Wer hat nicht einmal die Last solcher Wind- stillen in der Gesellschaft erfahren? Die gesammte Societät sitzt wie eine Flotte, die sich auf dem unbewegten Meeresspiegel nicht zu rühren vermag. Schlaff hangen die Segel herab, verzweiflungsvoll schaun alle Blicke nach ihnen hinauf, ob nicht ein frisches Lüftchen sie endlich schwellen wolle. Um- sonst! Das ist, als ob ein Rad in der Schöpfung gebrochen, und die ganze Maschine mit Sonne, Mond und Fixsternen in Stockung gerathen sei. So sucht eine in Windstille versetzte Gesellschaft auch verzweiflungsvoll nach einem Gedanken, nach einer Vorstellung, ja nur nach einer Redensart, um sie in die Segel der Conversation zu hauchen; vergebens! Nichts will über die Lippen, Nichts hörbaren Laut gewinnen. Der Mythus sagt, in solchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer, aber nach der Länge derartiger Pausen zu urtheilen, müssen zuweilen auch Engel diese Flugübungen anstellen, deren Gefieder aus der Uebung gekommen ist. Endlich pflegt Einer sich zum Opfer für das Gemeinwesen darzubringen, er fährt mit einer un- geheuren Dummheit heraus, und damit ist der Zauber gelöset, das Band der Zungen entfesselt;
Wer hat nicht einmal die Laſt ſolcher Wind- ſtillen in der Geſellſchaft erfahren? Die geſammte Societät ſitzt wie eine Flotte, die ſich auf dem unbewegten Meeresſpiegel nicht zu rühren vermag. Schlaff hangen die Segel herab, verzweiflungsvoll ſchaun alle Blicke nach ihnen hinauf, ob nicht ein friſches Lüftchen ſie endlich ſchwellen wolle. Um- ſonſt! Das iſt, als ob ein Rad in der Schöpfung gebrochen, und die ganze Maſchine mit Sonne, Mond und Fixſternen in Stockung gerathen ſei. So ſucht eine in Windſtille verſetzte Geſellſchaft auch verzweiflungsvoll nach einem Gedanken, nach einer Vorſtellung, ja nur nach einer Redensart, um ſie in die Segel der Converſation zu hauchen; vergebens! Nichts will über die Lippen, Nichts hörbaren Laut gewinnen. Der Mythus ſagt, in ſolchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer, aber nach der Länge derartiger Pauſen zu urtheilen, müſſen zuweilen auch Engel dieſe Flugübungen anſtellen, deren Gefieder aus der Uebung gekommen iſt. Endlich pflegt Einer ſich zum Opfer für das Gemeinweſen darzubringen, er fährt mit einer un- geheuren Dummheit heraus, und damit iſt der Zauber gelöſet, das Band der Zungen entfeſſelt;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0079"n="71"/><p>Wer hat nicht einmal die Laſt ſolcher Wind-<lb/>ſtillen in der Geſellſchaft erfahren? Die geſammte<lb/>
Societät ſitzt wie eine Flotte, die ſich auf dem<lb/>
unbewegten Meeresſpiegel nicht zu rühren vermag.<lb/>
Schlaff hangen die Segel herab, verzweiflungsvoll<lb/>ſchaun alle Blicke nach ihnen hinauf, ob nicht ein<lb/>
friſches Lüftchen ſie endlich ſchwellen wolle. Um-<lb/>ſonſt! Das iſt, als ob ein Rad in der Schöpfung<lb/>
gebrochen, und die ganze Maſchine mit Sonne,<lb/>
Mond und Fixſternen in Stockung gerathen ſei.<lb/>
So ſucht eine in Windſtille verſetzte Geſellſchaft<lb/>
auch verzweiflungsvoll nach einem Gedanken, nach<lb/>
einer Vorſtellung, ja nur nach einer Redensart,<lb/>
um ſie in die Segel der Converſation zu hauchen;<lb/>
vergebens! Nichts will über die Lippen, Nichts<lb/>
hörbaren Laut gewinnen. Der Mythus ſagt, in<lb/>ſolchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer,<lb/>
aber nach der Länge derartiger Pauſen zu urtheilen,<lb/>
müſſen zuweilen auch Engel dieſe Flugübungen<lb/>
anſtellen, deren Gefieder aus der Uebung gekommen<lb/>
iſt. Endlich pflegt Einer ſich zum Opfer für das<lb/>
Gemeinweſen darzubringen, er fährt mit einer un-<lb/>
geheuren Dummheit heraus, und damit iſt der<lb/>
Zauber gelöſet, das Band der Zungen entfeſſelt;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[71/0079]
Wer hat nicht einmal die Laſt ſolcher Wind-
ſtillen in der Geſellſchaft erfahren? Die geſammte
Societät ſitzt wie eine Flotte, die ſich auf dem
unbewegten Meeresſpiegel nicht zu rühren vermag.
Schlaff hangen die Segel herab, verzweiflungsvoll
ſchaun alle Blicke nach ihnen hinauf, ob nicht ein
friſches Lüftchen ſie endlich ſchwellen wolle. Um-
ſonſt! Das iſt, als ob ein Rad in der Schöpfung
gebrochen, und die ganze Maſchine mit Sonne,
Mond und Fixſternen in Stockung gerathen ſei.
So ſucht eine in Windſtille verſetzte Geſellſchaft
auch verzweiflungsvoll nach einem Gedanken, nach
einer Vorſtellung, ja nur nach einer Redensart,
um ſie in die Segel der Converſation zu hauchen;
vergebens! Nichts will über die Lippen, Nichts
hörbaren Laut gewinnen. Der Mythus ſagt, in
ſolchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer,
aber nach der Länge derartiger Pauſen zu urtheilen,
müſſen zuweilen auch Engel dieſe Flugübungen
anſtellen, deren Gefieder aus der Uebung gekommen
iſt. Endlich pflegt Einer ſich zum Opfer für das
Gemeinweſen darzubringen, er fährt mit einer un-
geheuren Dummheit heraus, und damit iſt der
Zauber gelöſet, das Band der Zungen entfeſſelt;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/79>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.