers gol- denes Korn, warum friſſeſt du nicht Hafer? Ge- lüſtet dich nach dem Sproß des Graſes, weßhalb beißeſt du nicht in Gras? Was reizt, was verführt dich, das Alles erſt umgeſtimmt, entmiſcht, abgenützt

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/180>, abgerufen am 28.04.2024.